„Growth and innovation in chemicals“-Studie Warum die Chemieindustrie ihre Innovationskraft bündeln muss
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Die Chemieindustrie schaut auf Jahrzehnte des Wachstums zurück – getrieben von Innovationen. Angesichts ehrgeiziger gesellschaftlicher Ziele, nachhaltiger zu wirtschaften und zu konsumieren, Treibhausgasemissionen zu senken und die Kreislaufwirtschaft auszuweiten, ist das Potenzial der Chemieindustrie aber noch längst nicht ausgeschöpft. Doch was es braucht, um weiteres Wachstum zu schaffen, ist deutlich stärkere und gebündelte Innovationskraft.

Die Chemieindustrie hat stets über eine stark ausgebildete Innovationsfähigkeit verfügt und Neuentwicklungen vorangetrieben. Aktuell konzentrieren sich Chemieunternehmen dabei primär darauf, bestehende Produkte zu verbessern und zu verbreiten. Angesichts der sich entwickelnden Volatilität des Energiemarktes wächst die Nachfrage nach neuen, umweltfreundlicheren und zirkulären chemischen Produkten mit Blick auf die Nachhaltigkeitsziele und veränderten Anforderungen der Kund:innen und Endkonsument:innen.
Gerade Branchengrößen folgen oftmals traditionelleren Ansätzen in Forschung und Entwicklung und investieren eher in die Optimierung bestehender Materialien. Entwicklungssprünge finden primär in Start-ups statt, deren Anzahl stetig wächst. Was es also braucht, ist eine grundlegende Veränderung der „Innovations- und Transformationsansätze“ innerhalb der Chemieindustrie.
Die sechs wichtigen Wachstums- und Innovationsbereiche
Die Chemieindustrie wird die Art und Weise, wie sie Innovationen vorantreibt, ändern müssen, um die Wachstumschancen von morgen nutzen zu können und neue Märkte zu erschließen. In diesem Kontext hat Accenture in der aktuellen Studie „Growth and innovation in chemicals“ sechs Schlüsselbereiche für Wachstum und Innovation identifiziert, in denen Chemieunternehmen dringend aktiver tätig werden sollten:
- 1. Patentanmeldungen: Patentanmeldungen lassen sich in drei Kategorien einteilen: Materialien, Anwendungen und Verfahren. Materialbezogene Patente werden am häufigsten angemeldet. Sie beziehen sich oftmals auf schrittweise Verbesserungen bestehender Materialien, wie zum Beispiel auf die Verbesserung der Leistungsmerkmale Flexibilität oder Haltbarkeit. Die Zahl der Patente auf neue Verfahren ist dagegen relativ gering. Grund dafür könnte unter anderem die Einstellung vieler Unternehmen sein, Innovationen innerhalb von Prozessen nicht publik machen zu wollen. Ein weiterer potenzieller Grund: Die Industrie investiert (noch) nicht genug in zentrale Prozesse, die erforderlich sind, um den CO2-Fußabdruck zu verringern und dem wachsenden Bedarf nachhaltigerer Produkte zu begegnen.
- 2. Investitionen in chemienahe Start-ups: Neugründungen in der Chemieindustrie befassen sich häufig mit Zukunftsthemen und Wachstumsbereichen wie etwa Baustoffen, Abfallmanagement, additiver Fertigung und maschinellem Lernen (ML). Die Finanzmittel, die für solche Start-ups aufgewendet werden, haben deutlich zugenommen. Allein zehn Prozent der gesamten Investitionen in Start-ups im Bereich Chemieindustrie sind in Neugründungen geflossen, die sich mit der Erforschung von Materialien befassen, die die CO2-Reduzierung und die Kreislaufwirtschaft unterstützen. Während die Industrie selbst seit 2016 Kapital auf gleichbleibendem Niveau in Forschung und Entwicklung sowie Start-ups steckt, hat sich das Investitionsvolumen außerhalb der Branche in Chemie-Start-ups verdreifacht (siehe Abb. 1).
- 3. Corporate Venturing: Ein Großteil des Corporate Venturing konzentriert sich weiterhin auf bestehende Produktgruppen wie Chemikalien für den Agrarsektor, Farben und Lacke oder auch Inhaltsstoffe für Lebensmittel. Chemieunternehmen legen ihren Schwerpunkt hier primär auf interne Bemühungen in der Forschung und Entwicklung, anstatt auf neue bahnbrechende Innovationen am Markt. Sie zielen darauf ab, ihre internen Fähigkeiten zu verbessern und suchen nach neuen Anwendungen für bestehende Stoffe. Die Ausnahme sind technologiebezogene Investitionen wie in Künstliche Intelligenz (KI), 3D-Druck, Wasserstoff- und Brennstoffzellen sowie Analytics.
- 4. Aufbau neuer Partnerschaften/Partnersysteme: In den letzten Jahren haben Chemieunternehmen lieber auf Partnerschaften mit Unternehmen innerhalb der Branche gesetzt, statt auf Partnerschaften mit B2B-Kunden:innen aus anderen Sektoren. Wachsende Bereiche, wie der 3D-Druck und die Kreislaufwirtschaft, erfordern eine solche engere branchenübergreifende Zusammenarbeit. Gleichzeitig gewinnen Technologieanbieter:innen zunehmend an Relevanz. Durch entsprechende Partnerschaften können Chemieunternehmen mit Lösungen wie KI, Analytics und zukünftig auch Quantencomputern ihre Abläufe verbessern und einen Mehrwert aus Daten und Assets ziehen.
- 5. M&A-Aktivitäten: Auch Fusionen und Übernahmen zielen heute meist darauf ab, bestehende Geschäftsbereiche wie Chemikalien für den Agrarsektor, Beschichtungen, Klebstoffe und Dichtstoffe sowie zusätzliche Geschäfte in bereits bedienten Segmenten zu erweitern. M&A-Aktivitäten zur Portfolio-Erweiterung und Konsolidierung sind dreimal größer als die zum Erschließen neuer Regionen und Geschäftsfelder (siehe Abb.2). Fusionen und Übernahmen im Bereich Elektronik, Informationstechnologie und Kunststoffprodukte weisen die höchsten Wachstumsraten auf.
- 6. Kapitalvorhaben: Die Kapitalinvestitionen der Chemieunternehmen fließen weiterhin zum Großteil in traditionelle Bereiche wie Grund- und Zwischenprodukte, Thermoplaste und Düngemittel. Aber auch Investitionen in Batterien, Recycling und Pyrolyse sowie Segmente mit direktem Bezug zur Kreislaufwirtschaft und der Reduzierung von Treibhausgasen nehmen zu – wenn auch nur langsam.
Technologie wird zum wichtigen Innovationstreiber
Der traditionelle Innovationsansatz der Chemieindustrie könnte langfristig nicht mehr ausreichen. Die Nachfrage nach umweltfreundlicheren Produkten und Prozessen wächst, gesetzliche Regularien werden strenger. Für Chemieunternehmen wird es immer schwieriger, in einer sich so schnell verändernden, digitalen Welt wettbewerbsfähig zu bleiben.
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Um beim Innovationswettlauf nicht ins Hintertreffen zu geraten und neue Märkte zu entwickeln, sind Mut und Tempo gefragt. Gerade ersteres fällt deutschen Unternehmen oftmals schwer, auch angesichts der Unübersichtlichkeit und vor allem der Unvorhersehbarkeit, die bei der Umsetzung neuer Rahmenbedingungen und Regulierungen häufig herrscht. Doch die Transformation aufzuschieben und darauf zu hoffen, mit bestehenden Geschäftsmodellen auch weiterhin zukunftsfähig zu bleiben, ist keine echte Option. Vor allem ist die Gefahr zu groß, langfristig nicht mehr wirtschaftlich agieren zu können oder von Neuerungen und Start-ups im Chemiebereich verdrängt zu werden. Denn diese füllen im Wesentlichen die Lücken aus, die der heutige sehr traditionelle Innovationsansatz der Branche offenlässt.
Was es brauchen wird, ist eine breite und sich ständig weiterentwickelnde Palette innovativer neuer Produkte, Verfahren und Dienstleistungen. Technologien können hier bei der Umsetzung helfen und richtig eingesetzt zu einem der größten Innovationstreiber eines Unternehmens werden. Voraussetzung dafür ist aber ein tiefes Verständnis für die Adaption und die Möglichkeiten, die technologische Lösungen wie Analytik, Automatisierung und KI bieten.
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Manches Chemieunternehmen unterschätzt die Innovationskraft und das Potenzial von Informationstechnologien allerdings noch deutlich, sodass vieles, was heute bereits möglich wäre, noch nicht oder nicht in vollem Umfang umgesetzt wird. Daher ist neben mehr Mut und Tempo auch ein umfassender Digitalisierungsansatz essenziell, der berücksichtigt, wie das Unternehmen und die Mitarbeitenden diese Möglichkeiten auch tatsächlich nachhaltig erschließen können.
* Tobias Gehlhaar leitet als Geschäftsführer den Bereich Chemie, Grundstoffe und Versorgungswirtschaft bei Accenture in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sein Beratungsschwerpunkt liegt auf der Digitalisierung und den damit einhergehenden neuen Fähigkeiten und Geschäftsmodellen, insbesondere in der Energiewirtschaft. Gehlhaar ist Diplom-Informatiker und seit dem Jahr 2000 für Accenture tätig.
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