China Market Insider Beispiellose Krise in Chinas Chemieindustrie – Strom-Mangel führt zu Preisexplosion
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Die Energiekrise in China hat eine Preisexplosion für viele Chemieprodukte ausgelöst. Rund ein Viertel aller Chemie-Unternehmen in der Volksrepublik mussten ihre Produktion einschränken oder vorübergehend einstellen, seit der Strom im September knapp geworden ist, berichten chinesische Medien.

Peking/China – „Eine Reihe von Chemiekonzernen haben die Aussetzung oder Reduzierung ihrer Produktion angekündigt,“ berichtet PROCESS (China). Darunter seien mindestens zehn börsennotierte Chemie-Unternehmen wie Chenhua, Hongbaoli, West Gate Tianyuna oder die Chengxing-Gruppe.
Chinas Zentralplaner hatten viele Provinzen des Landes zum Stromsparen verdonnert, nachdem sie zuvor ihre Sparziele mit Blick auf die ehrgeizigen Klimaziele des chinesischen Präsidenten Xi Jinping verfehlt hatten. Die weltweit und auch in China gestiegenen Kohlepreise hatten es zudem für Energiebetriebe unrentabel gemacht, weiter in vollem Umfang Strom zu produzieren.
Weil inzwischen mehr als die Hälfte aller chinesischen Provinzen von dem Strom-Mangel betroffen sind, hat es auch mehrere Hochburgen der chemischen Industrie in China hart getroffen, etwa die Ostprovinzen Jiangsu und Zhejiang, sowie die Südprovinz Guangdong.
Historisches Ausmaß der Krise
Anordnungen, wie sie momentan bei vielen Chemiekonzernen auf die Schreibtische flattern, wie etwa „zwei Tage öffnen und fünf Tage schließen“ oder „Reduzierung der Produktion um 90 %” seien „beispiellos in der Geschichte der petrochemischen Industrie“ Chinas, schreibt PROCESS in Peking.
Die Energiespar-Maßnahmen zur „dualen Kontrolle“ des totalen Energieverbrauchs und der Energie-Intensität in der Produktion hat die chemische Industrie des Landes ausgerechnet während des „silbernen Septembers und goldenen Oktobers“ getroffen -also ausgerechnet zur Peak-Saison der chemischen Produktion.
Die Krise hat nun begonnen, stark auf die Preise bestimmter chemischer Produkte durchzuschlagen. Tausende von Chemie-Unternehmen seien inzwischen betroffen und „die Preise für chemische Rohmaterialien sind in den Himmel geschossen,“ heißt es in einem Kommentar der chinesischen Chemiezeitung Zhongguo Huagong Bao.
Seit September bis zum Ende der ersten Oktoberwoche seien die Preise für „48 Arten chinesischer Produkte” gestiegen. Besonders für Grundstoffe, für deren Produktion viel Energie benötigt wird, sind die Preissteigerungen signifikant. Für Natronlauge, Epichlorhydrin, Ethylacetat, Ameisensäure und Acrylsäure etwa seien die Preise bis jetzt innerhalb weniger Wochen um mehr als 20 % gestiegen, schreibt die Chemiezeitung.
Domino-Effekt erwartet
Wegen der komplexen Lieferketten in der chemischen Industrie und auch wegen der Schwierigkeiten, Chemie-Anlagen kurzfristig hoch und runter zufahren sei ein Domino-Effekt zu erwarten, der die Chemieproduktion in der gesamten Volksrepublik beeinträchtigen könnte. Sogar die Inflation in anderen Weltgegenden könnte dadurch weiter angefacht werden, fürchten Analysten in Peking und Shanghai.
Vor allem zwei Faktoren haben den derzeitigen Strom-Mangel ausgelöst. Chinas oberste Zentralplanungsbehörde NDRC (die „National Development and Reform Commission“) hatte mehrere chinesische Provinzen schwer gerügt, weil sie Energiesparziele des chinesischen Staats- und Parteichefs Xi Jinping in den ersten Quartalen dieses Jahres nicht erreicht hatten.
China werde bis 2060 klimaneutral wirtschaften, hatte Xi versprochen. „Duale Quoten” waren verhängt worden, die sowohl den gesamten Energieverbrauch wie auch die Energie-Intensität von Fertigungsbetrieben vorschreiben. Der Energieverbrauch in neun Provinzen war aber in der ersten Jahreshälfte nicht gesunken, sondern im Gegenteil sogar weiter gestiegen.
Von diesem „Gesichtsverlust“ erzürnt hatten die Zentralplaner im August durchgegriffen und vielen Provinzen drastische Maßnahmen befohlen. Viele Industriebetriebe in ganz China erhielten daraufhin plötzliche Schreiben, dass sie ihre Produktion einschränken oder sogar vorübergehend einstellen müssen. Mancherorts wurde der Strom auch gleich ohne jede Vorwarnung abgestellt.
Teure Kohle spielt eine Rolle
Die Strom-Rationierung aufgrund der Klimaziele traf gleichzeitig auf eine ohnehin angespannte Situation auf dem Energiemarkt. Eine Reihe von Faktoren hatte den Preis für Kohle in China und auch regional stark in die Höhe getrieben. So war vom Januar bis August dieses Jahres die Stromerzeugung zunächst landesweit um 11,3 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Chinas Fabriken produzierten auf Rekordniveau, unter anderem weil Corona-Lockdowns in Südostasien und global die Nachfrage nach Gütern “made in China” explodieren ließen. Gleichzeit stieg jedoch die Kohleproduktion in China nur um 4,4 %.
Weil der Strompreis in China von der Regierung weitgehend festgelegt ist, gelten bei Kohle andererseits zumindest teilweise Marktpreise. Für viele Energiebetriebe war es daher unrentabel geworden, Kohlestrom zu erzeugen. Doch 67 % aller Kraftwerke in China heizen noch mit Kohle, schreibt die chinesische Wirtschaftszeitung Caixin in einem aktuellen Bericht. Während nun die Kohlepreise explodieren, die Strompreise aber gleich bleiben, „resultiert jede Kilowattstunden an erzeugtem Strom in einem Verlust” für die Energiebetriebe, kommentiert die Zeitung Global Times.
Einfuhrstopp für australische Kohle
Auch politische Querelen mit Australien haben teilweise zur Verschlimmerung der Kohle-Knappheit mit beigetragen. Australien war traditionell der zweitgrößte Exporteur von Kohle nach China. Doch wegen Streitereien über die Herkunft des Corona-Virus und Auseinandersetzungen um Themen wie vermutete chinesische Cyber-Attacken oder neue Atom-U-Boote in Australien sind die Beziehungen zwischen Peking und Canberra momentan eisig.
China bestrafte Australien mit einem Einfuhrstoff unter anderem bei Kohle. Hatte die Volksrepublik im Juni vergangenen Jahres noch 9,79 Millionen Tonnen Kohle aus Australien eingeführt, seien es im Januar dieses Jahres „so gut wie Null” Kohle aus Australien gewesen, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters.
Inzwischen haben die Zentralplaner die Kohlekraftwerke in China angewiesen, wieder „ohne Rücksicht auf die Kosten“ Kohle zu beschaffen und Kohlestrom zu produzieren. Der Energiemangel und die Krise in der chemischen Industrie werde aber mindestens noch das vierte Quartal dieses Jahres andauern, denken Insider der chemischen Industrie in China.
* Henrik Bork, langjähriger China-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau, ist Managing Director bei Asia Waypoint, einer auf China spezialisierten Beratungsagentur mit Sitz in Peking. „China Market Insider“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Vogel Communications Group, Würzburg, und der Jigong Vogel Media Advertising in Beijing.
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