China Market Insider Branchenreport: Mission Selbstversorgung fördert und fordert Chinas Petrochemie
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In einer neuen Serie beleuchtet PROCESS die einzelnen Bereiche der chemischen Industrie in China. Im zweiten Teil der Reihe geht es nach der Düngemittelindustrie um die Petrochemie. Im Schatten des neuen Fünfjahresplans soll die Branche wachsen und Chinas Selbstversorgung sichern.

Peking/China – Chinas Wirtschaftspolitik beschert der petrochemischen Industrie des Landes neues Wachstum. Davon sollen aber künftig immer stärker heimische Unternehmen profitieren. So lassen sich die Analysen von Marktbeobachtern zusammenfassen, die anlässlich des neuen Fünfjahresplans in der Volksrepublik einen Überblick über die Lage der chemischen Industrie geben.
Der 14. Fünfjahresplan für die Jahre 2021 bis 2025 ist bereits im Entwurf fertig und soll im März vom Nationalen Volkskongress in Peking verabschiedet werden. Er ist wichtig, weil die wirtschaftliche Entwicklung Chinas zu einem großen Maß von den Plänen der Kommunistischen Partei und Regierung bestimmt wird. Die Richtung, in die Peking die petrochemische Industrie zu lenken versucht, ist bereits klar erkennbar.
Der Handelskrieg mit den USA, die Coronakrise sowie die ideologischen Überzeugungen des Staats- und Parteiführers Xi Jinping haben das Thema „Selbstversorgung“ an die Spitze der politischen Agenda gehoben. Daraus ergeben sich für die petrochemische Industrie konkrete Veränderungen.
„Es geht in Richtung kompletter heimischer Autarkie in petrochemischen Produkten und nachgeordneten Wertschöpfungsketten wo immer das machbar ist”, schreibt das Marktforschungsinstitut ICIS. „Heimische Zirkulation“ sei das Kernstück der neuen Industriepolitik, und es werde auch auf die petrochemische Industrie des Landes angewendet, glaubt ICIS.
China werde daher die schon im noch laufenden, alten Fünfjahresplan begonnene Integration von Crackern und Aromaten-Anlagen mit Raffinerien weiter intensivieren. Auch die Produktion von Polymeren mit höherem Mehrwert, sowie insgesamt die Produktion von Spezial- und Feinchemikalien an heimischen Verbundstandorten werde weiter gefördert werden, so die Analysten.
Nur für eine zunehmend kleine Gruppe von petrochemischen Produkten wie PE und Ethylenglykole (EG) sei China noch weit von seinem Ziel der Selbstversorgung entfernt, so die Marktbeobachter. Allerdings werde China auch da versuchen, Importe künftig stärker aus befreundeten Ländern entlang seiner neuen “Belt-and-Road”-Achse zu beziehen.
Aus den Strategien der größten petrochemischen Konzerne Chinas lässt sich ebenfalls bereits ablesen, wohin die Reise in den kommenden Jahren gehen soll. Die Betonung des heimischen Konsums und der Produktion wichtiger Industriegüter innerhalb der eigenen Landesgrenzen werde die Nachfrage nach Kunststoff und damit nach bestimmten petrochemischen Produkten stark steigen lassen, schreibt auch die Agentur S&P Global.
So habe Sinopec petrochemische Produkte und die Entwicklung neuer Spezialchemikalien als größten Wachstumstreiber für die kommenden fünf Jahre identifiziert und investiere entsprechend in neue Anlagen, schreibt S&P Global. In den ersten neun Monaten des Jahres 2020 habe Sinopec 21 % mehr in diesen Sektor investiert als im Vorjahr.#
Die steigende Nachfrage nach petrochemischen Produkten werde in den kommenden Jahren auch Chinas Rohölimporte steigen lassen, sagen die meisten Analysten voraus – und dies obwohl die Nachfrage nach Treibstoffen für Transport aufgrund der neuen Förderung von Elektrofahrzeugen und Fahrzeugen mit anderen alternativen Antrieben wie Hybride oder Brennstoffzellen allmählich sinken wird.
70 bis 80 % der neuen Raffineriekapazitäten die bis 2027 in Asien in Betrieb genommen werden, sind in Verbundstandorten auf Kunststoff fokussiert, glaubt die Beratungsagentur Wood Mackenzie, und China ist ein großer Teil davon. Schon 2020 haben Chinas Raffinerien trotz der weltweiten Coronakrise 3 % mehr Rohöl verarbeitet, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters kürzlich.
Der Jahresdurchsatz an Rohöl lag offiziellen Statistiken der Nationalen Statistikbehörde in Peking im vergangenen Jahr bei 674.41 Millionen Tonnen. Das sind rund 13,45 Millionen Fässer pro Tag. Besonders die erstaunliche Erholung der chinesischen Fertigungsindustrie ab dem zweiten Quartal 2020 habe die Nachfrage steigen lassen, glauben Experten von SIA Engery.
Manche Beobachter warnen aber auch vor künftigen Überkapazitäten in Chinas petrochemischer Industrie, die sich bereits jetzt abzeichneten. „China investiert Milliarden von Dollar in neue Mega-Raffinerien obwohl die Nachfrage nach Treibstoff innerhalb der nächsten fünf Jahre ihren Höhepunkt erreichen wird”, schreibt die Nachrichtenagentur Bloomberg. Das lege nahe, dass es die Region künftig „mit billigen Exporten überfluten werde”, schreibt die Agentur.
Seit 2019 hat China seiner Industrie eine Raffineriekapazität von einer Million Fässern pro Tag hinzugefügt, und gegenwärtig sind vier weitere Großprojekte mit einer weiteren Kapazität von 1,4 Millionen Barrel pro Tag in Bau. Chinas Petrochemie positioniere sich, um zunehmend globale Marktanteile petrochemischer Produkte zu erobern, indem es seine Raffineriekapazitäten weiter ausbaue, obwohl der Bedarf an Treibstoffen durch die Förderung der E-Mobilität und anderer grüner Technologien bald zurückgehen werde, zitiert Bloomberg Michael Meidan, den Chinadirektor des Oxford Institute for Energy Studies.
Selbst wenn die derzeit in Bau befindlichen Raffinerien in den Provinzen Zhejiang, Jiangsu und Yantai Rohöl immer stärker direkt in petrochemische und Plastikprodukte umwandeln werden, ergebe sich dennoch ein erhöhter Bedarf für chinesische Treibstoffexporte nach Australien und Europa, sagt Bloomberg voraus.
Weil in China gerade so viele neue Raffinerien gebaut werden, die Coronakrise aber die globale Nachfrage dämpfe, werden Chinas Raffinerien trotz der steigenden Nachfrage nach bestimmten Produkten im laufenden Jahr 2021 vermutlich niedrigere Auslastungsquoten haben, zitiert S&P Global Han Bing, eine Managerin bei Petrochina.
Insgesamt versucht sich Chinas Führung mit ihrer petrochemischen Industriepolitik an einer schwierigen Gratwanderung zwischen der Sicherung wirtschaftlicher Kapazitäten mit Blick auf die politisch erwünschte „Selbstversorgung“ und dem Entstehen staatlich finanzierter Überkapazitäten.
* Henrik Bork, langjähriger China-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau, ist Managing Director bei Asia Waypoint, einer auf China spezialisierten Beratungsagentur mit Sitz in Peking. „China Market Insider“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Vogel Communications Group, Würzburg, und der Jigong Vogel Media Advertising in Beijing.
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