Hochtemperatur-Wärmepumpen Wärmepumpen in der Industrie: Die verkannte Chance?
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Die Wärmepumpe hat sich im Gebäude-Neubau zum Heizsystem der Wahl entwickelt und ist auch in der Fernwärme häufig anzutreffen. Anders sieht es jedoch im Gewerbe und in der Industrie aus – hier wird das Potenzial von Wärmepumpen noch eher selten genutzt. Das verwundert, gibt es doch eindrucksvolle Best-Practice-Beispiele.

Voraussetzung für die Anwendung einer Wärmepumpe ist immer eine Wärmequelle. Die ist in der Industrie in der Regel als Abwärme leicht zu finden. Friotherm verweist insbesondere auf diese Quellen: Industrielle Verbrennungsanlagen, Abwärme aus dem Produktionsprozess, Rohabwässer und gereinigte Abwässer, Meerwasser, Fluss- und Seewasser, Grundwasser.
Buchtipp
Das Buch „Wärmepumpen und Wärmepumpenanlagen“ bietet einen umfassenden Überblick über Wärmepumpensysteme und -komponenten, die in der Industrie zum Einsatz kommen. Themen reichen von den Grundlagen der Wärmepumpentechnik über den Aufbau, die Arbeitsprinzipien, Betriebsweisen und Wärmequellen von Wärmepumpen bis hin zur Planung ganzer Wärmepumpenanlagen.
Mehr erfahren bei Vogel FachbuchNiedrigtemperatur-Abwärme unter 100 °C ist in aller Regel nicht weiter nutzbar und wird abgeführt (Ochsner bezeichnet das kreativ als „thermischen Müll“). Für Wärmepumpen ist das hingegen ein wertvoller Ausgangspunkt. Dabei wird mithilfe eines Kompressors das Temperaturniveau der Abwärme auf ein höheres, für den Prozess nutzbares Niveau gehoben. Heute vorhandene Wärmepumpen decken alle Temperaturbereiche von 50 bis 160 °C und Leistungen von 20 kW bis teilweise über 20 MW ab. Somit sind nahezu alle Anwendungen im entsprechenden Temperaturbereich möglich.
Ivan Bogdanov von der IPA nennt konkret diese Einsatzmöglichkeiten:
- Kochen in der Chemieindustrie bei Temperaturen von 100 bis 110 °C;
- Kunststoffherstellung (LDPE, HDPE sowie PVC) bei Temperaturen von 80 bis 100 °C;
- Kunststoffverarbeitung (LDPE) bei Temperaturen von 120 bis 140 °C;
- Trocknen in der Keramikherstellung bei Temperaturen von 20 bis 120 °C.
Der Einsatz von Hochtemperatur-Wärmepumpen (HTWP) kommt grundsätzlich überall dort infrage, wo Prozesswärme unter 150 °C benötigt wird, die herkömmlich durch fossile Quellen oder Widerstandsheizungen gedeckt wird. Den Bedarf an Prozesswärme bis 150 °C schätzt das Fraunhofer ISE auf mehr als 100 TWh in Deutschland. Besonders interessant sind die Lebensmittel-, die Papier- und die Chemieindustrie. Hier wird in vielen Prozessen Niedrigtemperaturdampf verwendet, etwa für die Trocknung von Papierprodukten, für die Sterilisierung und Pasteurisierung von Lebensmitteln oder für Destillationsprozesse. Gemäß einer Studie des AIT Austrian Institute of Technology stellen aktuell am Markt verfügbare dampferzeugende Wärmepumpen gesättigten Dampf bis zu rund 5 bar (152 °C) bereit.
Großwärmepumpen im Praxis-Einsatz
Auf dem digitalen Dena-Praxisworkshop für die Chemieindustrie im November 2021 stellte Christof Fleischmann (Spilling Technologies) das Verfahren des Dampfrecyclings mittels Kolbenverdichter vor, das dem Prinzip einer Hochtemperatur-Wärmepumpe gleichkommt. Das Verfahren kann überall dort zur Anwendung kommen, wo bei Kühlprozessen oder exothermen Reaktionen Niederdruck-Überschussdampf anfällt und an anderer Stelle Prozessdampf auf höherem Druckniveau benötigt wird. Dazu gäbe es in der chemischen Industrie weltweit zahlreiche Anwendungsbeispiele. Die beschriebenen Dampfkolbenkompressoren erreichen hohe Austrittsdrücke und COP-Werte, sodass gegenüber der konventionellen Dampferzeugung nur etwa ein Zehntel der Energie benötigt wird.
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Spin-Projekt
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Durch das Dampfrecycling lassen sich – im Vergleich zur konventionellen Dampferzeugung – in der Praxis Kosteneinsparungen von bis zu 50 Prozent oder mehr realisieren, so Experten. Damit das Dampfrecycling seine optimale Wirkung entfalten kann, sind jedoch einige Bedingungen hilfreich:
- Der Niederdruckdampf sollte einen Restdruck von mindestens 1 bar haben.
- Das Druckverhältnis von Austritts- zu Eintrittsdruck sollte bei maximal einem Faktor 5 liegen.
- Der erforderliche Austrittsdruck sollte nicht höher als 35 bar sein.
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Wird für den Betrieb des Dampfkompressors regenerativer Strom eingesetzt, lässt sich der Hochdruckdampf sogar als grüner Prozessdampf völlig CO2-frei erzeugen, so Spilling.
Wärmepumpen-Lösung zur Abluftreinigung
Ein weiteres Praxisbeispiel: Die Albert Rechtenbacher GmbH modernisierte 2017 ihre automatische Kunststoff-Lackierstraße. Um die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten und einen sauberen, umweltfreundlichen Betrieb zu gewährleisten, wurden diverse Möglichkeiten der Nachbehandlung von lösemittelhaltiger Abluft untersucht; branchenüblich ist die thermische Nachverbrennung, die eine große Menge fossiler Brennstoffe verbraucht.
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Wärmepumpen
Heizen mit der Kläranlage: Wärmepumpen erschließen Ressourcen im Abwasser
Die Simaka Energie- und Umwelttechnik hat für Rechtenbacher eine Abluftreinigungsanlage auf Wärmepumpen-Basis entwickelt. Der Betreiber kann nun anstelle einer thermischen Nachverbrennung mittels Kondensation die Lösungsmittel aus der Abluft abscheiden. Die Abluft wird unter Verwendung eines Aktivkohlefilters gereinigt. Auf diese Weise werden 95 Prozent des Gasverbrauchs eingespart und die CO2-Emissionen erheblich reduziert. Die Aktivkohle wird am Wochenende mit einer Wärmepumpe regeneriert und die Lösungsmittel werden dabei zurückgewonnen.
Der Einsatz der Wärmepumpentechnologie ist bei Rechtenbacher besonders effizient, weil gleichzeitig Wärme und Kälte benötigt wird. Bei Wärmenutzung gilt ein COP (Coefficient of Performance, das Verhältnis von Nutzwärme zur aufgewendeten elektrischen Energie) von vier als technisch erreichbar.
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Bei gleichzeitiger Nutzung von Kälte steigt die Effizienz auf einen COP von 7 bis 10. So wird beispielsweise die Abwärme der Wärmepumpe zur Erwärmung des Reinigungswassers für die Waschanlage der zu lackierenden Teile, zur Prozessluftkonditionierung und zur Gebäudeheizung genutzt. Zusätzlich konnten durch den Einbau energieeffizienter Wärmepumpen für den Umluft- bzw. Zuluftbetrieb in Spritzkabinen und verschiedenen Trocknern weitere Energieeinsparungen erreicht werden.
Anmerkung: Der Prozess zur Abluftreinigung unterstützt durch Wärmepumpen ist auf alle Betriebe, die flüchtige organische Verbindungen (VOC) emittieren und ihre Abluft reinigen müssen, übertragbar. Der Einsatz von Wärmepumpen zum gleichzeitigen Heizen und Kühlen bietet sich bei allen Branchen an, bei denen im großen Umfang thermische Prozesse stattfinden.
Wärmepumpe unterstützt Trocknung
Ein drittes Praxisbeispiel: Im Rahmen des von der EU geförderten Projekts Dryficiency wurde mit dem AIT (Austrian Institute of Technology) die erste industrielle Kompressionswärmepumpe für den Hochtemperaturbereich entwickelt. Seit 2019 ist sie bei der Wienerberger AG in Uttendorf (Österreich) im Testbetrieb. Das Besondere an dieser Wärmepumpe ist, dass sie Heizwasser bis zu 160 °C bereit stellt (das liefert entsprechende Heißluft für den Ziegeltrockner). Im Herstellungsprozess werden Ziegel zunächst geformt, getrocknet und dann gebrannt. Dieser Prozess läuft in einem kontinuierlichen Tunneltrockner ab, wo nun die Hochtemperatur-Wärmepumpe integriert wurde. Sie nutzt warmes Wasser aus der Wärmerückgewinnung der Abluft des Trockners als Quelle und stellt Wärme für den Tunneltrockner bereit.
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Auf dem Weg dahin mussten viele Herausforderungen gemeistert werden. Dazu zählte unter anderem die Entwicklung eines für die hohen Temperaturen geeigneten Kältemittels (Projektpartner: Chemours) und eines dazu passenden Schmierstoffes (Projektpartner: Fuchs Schmierstoffe).
Ein Vergleich des COP der DryFiciency-Wärmepumpe mit verschiedenen anderen industriellen Hochtemperatur-Wärmepumpen bestätigt, dass die DryFiciency-Wärmepumpe zu den effizientesten Geräten gehört. Die Ergebnisse des Versuchsbetriebs belegen, dass die Trocknung von Ziegeln mit einer Hochtemperatur-Wärmepumpe effizienter ist, da sie den Energieverbrauch senkt und eine höhere Trocknungslufttemperatur in der letzten Trocknungszone des Ziegeltrockners liefert.
Neue VDI-Richtlinie geplant
Geplant für September 2022, zeigt die neu zu formulierende VDI 4646 die Relevanz des Themas: Bei der geplanten Richtlinie geht es um die Anwendungen von Großwärmepumpen (Leistung > 100 kW) in den Bereichen Produktionsprozesse/Industrie, kommunale Versorgung (Schwimmbäder), Versorgung von Quartieren/Wohnsiedlungen, Fernwärme usw.
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Die Richtlinie wird einen Planungsprozess für die Integration von Wärmepumpen in Produktionsanlagen/Versorgungsobjekten definieren. Die zu entwickelnde Methodik beginnt mit der Analyse der örtlichen Gegebenheiten, in der die Rahmenbedingungen für den weiteren Planungsprozess erfasst werden. Nachfolgend wird eine Methodik zur Auswahl eines geeigneten Integrationspunktes für eine Wärmepumpe definiert. Die Auswahl von Wärmepumpentyp und Systemauslegung ist abhängig von den gegebenen Rahmenbedingungen. Unter Berücksichtigung dieser Abhängigkeiten wird eine Methodik zur Auswahl des geeigneten Wärmepumpentyps und zur Dimensionierung der Systemkomponenten (Wärmeübertrager, Speicher, Wärmepumpe) erstellt. Informationen hinsichtlich Detailplanung und Installation der Wärmepumpe sind ebenfalls vorgesehen.
Förderprogramme verfügbar
Ein geeignetes Förderprogramm ist laut dena das BAFA-/ KfW-Programm „Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft“. Relevant sind dabei die Module 2 und 4. Im Rahmen von Modul 2 werden Anlagen zur Bereitstellung von „Prozesswärme aus erneuerbaren Energien“ gefördert, darunter auch Wärmepumpen, sowie zugehörige Maßnahmen wie Wärmespeicher, Anbindung an bestehende Prozesse, Baumaßnahmen etc. Die maximale Förderung beträgt 10 Millionen Euro pro Investitionsvorhaben bei einer Förderquote von bis zu 45 Prozent (55 Prozent für KMU) der förderfähigen Investitionskosten. Abwärmenutzung zählt hierbei nicht als erneuerbare Energiequelle. Wärmepumpen, die auf Abwärme basieren, sind durch Modul 4 („Energiebezogene Optimierung von Anlagen und Prozessen“) abgedeckt, das technologieoffen CO2-Einsparmaßnahmen mit bis zu 10 Millionen Euro fördert. Die Förderquote liegt bei 30 Prozent für die förderfähigen Investitionsmehrkosten (40 Prozent für KMU) und ist gedeckelt auf einen maximalen Zuschuss pro jährlich eingesparte Tonne CO2.
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Chemieparks im Wasserstoffzeitalter
„Chemie-Clustern kommt beim Thema Wasserstoff eine Vorreiterrolle zu“
In vielen industriellen Prozessen fallen Abwärmeströme an, die aufgrund des geringen Temperaturniveaus nicht mehr sinnvoll im Produktionsprozess bzw. für dessen Versorgung genutzt werden können und meist mit zusätzlichem Kühlaufwand an die Umgebung abgegeben werden. Mithilfe einer Wärmepumpe können diese Abwärmeströme auf ein nutzbares Temperaturniveau angehoben und wieder in den Produktionsprozess integriert werden. Ein Potenzial, das bislang noch eher stiefmütterlich behandelt wird. n
* Der Autor ist freier Mitarbeiter der PROCESS-Redaktion
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