Power-to-X: Synthetisches Kerosin Pilotversuch für Versuchspiloten: Wird Höchst zum Hub für grünes Kerosin?

Redakteur: Dominik Stephan |

Unser Flug soll grüner werden: Emissionsneutrale Retorten-Treibstoffe sind in den Augen der meisten Experten der vielversprechendste Weg, die Klimabilanz der Luftfahrt zu verbessern. Auch wenn die Transformation noch Jahre dauern wird, bringen sich in Frankfurt Firmen und Projekte in Stellung, um sich ein Stück von grünen Kuchen zu sichern.

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(Bild: Communication Solution/Infraserv Höchst)

Die Fliegerei hat es nicht leicht: Nicht nur, dass die einstige Sehnsuchtsbranche in Zeiten von Budget-Airlines und Terrorangst viel von ihrem einstigen mondänen Glanz verloren hat, auch geraten Urlaubsflüge und Co. vermehrt ins Visier der Umweltaktivisten. Als wäre die coronabedingte Stilllegung ganzer Flotten nicht genug gewesen, soll das Fliegen der Zukunft - wo es unvermeidlich ist - auch noch emissionsneutral werden. Nur: Das ist gar nicht so einfach.

Die enorme Energiedichte herkömmlicher Treibstoffe macht chemische Energieträger derzeit alternativlos. Auch die größten Optimisten sehen die Zukunft batterieelektrischer Fluggeräte eher im Kurzstrecken- und Zubringerbereich, da andernfalls die nötigen Batteriezellen extrem groß und schwer sein müssten.

Synthetische Kraftstoffe, hergestellt mittels emissionsfrei erzeugtem Strom (sogenannte Power-to-X-Kraftstoffe) könnten ebenso wie Wasserstoff oder Bio-Kraftstoffe eine Alternative zu Kerosin aus Erdöl sein - insbesondere, da typische Verkehrsflugzeuge langlebig sind und ein Drop-In-Kraftstoff bestehende Flotten und Infrastruktur-Einrichtungen weiter nutzen könnte.

Die Beimischung entsprechender Treibstoffe hatte auch die EU-Kommission in ihrem Klimapaket «Fit for 55» als ein Mittel vorgeschlagen, um die CO2-Emissionen zu reduzieren - immerhin sollen ja auch die Emissionen des Luftverkehrs sinken, wenn auch nicht so drastisch wie in anderen Sektoren. Doch des einen Leid ist, wie so häufig, des anderen Freud: Der Bund hat inzwischen umfangreiche Fördermittel für alternative Kraftstoffe und die Herstellung von „grünem“ Wasserstoff als wichtiges Eingangsprodukt für „Power-to-Liquid“-Kraftstoffe im Bundeshaushalt verankert. Gute Gelegenheit also, für Chemieparkbetreiber und Anlagenbauer sich mit entsprechenden Pilotvorhaben in Stellung zu bringen.

So will etwa der Industriepark Höchst zum "Innovationshub für CO2-neutrale, alternative Kraftstoffe" werden und hofft, dabei von der Nähe zu Deutschlands größtem Flughafen profitieren zu können. „Nachdem wir vor einem Jahr das Kompetenzzentrum für Klima- und Lärmschutz im Luftverkehr gegründet haben, hat sich nicht nur hier in Hessen, auch bundes- und europaweit sehr viel bewegt. Und es hat sich gezeigt, dass wir in Hessen einen Standortvorteil haben – mit dem Flughafen, mit der Logistikbranche und dem Industriepark Höchst“, erklärte der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir Anfang des Jahres. Doch während die Politik über den Standortvorteil sinniert, machen zwei ganz unterschiedliche Projekte vor den Toren Frankfurts Nägel mit Köpfen.

So planen die Power-to-X-Musterschüler Ineratec eine Power-to-Liquid Pionier-Anlage zu errichten, die ab 2022 bis zu 4,6 Mio. Liter/Jahr synthetische Kraftstoffe produzieren soll. Dafür wollen die Karlsruher Entwickler bis zu 10.000 Tonnen biogene CO2-Ströme nutzen. Die Firma will dafür bis zu 30 Millionen Euro investieren und hofft, ab dem zweiten Halbjahr 2022 sogenannte E-Fuels liefern zu können.

Gleich zwei Pilotprojekte für "grünes" Kerosin

Parallel dazu entwickelt Caphenia ein Power-and-Biogas-to-Liquid-Verfahren (PBtL) zur Herstellung von erneuerbaren Kraftstoffen und Grundchemikalien aus Strom, Methan und Biomasse. Im Mittelpunkt der Caphenia-Technologie steht ein Mehrzonenreaktor, in dem alle Prozessschritte bis hin zur Gewinnung von Synthesegas zur Nutzung in einem Fischer-Tropsch-Syntheseverfahren ablaufen. Das nötige Methan wird mittels Plasma bei Temperaturen von etwa 2.000 Grad aufgeschlossen und in seine Bestandteile Kohlenstoff und Wasserstoff zerlegt. Das entstandene Kohlenstoff-Wasserstoff-Aerosol wird anschließend mit vorgewärmtem Kohlenstoffdioxid vermischt, wodurch in einer Boudouard-Reaktion bei einer Temperatur von 1.000 Grad Celsius Kohlenmonoxid entsteht. Nach Angaben der Entwickler ist dieser Schritt, bei dem die hohe thermische Energie des Aerosols und in chemische Energie umgewandelt wird, für den hohen Wirkungsgrad von etwa 70 Prozent verantwortlich.

Danach erfolgt eine heterogene Wassergas-Shift-Zone, bei der zusätzlich eingebrachtes Wasser zu Kohlenmonoxid und Wasserstoff reagiert. Das Ergebnis ist ein hinsichtlich seiner Zusammensetzung sehr flexibel einstellbares Synthesegas, welches als Basis für klassische Kohlechemieprozesse genutzt werden kann.

Ein Power-to-X-Hub im Industriepark

„Der Industriepark Höchst ist ein hervorragender Standort für die Entwicklung nachhaltiger Technologien und bietet mit seiner Infrastruktur optimale Rahmenbedingungen für innovative Unternehmen“, sagte Dr. Joachim Kreysing, Geschäftsführer von Infraserv Höchst. Der 4,6 Quadratkilometer große Standort, an dem bereits 2006 eine erste öffentliche Wasserstoff-Tankstelle in betrieb genommen wurde, will zum "Innovationshub für synthetisches Kerosin" werden und hofft auf entsprechende Projekte und natürlich Fördermittel. Schon jetzt arbeitet die Betreibergesellschaft gemeinsam mit Ineratec und anderen Partnern im Rahmen des EU-Projekts „Ico2chem“ an einer Forschungsanlage für die Umwandlung von CO2 in chemische Produkte.

„Für uns als Partner der chemischen Industrie haben Energieeffizienz und Klimaschutz einen sehr hohen Stellenwert“, betonte Dr. Kreysing. Das Unternehmen und der Standort bekennen sich zu den Zielen der Branche, die bis zum Jahr 2050 die „CO2-freie Chemie“ anstrebt. „Für eine erfolgreiche Dekarbonisierung sind Technologien wie Power-to-Gas und Power-to-Liquid von großer Bedeutung,“ so Dr. Kreysing.

Der Gedanke, synthetisches Kerosin für den Flughafen Frankfurt in Höchst zu produzieren, findet sich bereits 2018 im hessischen Koalitionsvertrag: Hier wurde vereinbart, den Bau einer Pilotanlage für synthetisches Kerosin voranzutreiben, um erste wichtige Erfahrungen für die Kraftstoffwende vor allem im Luftverkehr zu ermöglichen.

Zusätzliche Dynamik bekam das Thema im Coronajahr 2020 durch die Klimapolitik von EU und Bundesregierung. Der Bund hat zudem umfangreiche Fördermittel für alternative Kraftstoffe und die Herstellung von „grünem“ Wasserstoff als wichtiges Eingangsprodukt für "grüne" Kraftstoffe im Bundeshaushalt verankert und arbeitet parallel mit Wirtschaft und Ländern an einer „Power-to-Liquid“-Roadmap.

„Um den Sustainable-Aviation-Fuels-Durchbruch zu ermöglichen, unterstützen wir technologische Entwicklungen, den Aufbau von vernetzten Infrastrukturen und die Schaffung von Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Markt", erklärt Bernhard Dietrich, Leiter des Kompetenzzentrum Klima- und Lärmschutz im Luftverkehr (CENA).

Was bremst den Höhenflug?

Allerdings werden auch in Zukunft noch eine ganze Weile Flugzeuge mit herkömmlichen Kerosin fliegen, sind Marktforscher überzeugt: Roland-Berger-Analysten rechnen nicht vor 2035 damit, dass nachhaltig produziertes Flugbenzin in nennenswerter Menge auf den Markt kommt. Hybrid-elektrische Antriebe oder Brennstoffzellen für Wasserstoff seien überhaupt erst in den späten 2030er-Jahren zu erwarten.

Außerdem bleibt als großer Bremsklotz auch weiterhin der Strompreis: Für die 4,6 Liter E-Fuel pro Jahr veranschlagt Ineratec einen Bedarf von 10 Megawatt regenerativ erzeugten Strom. Das geht ins Geld - denn bis auf weiteres bleibt "fossiles" Kerosin konkurrenzlos günstig

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