China Market Insider China will Unabhängigkeit von Industriegase-Riesen

Von Henrik Bork

Anbieter zum Thema

Industriegase hat man in China viele Jahre lang von der Firma Linde und ihren Konkurrenten Air Products und Air Liquide gekauft, ohne sich viel dabei zu denken. Nun aber gelten Linde & Co. und ihre Marktmacht in der Volksrepublik plötzlich als Problem.

Mit dem Format „China Market Insider“ berichtet PROCESS regelmäßig über den chinesischen Chemie- und Pharmamarkt.
Mit dem Format „China Market Insider“ berichtet PROCESS regelmäßig über den chinesischen Chemie- und Pharmamarkt.
(Bild: ©sezerozger - stock.adobe.com)

Peking/China – Das Industrieministerium MIIT und mehrere andere Ministerien haben Anfang des Jahres ein Koordinationstreffen zum Thema Industriegase abgehalten. Dabei war von „choke points“, also von gefährlichen Engpässen, und der Befreiung der chinesischen Industrie von den ausländischen Monopolisten die Rede, berichtet die Finanzzeitung Shanghai Zhengquan Bao.

Der Grund für diesen grundlegenden Stimmungswandel ist der Handelskrieg zwischen Washington und Peking. Seit der ehemalige US-Präsident Donald Trump begonnen hat, Chinas wirtschaftlichen Aufstieg mit der Hilfe von Handelsboykotten zu verlangsamen, sind in der Zentrale der Kommunistischen Partei Chinas sämtliche Warnlampen auf einmal aufgeleuchtet.

Weil vor allem hochwertige Industriegase auch bei der Produktion von Computer-Chips und anderer Elektronik gebraucht werden, fordert die Partei nun die „inländische Substitution“ nicht nur für Halbleiter, sondern auch für Industriegase. Auf Deutsch: Ausländische Hersteller in sämtlichen Schlüsselindustrien sollen so schnell wie möglich durch heimische, chinesische Produzenten ersetzt werden, um weiteren politischen Erpressungen aus dem Ausland vorzubeugen.

Öffentlich zugängliche Statistiken zeigten, dass der „Markt für Elektronik-Gase global zu beinahe 80 % und in China beinahe zu 90 % von den internationalen Giganten Linde aus Deutschland, sowie Air Products and Chemicals aus den USA, Air Liquide aus Frankreich und Taiyo Nissan aus Japan kontrolliert werde”, schreibt die Finanzzeitung in mahnendem Ton.

Wie man sieht, wird die Firma Linde in China noch immer vorwiegend als deutsche Firma wahrgenommen, obwohl die Enkel Carl von Lindes nach ihrer letzten internationalen Fusion mit Praxair den Firmensitz ihrer „Linde plc“ nach Dublin und ihre operative Zentrale ins britische Guildford verlegt haben. Doch das spielt eigentlich keine Rolle – nicht nur Linde, sondern sämtliche ausländischen Lieferanten von Industriegasen gelten neuerdings in Peking als Teil eines Problems, das es zu lösen gilt.

Im „Würgegriff ausländischer Riesen“

Das Thema, welche Spezialgase zur Herstellung von integrierten Schaltkreisen oder hochwertigen Bildschirmen bereits in China produziert werden können und zu welchem Prozentsatz, beherrscht seit Monaten die Berichterstattung der chinesischen Fachmedien. Es hat bisweilen Züge einer Selbstgeißelung, wenn Experten immer wieder die Abhängigkeit ihrer Heimat vom „Würgegriff ausländischer Riesen“ über den Gas für Industriegase beschwören.

„Von den fünfzig oder sechzig wichtigsten Spezialgasen, hat unsere Lokalisierungsrate weniger als ein Drittel erreicht”, zitiert die Shanghaier Finanzzeitung Bai Jiu, den ehemaligen Leiter der Elektroniksparte der Linde Group China, der offensichtlich nun auch seine patriotische Ader entdeckt hat. Allerdings liefert Bai Jiu auch einen Realitätscheck für alle Zentralplaner, die von einer raschen Ablösung von Linde & Co. durch heimische Hersteller träumen. Aufgrund minderwertiger Technologien und Ausrüstung sei die „Wettbewerbsfähigkeit heimischer Lieferanten von Elektronik-Gasen noch relativ schwach”, wird Bai Jiu von der Zeitung zitiert.

Nun aber wird Geld in die Entwicklung chinesischer Kapazitäten gesteckt, und zwar eine Menge. Der „IC Big Fund (II)“, Chinas staatlicher Investment-Fonds zum schnellstmöglichen Aufbau einer chinesischen Halbleiter-Industrie, investiert auch in Firmen in den vorgeordneten Lieferketten der Chip-Produktion. Chinesische Hersteller von Performance Materials und Spezialgasen erhalten seit kurzem strategische Investitionen.

Der chinesische Staat gibt neuerdings auch mehr Geld für Forschung & Entwicklung im Bereich Industriegase aus. Chinesische Spezialgas-Unternehmen „wie Huate Gas und Jinhong Gas haben endlich die Führung beim Brechen des technologischen Monopols der ausländischen Riesen übernommen”, dürfen Chinas Medien daher jubeln.

So produziere etwa Huate Gas in der Südprovinz Guangdong, ein chinesischer Konzern mit einem Jahresumsatz von umgerechnet rund 58 Millionen Euro allein im Bereich industrielle Spezialgase, bereits „die inländische Substitution von 20 verschiedenen Produkte wie Hexafluorethan und Trifluoromethan mit hohem Reinheitsgrad, Lithographie-Gase, besonders reines Karbon-Tetrafluorid oder auch Octafluoropropan geschafft”, applaudieren chinesische Medien.

Chinesischer Gase-Markt wächst rasant

Da nicht nur die petrochemische Industrie, sondern auch die Elektronik-, Photovoltaik- und Gesundheitsindustrie in der Volksrepublik schnell wachsen, sind die Prognosen für die Nachfrage nach Industriegasen sehr optimistisch. Zwischen 2010 und 2018 sei der Markt für Industriegase in China jährlich mit 16 Prozent gewachsen, viel schneller als der Weltmarkt (rund neun Prozent), schreiben die „Dongxing Chemical Industry Insights“. Das Wachstum habe sich zwar leicht abgeschwächt, werde aber in den kommenden Jahren in China weiterhin rund zehn Prozent pro Jahr erreichen (im Vergleich zu etwa sieben bis acht Prozent auf dem Weltmarkt), schreibt das Fachmedium.

Jetzt Newsletter abonnieren

Verpassen Sie nicht unsere besten Inhalte

Mit Klick auf „Newsletter abonnieren“ erkläre ich mich mit der Verarbeitung und Nutzung meiner Daten gemäß Einwilligungserklärung (bitte aufklappen für Details) einverstanden und akzeptiere die Nutzungsbedingungen. Weitere Informationen finde ich in unserer Datenschutzerklärung.

Aufklappen für Details zu Ihrer Einwilligung

Es ist anzunehmen, dass die internationalen Industriegas-Konzerne, allen voran der globale Marktführer Linde, noch eine Weile lang von dieser Entwicklung profitieren werden. Wie lange noch, ist allerdings seit kurzem unklar.

Chinesische Konkurrenten wie die Yingde Gas Group in Shanghai oder Hangyang (Hangzhou Oxygen Plant) stehen bereit, mehr und mehr Aufträge von chinesischen Staatsbetrieben zu übernehmen. Auch im Bereich Spezialgase für die Elektronikindustrie gebe es immer mehr chinesische Firmen, die neuerdings „Importe ersetzen“, darunter etwa Jiangsu Nata Chem, schreibt Dongxing. Auch bei Konkurrenten wie Jinhong Gas oder Jiangsu Yoke Technology wird heftig in das Geschäft mit hochwertigen Industriegasen investiert.

* Henrik Bork, langjähriger China-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau, ist Managing Director bei Asia Waypoint, einer auf China spezialisierten Beratungsagentur mit Sitz in Peking. „China Market Insider“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Vogel Communications Group, Würzburg, und der Jigong Vogel Media Advertising in Beijing.

(ID:47477929)