Digitalisierung in der Chemieindustrie Wie man Daten zu Geld macht

Redakteur: Anke Geipel-Kern

Daten gibt es in der Prozessindustrie mehr als genug. Doch wie münzt man Daten in einen Business Case um, der sich in Euro auszahlt? Bei Lanxess koppelt man ein Simulationsmodell an das bestehende Prozessdatensystem und kombiniert das mit einem Optimierungsalgorithmus. Der Betriebsleiter des Phosphorchemikalien-Betrieb spart dank dieser pragmatischen Lösung eine sechsstellige Summe im Jahr. Und ist so begeistert, das bald jeder Produktionsprozess des Betriebs einen digitalen Zwilling erhält.

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Steuerung der Alkyphosphat-Anlage
Steuerung der Alkyphosphat-Anlage
(Bild: Lanxess)

Die Digitalisierung führt in allen Industriezweigen zu umwälzenden Veränderungen. In jedem Bereich der Wertschöpfungskette – von der Entwicklung über die Produktion bis hin zum Vertrieb – findet derzeit eine digitale Transformation statt. Beim Kölner Spezialchemie-Konzern Lanxess ist man davon überzeugt, dass dies auch die Chemieindustrie radikal verändern wird.

Ein aktuelles Beispiel ist der Phosphorchemikalien-Betrieb des Unternehmens, der unter anderem Flammschutzmittel produziert. Der Betrieb im Leverkusener Chempark kann dank einer intelligenten Auswertung der Prozessdaten die Produktion jetzt deutlich effizienter gestalten und dabei jährlich 4000 Tonnen CO2 einsparen.

Angefangen hatte das Projekt Mitte 2019, als F&E-Experten von Lanxess ein Simulationsmodell für eine Anlage in Leverkusen zur Herstellung von Alkylphosphaten erstellten. Bei einer Schulung zum Thema Prozessdatenanalyse kam Betriebsleiter Dr. Peter Karbaum mit dem Referenten Dr. Sebastian Recker, Prozessentwickler bei Lanxess ins Gespräch. Dabei entstand die Idee, dieses Anlagenmodell an das Prozessdatensystem Osisoft PI zu koppeln.

So entsteht Mehrwert: Simulationsmodell und Prozessdatensystem koppeln

Betriebsleiter Dr. Peter Karbaum
Betriebsleiter Dr. Peter Karbaum
(Bild: Lanxess)

„Osisoft PI ist eigentlich unsere Datenkrake“, sagt Karbaum. „Das Programm erfasst alle relevanten Daten des laufenden Produktionsprozesses, interpretiert diese Informationen aber nicht. Doch genau an diesem Punkt wird es erst interessant.“ Recker ergänzt: „Bisher gibt es dafür kein Programm von der Stange. Uns hat nichts hundertprozentig überzeugt. Entweder waren die Programme zu teuer oder zu unflexibel.“

Daher entschlossen sie sich, etwas Eigenes zu kreieren. Die Idee war, die Prozessdaten mit der Software GAMS (General Algebraic Modeling System), eine Modellierungssprache für mathematische Optimierungsprobleme, auszuwerten. Innerhalb weniger Wochen entwickelte das Team aus Verfahrenstechnikern eine Schnittstelle zwischen GAMS und Osisoft PI.

Das Programm läuft seit Juli 2020 – und die ersten Ergebnisse sind vielversprechend. Der Vorteil dabei ist, dass die Darstellung weiterhin in PI Vision, dem Standardtool von Osisoft zur Darstellung von Daten, erfolgt. Der Anlagenfahrer muss sich daher nicht an eine separate Software gewöhnen. Das Ergebnis ist eine Simulation in Echtzeit, die genau auf die Anlage abgestimmt ist.

„Wir können zudem durch die intelligente Aufbereitung der Daten neue Erkenntnisse gewinnen. Zum Beispiel ist der theoretische Dampfbedarf über den kompletten Prozess erfassbar“, erläutert Karbaum. „Dadurch haben wir erkannt, dass wir in einem Teilbereich der Anlage aktuell deutlich mehr Dampf verbrauchen, als wir eigentlich benötigen. Das haben wir neu justiert und sparen so in der momentanen Fahrweise 600 Kilogramm Dampf pro Stunde ein.“ Die Kostenersparnis beziffert er auf 80 000 bis 100 000 Euro pro Jahr. Gleichzeitig lassen sich so jährlich knapp 4000 Tonnen CO2 vermeiden.

Ein digitaler Zwilling für den gesamten Prozess

Das Prinzip hinter dieser Lösung: Das Programm erfasst die Daten aus dem Prozessleitsystem und übergibt sie an GAMS. In GAMS werden mit rigorosen Prozessmodellen, wie sie auch in kommerziellen Simulationstools verwendet werden, produktionsrelevante Parameter wie die Verweilzeit, die Zusammensetzung der Stoffströme und die aktuelle Belastung der Kolonnen berechnet.

Außerdem durchläuft das Modell einmal pro Stunde einen Optimierungsalgorithmus, der die benötigte Dampfmenge bestimmt und Empfehlungen gibt, wie die Anlage Energie optimal gefahren werden kann. Bis Mitte nächsten Jahres soll ein digitaler Zwilling den gesamten Prozess auf der entsprechenden Anlage nachbilden – angefangen bei der Bereitstellung der Rohstoffe bis hin zur Abfüllung der Produkte.

Die Umsetzung für die reale Anlage soll ebenfalls bis dahin erfolgen. Um weitere Einsparpotenziale zu heben und die Produktivität noch weiter zu erhöhen, sollen mittelfristig alle zwölf Produktionsprozesse des kompletten Betriebs als digitale Zwillinge nachgebildet werden.

Wo noch Potenzial für Verbesserungen liegt

Dr. Sebastian Recker, Prozessentwickler bei Lanxess
Dr. Sebastian Recker, Prozessentwickler bei Lanxess
(Bild: Lanxess)

Für Recker steht fest, dass in vielen Betrieben noch ein gewaltiges Potenzial schlummert, wenn man das vorhandene Wissen richtig nutzt und es mit modernster Technik kombiniert. „Auf diese Weise können wir oft auch aus älteren Anlagen viel herausholen – und das meist ohne größere Investitionen“, betont der Ingenieur. „Vor allem, wenn die Simulationsmodelle bereits vorliegen, können wir solche Projekte schnell umsetzen.“

Digitalisierung als Strategie

Das Projekt ist nur eines von zahlreichen im Rahmen der Digitalisierungsinitiative von Lanxess. 2017 hat der Spezialchemiekonzern dafür einen eigenen Bereich gegründet. Zentrale Handlungsfelder der Initiative sind die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle, die Einführung neuer Technologien entlang der Wertschöpfungskette, der Aufbau und die Nutzung von Big Data sowie die Verankerung digitaler Kompetenzen bei den Mitarbeitern. Erst zu Jahresbeginn verkündeten die Kölner, weite Teile ihres Anlagenparks mit Datenanalyse-Software ausgestattet zu haben, um damit die Kapazitätsauslastung zu steigern und Kosten zu senken.

* Der Beitrag wurde PROCESS von Lanxess zur Verfügung gestellt.

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