China Market Insider Warum China auf Megafusionen setzt
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Mega-Merger in der chemischen Industrie sind international aus der Mode geraten. Nur China widersetzt sich diesem Trend. Gerade wird dort wieder an der Fusion der zwei Giganten Sinochem und Chemchina gearbeitet. Warum?

Peking/China – Ein möglicher Zusammenschluss von Sinochem und Chemchina, der Angaben von Insidern zufolge in diesem Jahr stattfinden könnte, würde einen gigantischen Chemiekonzern mit Einnahmen von mehr als einer Billion chinesischer Yuan (mehr als 120 Milliarden Euro) aus der Taufe heben. Die zu erwartende Marktkapitalisierung wäre dann ungefähr so groß wie die von BASF, Dow und Air Liquide zusammen.
Warum also? Westliche und chinesische Chemiekonzerne seien unterschiedlichen Kräften ausgesetzt, zielten aber übereinstimmend auf die Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit, heißt es in einer Analyse aus chinesischer Perspektive. Bei den Geschäftsfeldern von Chemchina und Sinochem gebe es objektiv gesehen große Überschneidungen, hat PROCESS (China) beobachtet.
Doch während international gerade die Reduzierung von Managementkosten durch eine Vereinfachung von Unternehmensstrukturen und die Konzentration auf wenige Kernbereiche „en vogue” ist, überwiegt in China der Wunsch nach der Kreation von neuen Riesen-Konglomeraten, die Skalierungseffekte nutzen können und eine Dominanz von Märkten anstreben können.
Die zwei strategischen Ansätze sind in der Tat so unterschiedlich, wie es überhaupt denkbar ist. Ende Juni hat BP bekannt gegeben, sein Chemiegeschäft für rund fünf Milliarden Dollar an Ineos abzustoßen. Auch in anderen Industriebereichen stehen international die Zeichen der Zeit auf Entflechtung, Zerschlagen von Riesen, Verkleinerung – kurzum auf Veräußerung.
Anders in China. Der Merger von Sinochem und Chemchina hat im Januar dieses Jahres mit einer Konsolidierung des Agrargeschäfts der beiden chinesischen Staatsbetriebe in eine neue Holding-Gesellschaft namens Syngenta Group begonnen. Chemchina hatte die Schweizer Syngenta erst 2016 für 34 Milliarden Dollar erworben, seither an dem Geschäft aber wenig Freude gehabt.
In China gibt es keine Aktiven Investoren, die börsennotierte Unternehmen auf Jahresversammlungen an die Kosten von M&As erinnern. Auf Profite kann zur Not auch jahrelang mit Hinblick auf höhere, strategische Ziele verzichtet werden, wie im Fall der Syngenta-Übernahme durch Chemchina. Dennoch spiele die schlechte Performance des Agro-Business sehr wahrscheinlich eine große Rolle in den Fusionsplänen von Sinochem und Chemchina, vermuten unabhängige Analysten in China.
Politische Trends spielen bei solchen Mega-Mergern ebenfalls eine wichtige Rolle. Unter der Führung des gegenwärtigen Staats- und Parteipräsidenten Xi Jinping findet eine fortschreitende Konsolidierung chinesischer Staatsbetriebe in immer größere Konglomerate statt. So wächst in den Augen der Zentralplaner die direkte Kontrolle der Partei über die chinesische Wirtschaft.
Die EU-Wirtschaftskammer in Peking spricht in einem in diesem Jahr veröffentlichten Papier vom Entstehen eines neuen Modells in China, das sie „eine Wirtschaft, zwei Systeme” nennt. Der Staatssektor mit immer größeren, großzügig mit Krediten versorgten Industriegiganten besetzt strategische Märkte, während nur im parallel existierenden privaten Sektor eine gewisse Öffnung gegenüber und sogar Wettbewerb mit ausländischen und multinationalen Unternehmen in China zugelassen wird.
Nur langfristig wird sich beurteilen lassen, welche Strategie im Hinblick auf den chinesischen internationalen Chemiemarkt die bessere war – Mega-Merger oder das Abstoßen von Geschäftsbereichen. Die Nachrichtenagentur Bloomberg verweist im Kontext der geplanten Fusion von Sinochem und Chemchina auch auf die großen Schuldenberge, die der Staatsbetrieb bereits angehäuft hat. „Größe ist nicht alles”, schreibt Bloomberg. „Jeder abgeschlossene Sinochemchina-Deal wird wohl am Ende weniger nach einem Triumph aussehen als nach einem Humpeln über die Ziellinie.”
* Henrik Bork, langjähriger China-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau, ist Managing Director bei Asia Waypoint, einer auf China spezialisierten Beratungsagentur mit Sitz in Peking.. „China Market Insider“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Vogel Communications Group, Würzburg, und der Jigong Vogel Media Advertising in Beijing.
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