China Market Insider Chronik einer Megafusion – China plant den größten Chemiekonzern der Welt

Von Henrik Bork

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Ein „Flugzeugträger“ unter Chinas Chemiefirmen soll da gebaut werden. Von einem „Leviathan“ sprechen andere. Die Rede ist von der geplanten Megafusion zwischen Chemchina und Sinochem. Addiert man den Umsatz beider Firmen, so kommt man auf geschätzte 122 Milliarden Euro. Der neue Chemieriese aus China wäre damit größer als die BASF und Dow zusammen.

Mit dem Format „China Market Insider“ berichtet PROCESS regelmäßig über den chinesischen Chemie- und Pharmamarkt.
Mit dem Format „China Market Insider“ berichtet PROCESS regelmäßig über den chinesischen Chemie- und Pharmamarkt.
(Bild: ©sezerozger - stock.adobe.com)

Peking/China – Auf einen Schlag würde China endgültig in der ersten Liga der globalen Chemieindustrie mitspielen. Und nicht nur das, das fusionierte Unternehmen würde sich auch gleich an ihre Spitze setzen. Und dies in einer Industrie, in der Größe und Skalierungseffekte viel zählen.

Der Bau dauert jetzt allerdings schon recht lange – vielleicht ist das bei Flugzeugträgern einfach so. Die ersten Gerüchte über die Fusion zirkulierten schon im Jahr 2017, kurz nachdem Chemchina den Schweizer Agrochemie-Konzern Syngenta für 43 Milliarden Dollar gekauft hatte.

Das war ein stolzer Preis. Es war die teuerste Übernahme, die eine chinesische Firma jemals im Ausland getätigt hat. Die Chinesen waren bereit, soviel Geld zu zahlen, weil es nicht nur um die wirtschaftlichen Ambitionen des Staatsbetriebes ging, sondern auch um ein viel größeres, politisches Kalkül, denken viele Analysten bis heute.

Chinas kommunistische Führung muss die Ernährung von 1,4 Milliarden Menschen sicherstellen. Das sind etwa ein Fünftel der Weltbevölkerung. Die Volksrepublik besitzt aber nur sieben Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche der Erde. Die Großeltern vieler Chinesen haben den Hunger noch am eigenen Leib erfahren. Viele in China kennen auch heute noch den Namens eines oder mehrerer Menschen, die verhungert sind, oft in der eigenen Familie.

Das genmodifizierte Saatgut und die moderne Pflanzenschutz-Technologie von Syngenta seien für die chinesische Führung, die über ihre Parteisekretäre in den großen Staatsbetrieben das Sagen hat, daher im Interesse der Nahrungsmittelsicherheit viel Geld wert gewesen, heißt es.

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Doch selbst für ein großes staatliches Konglomerat war es nicht einfach, diesen hauptsächlich über Kredite finanzierten Deal zu verkraften. Chinas Führung habe schon damals in internen Debatten die Fusion mit Sinochem zur Bedingung für den Erwerb von Syngenta gemacht, wird seit 2017 spekuliert - wegen der Kosten des Geschäftes.

Anschließend hörte man lange nichts, sogar hier und da gegenteilige Gerüchte, denen zufolge die Fusion aus verschiedenen Gründen abgesagt worden sei, etwa weil ein Besitzerwechsel bei Syngenta erneut ausländische Aufsichtsbehörden auf den Plan rufen könnte. Bis heute bleibt es auch möglich, dass die Fusion nie vollzogen wird.

Chronik der Chemchina/Sinochem/Syngenta-Fusion – so entsteht der größte Chemiekonzern der Welt.
Chronik der Chemchina/Sinochem/Syngenta-Fusion – so entsteht der größte Chemiekonzern der Welt.
(Bild: Asia Waypoint für PROCESS)

Doch dann wurde Ning Gaoning alias Frank Ning, ein angesehener Manager und Unternehmens-Architekt mit hervorragenden Beziehungen zur chinesischen Parteispitze, im Jahr 2018 zum Vorstandsvorsitzenden von beiden Firmen gleichzeitig berufen – Chemchina und Sinochem. Es war der erste handfeste Hinweis auf eine geplante Fusion.

Im September 2020 dann bestätigte Ning öffentlich, dass an dieser Fusion und damit an der Schaffung des weltgrößten Chemiekonzerns gearbeitet wird. Er sprach auf einer vom Staatsrat, dem höchsten Organ der chinesischen Regierung, organisierten Pressekonferenz: „Die Fusion ist hochgradig notwendig, und wir werden sie aktiv vorantreiben".

Wieder ist aller Wahrscheinlichkeit nach mehr als wirtschaftliches Kalkül mit im Spiel. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping, seit 2012 an der Macht, wird eine persönliche Vorliebe für Megafusionen nachgesagt. Seine politische Vision, der „Chinesische Traum“, ist Chinas Rückkehr an die Spitze der globalen Weltordnung. Überall. Kompromisslos.

Xi fördert systematisch den Aufbau „nationaler Champions“ unter Chinas Staatsbetrieben, die mit den größten multinationalen Konzernen konkurrieren sollen. Das Eisenbahnkonglomerat CRRC oder die gigantische China Baowu Steel Group sind Beispiele für solche „Flugzeugträger“ in anderen Industrien, deren Stapellauf bereits stattgefunden hat. Es ist wohl unnötig, weiter auszumalen, dass auch die Fusion von Chemchina mit Sinochem in der globalen Chemieindustrie hohe Wellen schlagen würde.

In einer Industrie, in der Volumen und Skalierungseffekte wichtig sind, könnten die beiden chinesischen Chemiebetriebe allein nur durch diese Konsolidierung international wettbewerbsfähig werden, glauben die Architekten der Fusion. „Es ist in hohem Maße notwendig, bei vor- und nachgeschalteten Technologien und in heimischen Märkten ebenso wie im Ausland zu kooperieren“, wird Ning von der Nikkei Asian Review zitiert.

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Schon im Januar 2020 hat eine Umstrukturierung der beiden Staatsbetriebe begonnen. Damals verkündeten beide Unternehmen, dass sie ihre Agrochemie-Sparte zusammenlegen. Sämtliche Konzerntöchter in dem Sektor, darunter auch die wertvolle Syngenta, wurden in einem ersten Schritt in die neu geschaffene „Chemchina Agricultural Technology Company” transferiert.

Am 18. Juni 2020, vielerorts wegen der Coronakrise kaum wahrgenommen, wurde diese Firma dann offiziell zur neuen Syngenta Group umbenannt. Ein neues Agrochemie-Konglomerat war geboren, das größte der Erde. Darin sind neben dem Saatgut- und Pflanzenschutzgeschäft der alten Syngenta aus Basel auch Chemchinas Mehrheitsanteile an der israelischen Adama und chinesische Konzerntöchter gebündelt, etwa „China National Seed Group“ und Sinochems Düngemittel-Tochter Sinofert.

Chef der neuen Syngenta Group ist auch wieder Frank Ning. CEO mit Sitz in Basel ist Frank Fyrwald, der zuvor schon CEO der alten Syngenta war, bevor sie an die Chinesen verkauft worden war. Die Syngenta Group wird seit dieser Konsolidierung einen geschätzten Umsatz von knapp 23 Milliarden Euro erwirtschaften, und so zu einem der größten Chemiekonzerne Chinas.

Die Syngenta Group taucht bereits unter den Top 10 der chinesischen Chemiefirmen im Jahr 2021 auf, obwohl dafür aus Gründen der Vergleichbarkeit mit den komplett vorliegenden Umsatzzahlen aus 2019 gerechnet werden musste. In den kommenden Jahren wird der Agrochemie-Riese in solchen Rankings weiter nach oben klettern.

Der petrochemische Großkonzern Chemchina, der seit der Übernahme von Syngenta hoch verschuldet ist, hat immer noch sein Öl- und Gasgeschäft, auch Tochterunternehmen wie den 2015 erworbenen italienischen Reifenhersteller Pirelli. Unter den größten Chemie- oder Agrochemie-Unternehmen Chinas aber taucht der illustre Name derzeit nicht mehr auf.

Im Wesentlichen sind durch die Umstrukturierungen folgende neue Kernkompetenzen geschaffen worden: Sinochem konzentriert sich ab jetzt auf die Feinchemie, etwa die Spezialchemie und neue Materialien, hat dafür unter anderem kürzlich seine Anteile an der Tochterfirma Yangnong Group erhöht. Die Syngenta Group konzentriert sich auf Agrochemie.

Und Chemchina? Ächzt momentan vor allem unter dem „Berg von Schulden“, wie das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin berichtet. Das Geschäft mit genmanipuliertem Saatgut der neuen Konzerntochter Syngenta Group geht in der Volksrepublik nicht so gut, wie man es erwartet hatte. Es ist vielen chinesischen Bauern zu teuer, außerdem gibt es auch in China bei manchen Landwirten und vielen Verbrauchern Widerstände gegen genmanipulierte Saat. Nur etwa 251 Millionen Euro des Pflanzenschutz-Umsatzes der Syngenta Group – ein kleiner Teil von insgesamt 8,9 Milliarden Euro weltweit – wurden im Jahr 2019 auf dem chinesischen Markt erwirtschaftet, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg.

Chemchina hat noch sein beträchtliches Öl- und Gasgeschäft, genau wie Petrochina. Aber ohne die seit langem geplante Fusion mit Petrochina oder eine Börsennotierung der Syngenta Group, mit der fällige Schuldenzahlungen finanziert werden könnten, sieht es nach Ansicht der meisten Analysten finanziell eher düster aus.

Chemchina sei im vergangenen Jahr bereits mit umgerechnet rund 84 Milliarden Euro verschuldet gewesen, schreibt Caixin. Rund 10,5 Milliarden Euro der Verbindlichkeiten werden im laufenden Jahr 2021 fällig, rechnet Bloomberg vor. Der Kauf von Syngenta sei „kein gutes Geschäft“ gewesen, sagt inzwischen sogar der chinesische Botschafter in der Schweiz.

Die Fusion mit Sinochem wäre also momentan auch eine Lösung des Schuldenproblems, glauben Marktbeobachter in China. In China aber sind politische Gründen sicherlich noch wichtiger. Nicht nur würde mit der Fusion der größte Chemiekonzern der Erde geschaffen, was dem nationalistischen Zeitgeist in China schmeichelt. Endlich wäre ein chinesischer Konzern auch die Nummer Eins der globalen Chemie-Industrie. Für viele Kader im Politbüro wäre allein das schon ein Sieg. Profitabilität oder Geschäftsstrategie spielen nur eine wichtige Nebenrolle.

Auch wäre es schwerer für Aufsichtsbehörden in den USA oder der EU, erneut den chinesischen Besitz von Syngenta unter die Lupe zu nehmen. Wenn Chemchina und Sinochem in einer gemeinsamen Holding verschmelzen, wechselt die Syngenta Group nicht den Besitzer, argumentieren manche Experten. Ein erneuter Wechsel des Besitzers würde ganz sicher neue Nachforschungen der US-Investitionskontrollbehörde Cfius auslösen, heißt es.

Es ist so gut wie unmöglich, die Pläne der kommunistischen Parteiführer in Peking akkurat vorherzusagen. Ein Schuldenberg wie der von Chemchina aufgehäufte ist selbst in China keine Kleinigkeit und erschwert sicherlich die Verhandlungen für die Fusion. Doch der Trend zu immer größeren staatlichen Konglomeraten unter Xi Jinping deutet zumindest daraufhin, dass die Fusion irgendwann doch noch kommt.

SASAC, die chinesische Kommission zur Überwachung von Staatsbetrieben, löst die Probleme von hochverschuldeten Staatsbetrieben gerne durch Megafusionen. Hatte sie 2013 noch 117 Unternehmen unter ihrer direkten Kontrolle, war diese Zahl bis zum Juni 2020 auf 97 geschrumpft, wie das Wall Street Journal berichtet. Sowohl Chemchina wie Sinochem sind bereits direkt SASAC unterstellt.

Einiges spricht also dafür, dass sich die BASF, Dow und andere Chemiekonzerne auf die baldige Ankunft des „Leviathan“ vorbereiten müssen. Oder auf den Stapellauf des „Flugzeugträgers der chinesischen Chemieindustrie“. Andere Vergleiche greifen angesichts der Dimensionen zu kurz.

* Henrik Bork, langjähriger China-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau, ist Managing Director bei Asia Waypoint, einer auf China spezialisierten Beratungsagentur mit Sitz in Peking. „China Market Insider“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Vogel Communications Group, Würzburg, und der Jigong Vogel Media Advertising in Beijing.

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