Chemieparks unter der Lupe Land in Sicht in Brunsbüttel: Macht LNG die Waterkant zur Chemieküste?
Wer Visionen hat, kommt 2022 nach Brunsbüttel: Der Hafen am Nord-Ostseekanal steht im Zentrum der deutschen Industriepolitik: Hier entsteht ein LNG-Terminal, das die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen beenden soll. Grund genug, den größten Industriepark Schleswig-Holsteins unter die Lupe zu nehmen.

Wenn wir von der Westküste reden, denken die meisten an Kaliforniens „Golden Coast“ – dabei hat auch die deutsche Waterkant viel zu bieten: So machen Windstrom und Gas den ehemaligen Bayer-Standort Brunsbüttel zum Knotenpunkt der Energie- und Rohstoff-Transformation. Zwischen der Elbemündung und dem Nord-Ostseekanal gelegen, laufen hier nicht nur die Seewege von und nach Hamburg oder Richtung Osten zusammen, sondern auch die 380-kV-Westküstenleitung des Stromnetzbetreibers Tennet sowie die unterseeische Nordlink-Stromtrasse aus Norwegen. Beide Leitungen sollen helfen, mittels regenerativem Strom Netzschwankungen in Deutschland auszugleichen.
Damit war Brunsbüttel bereits Mitte des vergangenen Jahres in den Mittelpunkt der deutschen Industriepolitik gerückt. Jetzt soll außerdem im Eilverfahren ein LNG-Terminal inmitten des Stromes entstehen, dass Flüssiggaslieferungen aus Übersee ins deutsche Netz einspeist – ein Vorhaben, auf das insbesondere der Hafenbetreiber schon seit Jahren drängt. Angesichts der ablehnenden Haltung gegenüber der US-Schiefergas-Förderung und der scheinbaren Sicherheit russischer Energieimporte stieß der Wunsch jedoch bis zum Kriegsbeginn in der Ukraine auf taube Ohren.
Spätestens seit einer Regierungserklärung des Bundeskanzler Ende Februar ist das Projekt Chefsache: Neben der Gasunie wollen der Bund über die KfW und RWE schon 2024 ein erstes Terminal in Brunsbüttel ans Netz bringen - kein Wunder, dass auch Frank Schnabel, Sprecher der Werkleiterrunde des Chemcoast-Park Brunsbüttel und langjähriger Vorkämpfer für den Gashafen, sich begeistert zeigt: „Nur mit dem Bau einer eigenen Energie-Import-Infrastruktur, über die zunächst LNG aus dem Weltmarkt und zukünftig auch grüne Energieträger importiert werden könnten, ist es für die Bundesrepublik Deutschland möglich, die Abhängigkeit von russischem Pipelinegas zu verringern", erklärt der Standortsprecher. "Nur so kann die Versorgungssicherheit der energieintensiven Industrie im Chemcoast Park Brunsbüttel, die Erdgas als Energieträger und Grundstoff für ihre Produktion vor Ort einsetzt, und der privaten Haushalte gewährleistet werden."
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Dabei denkt Schnabel über den Erdgas für Industrie und Haushalt hinaus: In Zukunft könnte das geplante Terminal nicht nur durch den Import von LNG die Versorgungssicherheit in Deutschland erhöhen, sondern auch die Möglichkeiten für den Import von grünen Energieträgern wie z.B. Wasserstoffderivaten schaffen.
Wenn das Gas in Brunsbüttel endlich strömt, ist die Chemie schon seit fast einem halben Jahrhundert vor Ort: In den 1970er Jahren hatte hier die Firma Bayer eine Chemieanlage zur Produktion von Methylendiphenyl-Isocayanatan, einem Vorprodukt von PUR-Schäumen gebaut. Diese ist heute als Covestro Industriepark Brunsbüttel das größte Industriegebiet Schleswig-Holsteins und der Fläche nach der achtgrößte Chemiepark der Welt – die Nachfolgegesellschaft der ehemaligen Bayer Material Science tritt auch als Standortbereiber auf. Mit dem Elbehafen verfügt Brunsbüttel über einen gezeitenunabhängigen Universalhafen für Schiffe bis zur Panamax-Klasse ebenso wie über Anschlüsse an das Eisenbahn- und Straßennetz. Erst 2020 brachten die Werkstoffexperten eine neue MDI-Anlage on-stream durch die die Kapazität vor Ort auf rund 400.000 Tonnen pro Jahr verdoppelt wurde. Damit ist Brunsbüttel einer der drei europaweit größten Produktionsstandorte für die Schaumstoff-Komponente und sichert die MDI-Versorgung für Kunden weltweit.
Das begeistert auch den Energiekonzern RWE, der in Brunsbüttel zukünftig „grünes“ Ammoniak entladen und per Pipeline weiter transportieren will. Direkt in Brunsbüttel will das Power-to-X-Startup Viveo mehr 100 Millionen Euro in die Produktion von grünem Methanol investieren. Und auch klimaneutraler Zement soll es künftig an der Waterkant, wenn auch nicht in Brunsbüttel, geben: Im nahen Lägerdorf (Kreis Steinburg) bietet Holcim mit dem Sackzement Ecoplanet Zero den ersten klimaneutralen Zement der Republik an.
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Wer da ‚Go West‘ sagt, hat beste Karten: In Brunsbüttel warten nicht nur Seeluft und Windstrom sondern auch rund 450 ha voll erschlossene, als Industriegebiet ausgewiesene Flächen auf große und kleine Projekte.
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