Handelsblatt Jahrestagung Chemie 2021 Green Deal: Will die Chemie mitgestalten, muss sie Lösungen anbieten
Klimaneutral bis 2050. Die Chemie kann und will dieses Ziel verwirklichen. Auf der diesjährigen Handelsblatt Jahrestagung Chemie machten Branchenvertreter deutlich, was zu leisten sie bereit sind. Aber auch was man im Gegenzug aus Berlin und Brüssel fordert.
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Die EU verschärft die Ziele des Green Deals. Die USA melden sich mit einem Milliarden schweren Investitionsprogramm in der Klimapolitik zurück. Und selbst China will bis 2060 CO2neutral sein. Politik und Gesellschaft ziehen weltweit die „grünen“ Daumenschrauben an. Das merkt auch die Chemie immer stärker. „Wir fühlen uns als Branche in der Defensive“, sagt Dr. Martin Brudermüller, BASF-Vorstandsvorsitzender und Cefic-Präsident, anlässlich der Handelsblatt Jahrestagung Chemie. Wie kann das sein? War und ist doch die Chemie grundlegend für das Gelingen der grünen Transformation – von E-Mobilität über grüne Energieträger bis hin zu Windkrafträdern.
Nicht die Ziele des Green Deals seien das Problem. Denn diese trage auch die Chemie. Sorge bereitet Brudermüller „die Art und Weise der geplanten Umsetzung.“ Zu hoch seien die Geschwindigkeit und die Erwartungen. Zu gering die Anstrengungen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Chemie zu sichern.
Christian Kullmann, Evonik-Vorstandsvorsitzender und VCI-Präsident, wurde dies bezüglich um einiges deutlicher: „Das grüne Programm ist eine Eistonne für Wachstum und Wohlstand in diesem Land.“ Konkret macht er das an folgenden Forderungen der Grünen fest:
- 70 Prozent weniger CO2 bis 2030,
- höhere CO2-Preise,
- CO2-Grenzsteuer und
- CO2-Preis für Wärme und Verkehr von 60 Euro schon für 2023.
Raus aus der Defensive
Forderungen, die die Chemie also noch weiter unter Druck setzen. Doch Brudermüller will „raus aus der Defensive und rein in die Offensive.“ Er fordert die Branche auf sich selbst ambitioniertere Ziele zu setzen. Sie müsse nicht nur zeigen was geht, sondern vor allem wie.
BASF geht auch gleich mit gutem Beispiel voran: Man habe sich ein anspruchsvolles Programm auferlegt, um den Standort Ludwigshafen bis 2050 klimaneutral zu machen. Bis 2030 verspricht Brudermüller die Emissionen weltweit um 25 Prozent zu reduzieren. Im Vergleich zu 1990 entspreche das einer Reduzierung um 60 Prozent. „Damit erfüllen wir das Pariser Klimaabkommen und die neu festgelegten Ziele der EU“, so Brudermüller.
Wie so oft geht mit dem großen Versprechen auch ein großes Aber einher: die Kosten. Bestehende Anlagen und Prozesse klimaneutral zu machen, kostet. Neue Prozesse für innovative Produkte zu entwickeln, kostet. Klimaneutrale Anlagen zu betreiben, kostet. „Dies ist wahrlich kein einfacher Weg. Und mit den bestehenden Regulierungen auch kein wirtschaftlicher“, macht Brudermüller die Ausgangslage der Chemie deutlich.
Auftrag an Politik und Gesellschaft
Wie die Zukunft der Chemie aussehen könnte und wo dringend Unterstützung notwendig ist, zeigt sich besonders deutlich am Beispiel des elektrisch beheizten Steamcracker-Ofen, den BASF gemeinsam mit Linde und Sabic am Standort Ludwigshafen erprobt. Ein Vorzeigeprojekt für die Dekarbonisierung der Chemie. Und eines, dass ohne Förderung nicht umsetzbar ist und so haben die Partner Fördermittel beim EU-Innovationsfonds und im Förderprogramm Dekarbonisierung in der Industrie beantragt. Brudermüller will keine neuen Subventionstöpfe. Aber eben Rahmenbedingungen, die „mit aller Kraft den Start ermöglichen.“
Dazu braucht die Chemie vor allem eines: mehr Strom zu günstigeren Preisen. Die Produktion von erneuerbaren Energien müsse massiv ausgebaut werden. Gleichzeitig muss an der Kostenschraube gedreht werden. Besonders die EEG-Umlage ist der Industrie ein Dorn. Dr. Robert Habeck, Bundesvorsitzender vom Bündnis 90/Die Grünen, zeigte sich gleich zu Beginn der Tagung verständnisvoll. Er wisse um die Forderung, mahnte er aber auch davor, dass die Kostensenkung der Energie einen Preis habe. Wenn auf der einen Seite entlastet werde, steige die Umlage auf andere – „entweder auf die Bürgerinnen und Bürger oder auf andere Branchen“, so Habeck.
„Wir wissen, dass die Betriebskosten des E-Crackers größer sind als bei einem gasbetriebenen Ofen“, macht Brudermüller deutlich. Auch bei den Betriebskosten braucht es also einen Ausgleich, um nachhaltige Prozesse wettbewerbsfähig zu machen. Dafür gibt es verschiedene Ansätze. Und nicht jeder stößt auf uneingeschränkte Zustimmung. Umstritten ist etwa die Anhebung des CO2-Preises. Während Klima- und Wirtschaftsforscher in der strengeren CO2-Bepreisung auf EU-Ebene ein wirksames Instrument zur Emissionssenkung sehen, fürchtet die Industrie Nachteile im internationalen Wettbewerb. Vor allem einen nationalen Alleingang sieht man kritisch. Weitaus positiver haben die Vertreter der Chemie auf Habecks Angebot für Carbon Contracts for Differences reagiert. Solche Verträge zwischen der Chemie und dem Staat würden die CO2-Einsparungen nachhaltiger Technologien bepreisen. Über eine entsprechende Vergütung ließen sich die höheren Betriebskosten dann ausgleichen.
Partnerschaften werden immer wertvoller
Wettbewerbsfähigkeit ist auch immer eine Frage der Schnelligkeit. Produkte und Prozesse in der chemischen Industrie müssen schneller in den Markt. Allein ist das schwer zu schaffen. Auch der E-Cracker in Ludwigshafen ist ein Gemeinschaftsprojekt. „Wir brauchen Allianzen, wenn wir schnell sein wollen. Es ist wichtig, dass wir die Kompetenzen unterschiedlicher Unternehmen zusammen bringen“, hob Brudermüller hervor.
Mehr Kollaboration fordert auch Dr. Markus Steilemann, Covestro-Vorstandsvorsitzender. Besonders in der Rohstofffrage. Vor allem die Kunststoffindustrie brauche sehr guten Zugang zu erneuerbaren Kohlenstoffquellen, wenn die Transformation in der Chemie gelingen soll. „Dabei ist es wichtig, dass wir neue Kohlenstoffquellen erschließen, indem wir auch ungewöhnliche Partnerschaften vorantreiben“, so Steilemann und verweist auf die Allianz der Covestro mit der Stahlindustrie. Dank dieser Allianz kann das Unternehmen Hüttengase in gemeinsamen Projekten als Kohlenstoffquelle zu nutzen.
Von der Basischemikalie bis hin zum Konsumenten: Soll die grüne Transformation gelingen, braucht es Partnerschaften entlang der gesamten Wertschöpfungsketten
Teil der Partnerschaften müsse aber auch der Konsument sein. So fordert Brudermüller die Branche auf, transparent zu machen, dass Klimaneutralität seinen Preis hat. Der Kunde müsse bereit sein, für klimaneutrale Produkte tiefer ins Portemonnaie zu greifen. Aber auch die Chemie wird ihre Beziehung zum Kunden und ihre Geschäftsmodelle neu denken müssen. Dies gilt vor allem für Produkte, die sehr unterschiedlich genutzt werden. Denn im Gegensatz zur PET-Flasche ist häufig noch offen, wie diese wieder zurück in den Kreislauf kommen. Ingemar Bühler, Hauptgeschäftsführer von Plastics Europe Deutschland, sieht einen Weg in der Shared Economy. Also weg von Besitzverhältnissen hin zu Nutzungsverhältnissen, wie Sharing-Modelle oder Leasing.
Auch wenn sie nicht Teil der Wertschöpfung ist, sieht die Industrie in der Politik einen wichtigen Partner. Nur hier können die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit die Chemieindustrie in Deutschland und Europa auch morgen noch Antworten auf die drängenden Fragen des Klimawandels entwickeln kann. „Wir brauchen Planungssicherheit. Wir brauchen eine Basis für dringend notwendige Investitionen“, betont Steilemann. Schließlich sollen Anlagen, die heute gebaut werden, auch in 30 Jahren noch arbeiten. Mit dem Ziel vor Augen bis 2050 klimaneutral zu sein, drängt also die Zeit.
Eines zeigte die Handelsblatt Tagung Chemie deutlich: Soll die Chemie klimaneutral innovative Produkte für die grüne Transformation produzieren, muss sich das auch rechnen. Der Wille ist da. Nachhaltige Verfahren sind in der Entwicklung. Jetzt gilt es schnell stimmige und verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen.
* Die Autorin arbeitet als Fachredakteurin „Management“ für die Vogel Communications Group.
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