Carbon Capture Kreislauf oder Kollaps? Darum setzt die Chemie auf CO2-Recycling
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Wer Power-to-X sagt, denkt häufig an Wasserstoff. Dabei brauchen die meisten Prozesse auch einen Reaktionspartner – und nicht wenige Produkte brauchen eine Kohlenstoffquelle. Da böte sich ein Gas an, das eigentlich keiner so recht haben will: CO2.

Weg damit! Hört man sich auf der Straße oder im Bekanntenkreis um, scheint der Fall klar: CO2 ist ein rundum schädliches Molekül, Rückstand übler Verbrennungsprozesse und häufig fossiler Klimaschädling. In einer postfossilen Welt grüner Technologien scheint für das Gas kein Platz. Und nicht nur das: Wenn endlich alle Prozesse elektrifiziert wären, müssten wir uns über Kohlendioxid keine Gedanken machen.
Da stört die Diskussion über das Thema Carbon Capture nur, scheint es. Und das nicht erst seit gestern: Auch wenn sich die Bundesregierung und ihr grüner Wirtschaftsminister nach und nach für das Thema erwärmen (zumal, wenn es nicht in Deutschland, sondern im Kontinentalschelf der norwegischen „ausschließlichen Wirtschaftszone“ in der Nordsee geschieht): Noch 2011 führten Umweltverbände und auch grüne Politiker eine erbitterte Abwehrschlacht gegen Carbon-Capture-Projekte. Mochte die damalige schwarz-gelbe Regierung noch so sehr für das Potenzial des „Verpressen“ des Klimagases trommeln, am Ende kippten die Bundesländer ein entsprechendes Gesetz.
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Pumpen und Verdichter
Abgesaugt und eingepresst: Pumpen und Fluidik für Carbon-Capture
Jetzt also die CO-Z(w)eitenwende: Carbon Capture ist vielleicht doch nicht so schlecht – zumal auch der Weltklimarat spätestens seit 2018 die Notwendigkeit des Einlagerns von Emissionen betonen. Und die Chemie? Die will alles vorher gewusst haben – und wirft die Idee einer Kreislaufwirtschaft für CO2 in den Ring. Denn, auch das darf nicht vergessen werden, die Chemie-Industrie wie wir sie heute kennen, steht auf fossilen Füßen. Ohne Kohle, Naphtha und Erdgas wären die zahllosen Kohlenwasserstoffe kaum vorstellbar. Nun ließe sich Wasserstoff auch de-fossil als „grünes“ Elektrolysegas erzeugen – aber woher soll der Kohlenstoff kommen?
Stoff ohne Kohle? Diese C-Quellen gibt es
Nicht aus Kohle, Gas oder Öl jedenfalls, da sind sich alles einig. Stattdessen Biomasse (immerhin basiert ja alles Leben auf Kohlenwasserstoffen), Abfällen oder eben CO2. Der VCI spricht deshalb auch nicht gerne von einer Dekarbonisierung sondern Defossilisierung der Wirtschaft – und erinnert daran, dass auch Chemieprodukte letztlich CO2-Speicher sind.
Egal ob aus Biogas, Fabrikschloten oder der Luft, erst einmal muss das CO2 aufgefangen und konzentriert werden. Dafür wird Kohlendioxid neben anderen sauren Gaskomponenten in einer leicht alkalischen Aminlösungen bei erhöhter Temperatur und Druck adsorbiert (sogenannte Aminwäsche) – dieses Verfahren ist je nach CO2-Konzentration unterschiedlich aufwändig, ermöglicht jedoch durch die Regeneration des „Waschmittels“ ein aufkonzentrieren des gebundenen Gases (ein entscheidender Vorteil gegenüber anderen Methoden).
Deponieren oder nutzen? Was folgt auf Carbon Capture
Je nachdem, ob das so aufgefangene CO2 nun deponiert wird (etwa in alten Erdgaslagerstätten) oder weiter genutzt werden soll, spricht man von CCS (Carbon Capture and Storage) oder CCU (Carbon Capture and Utilization). Das Problem bleibt der vergleichsweise hohe Energieaufwand des Verfahrens: Würde man etwa ein Kohlekraftwerk mit einer nachgeschalteten CO2-Abscheidestrecke betreiben, würden zwischen einem Viertel und der Hälfte des Brennstoffbedarfs zusätzlich fällig.
Geht es alleine um die Klimawirkung steht CCS damit in Konkurrenz zu Einsparmaßnahmen bzw. einem CO2-Preis von derzeit zwischen 80 und 100 Euro pro Tonne. Der Energieaufwand ist auch der Pferdefuß des Direct-Air-Capture genannten CO2-Abscheidens aus der Luft – hier entstehen, je nach Verfahren, Kosten von 500 bis 900 Euro pro Tonne „gewonnenes“ CO2. Und nicht nur das: Diese Verfahren konkurrieren natürlich anderen Prozessen um verfügbare, emissionsneutrale Energie. Direct Air Capture ist daher eigentlich nur in Regionen mit großen Energieüberschüssen etwa aus Geothermie, PV oder sehr stabilen Windverhältnissen vorstellbar.
Kommt jetzt die CO2-Kreislaufwirtschaft?
Deswegen hält auch der Chemieverband nichts von der Idee, einfach mit dem Verbrauch fossiler Rohstoffe weiterzumachen wie bisher und das entstehende CO2 einfach abzuscheiden. In Zukunft müsste also auch das Kohlendioxyd „defossilisiert“ werden – zumindest das für die Chemie.
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Bis dahin brauche es aber für den Aufbau der CO2-Kreislaufwirtschaft Kohlendioxid aus allen – auch fossilen Quellen. Der alte Traum von der Schornsteinchemie soll so an großen Punktquellen – etwa Stahl-, Zement- oder Kraftwerken – laufen lernen. Helfen würde dabei, wenn der Gesetzgeber das Abscheiden von Kohlendioxid aus Abgasen genauso wie aus der Luft anerkennen würde, ist der VCI überzeugt. Außerdem wünscht sich die Chemie, dass auch die kommunale Abfallverbrennung einen CO2-Preis bekommt – ja, auch die Mülltonne soll künftig Emissionsgebühr zahlen – nur so bestünde ein Anreiz, diese Emissionen zu verringern bzw. aufzufangen – und das bedeutet günstige Rohstoffe für die Kohlendioxid-Kreislaufwirtschaft.
Wenn man schon dabei ist, könnte man ja auch gleich die so hergestellten Chemieprodukte als CO2-Speicher anerkennen, meint der Verband – immerhin sei damit das Klimagas zumindest für die Lebensdauer des Materials erst einmal sicher eingefangen. Wünschen kann man ja dürfen, kurz vor Weihnachten.
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