Statusbericht Bioraffinerie Wann kommt die integrierte Bioraffinerie?
Die Bioraffinerie für die Chemikalienproduktion ist momentan noch eine Vision. Aber vielleicht ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt zur Umsetzung. Die Chemie beginnt sich dem Gedanken zu nähern, und die ersten Pilotanlagen entstehen demnächst in Leuna und im Havelland.
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Nachwachsende Rohstoffe sind salonfähig geworden in der Chemie. Das betrifft nicht nur die Klassiker also Aminosäuren und Antibiotika. Auch Polyethylen, PVC und Polymilchsäure aus Zuckerrohr, Mais und Co. legen gerade den Charakter von Nischenprodukten ab und sind dabei, den Massenmarkt zu erobern. Sogar typische Plattformchemikalien, wie Bernsteinsäure lassen sich mittlerweile in großem Stil im Fermenter herstellen und treten damit in Wettbewerb mit der Petrochemie. Doch jetzt sind Konzepte in der Diskussion, die weit über die Produktion einzelner Chemikalien hinausreichen. Die Rede ist von Bioraffinerien, die mit Stroh, Holz, Gras, Luzerne oder Klee gefüttert, am Ende des Tages Chemierohstoffe, Kaftstoffe und Heizmaterialien ausspuckt.
„Integrierte Bioraffinerien sind der Schlüssel zur Wirtschaftlichkeit nachwachsender Rohstoffe“, sagt Prof. Dr. Birgit Kamm, Institutsleiterin des Biopos-Forschungsinstituts. Chemikerin Kamm, eine lebhafte Brandenburgerin, hat ihr Interesse an dem Thema vor fast 20 Jahren entdeckt. Damals gab es Pläne, auf den großen Landflächen Brandenburgs den Anbau nachwachsender Rohstoffe zu forcieren – nach der Wende musste ein weiteres wirtschaftliches Standbein her, „was mit der ostdeutschen Chemie würde, wusste ja keiner“, erinnert sie sich. Heute ist die Chemie wieder gut im Rennen, aber das Thema hat sie trotzdem nicht losgelassen.
In den letzten Jahren hat sich die Chemikerin mit der Frage beschäftigt, wie die Inhaltsstoffe Klee, Luzerne und andere Grünmasse für Chemie, Kosmetik und Pharmazie aufbereitet werden können. Ihre Forschungsergebnisse krönt Kamm jetzt mit einer Pilotanlage im Havelland, die als so genannte Primärraffinerie die grüne Biomasse in ihre verwertbaren Komponenten fraktioniert.
Biomasse, also Stroh, Holz oder grüne Pflanzen sind eine bisher fest verschlossene chemische Schatzkammer, die Kamm und ihre Kollegen öffnen wollen. „Wir müssen die Kohlenhydrate darin zugänglich machen“, präzisiert sie. Gräser beispielsweise „enthalten viele biotechnologisch nutzbare Stoffe“, sagt auch Prof. Dr. Roland Ulber, der an der Uni Kaiserslautern untersucht, ob Gras-Silage für die Feinchemie interessant ist. Gras wächst in Deutschland auf rund 600 000 Hektar und ist u.a. als Milchsäurequelle interessant, das für die Produktion biobasierter Kunststoffe, wie Polyactid eingesetzt wird. Ein Liter Presssaft enthält immerhin 80 Gramm Milchsäure, wirtschaftlich gesehen lohnt sich die Extraktion also durchaus.
Analogie zur Petrochemie
Befeuert werden solche Forschungen nicht zuletzt durch die Chemieindustrie selbst. Zwar stagniert der Anteil nachwachsender Rohstoffe an der Chemikalienproduktion nach Auskunft der Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe seit mehreren Jahren bei etwa zehn Prozent. Aber der steigende Erdölpreis hat Bewegung in die Branche gebracht, der Einsatz nachwachsender Rohstoffe ist in Einzelfällen mittlerweile fast günstiger als die erdölbasierte Produktion, das zeigt die fermentative Herstellung von Bernsteinsäure bei der BASF. Und ein weiterer wichtiger Treiber ist die Selbstverpflichtung zur Kohlendioxid-Reduktion, bei der Biomasse eine wichtige Rolle spielen kann. Folgerichtig lautet daher auch die Prognose von Suschem, der europäischen Initiative für nachhaltige Chemie, dass bis zum Jahr 2025 rund 30 Prozent der Rohstoffe auf der Basis von Biomasse hergestellt werden können.
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