China Market Insider Branchenreport: Chinas Fein- und Spezialchemie erhält patriotischen Förderschub
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In einer neuen Serie beleuchtet PROCESS die einzelnen Bereiche der chemischen Industrie in China. Im dritten Teil der Reihe geht es nach der Düngemittelindustrie und der Petrochemie um die Fein- und Spezialchemie im Reich der Mitte. In diesen Sektor der chemischen Industrie will der Staat, in den kommenden Jahren, massiv investieren um Abhängigkeiten zu reduzieren.

Peking/China – Die Fein- und Spezialchemie wird in China ab jetzt massiv vom Staat gefördert werden. Im neuen Fünfjahresplan für die Jahre 2021 bis 2025 strebe die Volksrepublik „eine 75-prozentige Autarkie bei neuen chemischen Materialien”, berichtet PROCESS (China) unter Berufung auf offizielle Dokumente. So soll die Abhängigkeit vom Ausland überall dort reduziert werden, wo chemische Spezialprodukte für Zukunftstechnologien benötigt werden – etwa für Halbleiter, Powerbatterien oder 3D-Druck.
„Autarkie“ und „Selbstversorgung“ sind auch in den Sektoren Fein- und Spezialchemie in China momentan die wichtigsten Schlüsselbegriffe. Chemische Materialien, die in diese Kategorien fallen, sollen ab sofort „speziell bevorzugt“ werden und ihre Hersteller dürfen auf Steuererleichterungen, staatliche Zuwendungen für Forschung & Entwicklung und andere Begünstigungen hoffen.
Der Handelskrieg zwischen Washington und Peking hat diese Industriepolitik wesentlich beschleunigt. Die Folgen werden andauern, selbst wenn der neue US-Präsident Biden eine Kurskorrektur anstreben sollte. Der von dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump begonnene Versuch, Chinas wirtschaftlichen Aufstieg durch Exportverbote von fortschrittlichen Computerchips und ähnlichen High-Tech-Produkten auszubremsen, könnte sich so langfristig als massives Eigentor erweisen.
Alle staatlichen Medien und sämtliche offiziellen Dokumente im Sektor Fein- und Spezialchemie sind derzeit thematisch auf den Ausbau der chinesischen „Selbstversorgung“ fokussiert. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping habe in Reden mehrfach dargelegt, dass sich Chinas bisheriges Entwicklungsmodell als „Werkbank der Welt“ überlebt habe. Es sei in Zeiten eines weltweit steigenden Nationalismus auch zu riskant geworden, sagte Xi.
Auf kaum einen Industriezweig wird diese wirtschaftspolitische Neuausrichtung eine so direkte Auswirkung haben wie auf die Fein- und Spezialchemie. Da die Pekinger Zentrale Industrie wie die Halbleiterindustrie und ähnliche Zukunftstechnologien nun massiv fördert, will sie auch die Engpässe bei Fein- und Spezialchemikalien reduzieren, von denen momentan etwa 39 Prozent aus dem Ausland importiert werden müssen.
„In manchen Bereichen, etwa bei hochwertigen Polyolefinen, EVOH, bei Metallocenen und Polypropylenen, POE-Elastomere sind wir noch völlig blank”, heißt es in einer vielbeachteten Marktanalyse von Caitong Securities. In anderen Kategorien gebe es Engpässe trotz quantitativ ausreichender Produktionskapazität in China, weil qualitativ hochwertige Produkte noch immer nur von ausländischen Konzernen bereitgestellt werden, etwa bei Polyoxmethylen, Polymeren für Flüssigkristallen oder Polyarylaten.
All das soll sich nun schrittweise ändern, sagen Chinas Zentralplaner. Um Chinas fortgeschrittene Fertigung in High-Tech-Industrien von der US-amerikanischen Politik unabhängig zu machen, sollen sämtliche Chemikalien für die Elektronikindustrie sowie funktionale Chemikalien ab jetzt mit staatlicher Hilfe verstärkt in China selbst produziert werden, schreiben verschiedene Fachmedien in China.
Weitere Sektoren, die sich in den kommenden fünf Jahren besonderer Zuwendung seitens der Pekinger Zentrale erfreuen werden, sind unter anderem technische Kunststoffe, Organo-Silikone, fluororganische Verbindungen und Membranen für die Wasserbehandlung. Auch sämtliche Chemikalien, die bei der Produktion von E-Autos gebraucht werden, sollen nun in ihrer Produktion massiv „lokalisiert“ werden. China ist schon jetzt der weltweit größte Markt für E-Autos, und sechs der 15 größten OEM in dem Bereich sind in China angesiedelt.
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Branchenreport: Mission Selbstversorgung fördert und fordert Chinas Petrochemie
„Neue chemische Materialien sind eine wichtige Basis für die Entwicklung strategischer Zukunftsindustrien in China, und sie sind eine wichtige Richtung für die Transformation, die Aufwertung und Entwicklung der petrochemischen und chemischen Industrie unseres Landes”, schreiben die Analysten von Caitong Securities. Sie schätzen die aktuelle Marktgröße der gesamten Fein- und Spezialchemie in China auf derzeit rund 1,3 Billionen Yuan (rund 170 Milliarden Euro). Bis 2025 dürfte dieser Markt auf 2,2 Trillionen Yuan (umgerechnet 280 Milliarden Euro) wachsen.
Die Fein- und Spezialchemie sei der Sektor in China, der in den kommenden Jahren das „größte Nachfragewachstum“ erleben wird, während sie momentan noch “die niedrigste Selbstversorgungsrate“ besitze, schreibt auch Caitong Securities mit Bezug auf das dominierende, industriepolitische Leitmotiv. Etwa die Hälfte aller fein- und spezialchemischen Produkte müsse derzeit aus dem Ausland nach China importiert werden, beklagen sie.
Die im Januar in Peking veröffentlichten „Richtlinien für die Entwicklung der petrochemischen und chemischen Industrie während des 14. Fünf-Jahres-Plans” betonen ebenfalls die Förderung der heimischen, chinesischen Produktion „neuer chemischer Materialien“. Besonders chemische Produkte, die in Industrien wie der Raumfahrt, IT, neue Energien, Automobil, Schienenverkehr, Umweltschutz, Medizin und Verteidigung gebraucht werden, sollen einen Entwicklungsschub erhalten.
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Branchenreport: Chinas Düngemittelindustrie setzt Transformation fort
Vor allem sechs Kategorien werden in China gewöhnlich unter dem Begriff „neue chemische Materialien“ zusammengefasst: Hochleistungsharze wie hochentwickelte Polyolefine, Kunststofftechnik, Polyurethane und ähnliche Materialien. Dann Hochleistungs-Synthesekautschuk, hochfeste Fasern und funktionale Membranenmaterialien. Des weiteren Spezialchemikalien wie zum Beispiel Substrate, Fotolacke oder Galvanomaterialien. Die sechste und letzte Kategorie sind neue anorganische Materialien wie entsprechende Nanomaterialien, fotokatalytischen Materialien oder Chemikalien für die Wafer-Produktion in Halbleiter-Foundries.
Ausländische Experten verweisen darauf, dass die von China angestrebte Aufholjagd bei der Fein- und Spezialchemie ein schwieriges Unterfangen sei, weil die Innovationsgeschwindigkeit in diesem Bereich besonders hoch ist. Kaum jemand zweifelt jedoch an der chinesischen Entschlossenheit und Fähigkeit, die Gewichte in dem Bereich künftig entschieden zu verlagern. Importzölle für chemische Spezialprodukte sind ein Instrument, dessen Einsatz vermutlich zunehmen wird, sagen Marktbeobachter voraus.
* Henrik Bork, langjähriger China-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau, ist Managing Director bei Asia Waypoint, einer auf China spezialisierten Beratungsagentur mit Sitz in Peking. „China Market Insider“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Vogel Communications Group, Würzburg, und der Jigong Vogel Media Advertising in Beijing.
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