API-Poduktion Geht das überhaupt noch? Wirkstoffproduktion in Europa

Von Anke Geipel-Kern

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Die Covid-19-Pandemie hat an den Tag gebracht, was Insider schon seit Jahren wissen: Deutschland und Europa sind abhängig von Wirkstoffherstellern aus Indien und China. Jetzt wollen Unternehmen und Politik gegensteuern und die Herstellung von Penicillin und Co. nach Europa zurückholen.

In Frankfurt Höchst produziert Sanofi Arzneimittelwirkstoffe in vielstufigen und anspruchsvollen Syntheseverfahren.
In Frankfurt Höchst produziert Sanofi Arzneimittelwirkstoffe in vielstufigen und anspruchsvollen Syntheseverfahren.
(Bild: Sanofi)

Gutes Timing ist alles – Mitte Februar, auf dem Höhepunkt der chinesischen Coronakrise, als alle Welt endlich Deutschlands Abhängigkeit von den asiatischen Wirkstoffherstellern bemerkt hatte, platzierte der französische Pharmakonzern Sanofi eine aufsehenerregende Meldung. Man wolle einen europäischen Wirkstoffchampion schaffen, der weltweit die Nummer 2 sein werde, ließ der französische Arzneimittelhersteller in einer Pressemitteilung verlautbaren.

Der Zeitpunkt war günstig: Die rasante Ausbreitung von Covid-19 in China hatte endlich ins Bewusstsein von Politik und Gesellschaft befördert, was Insider schon lange wissen: Europa hängt am Tropf indischer und chinesischer Wirkstoffhersteller. Lebenswichtige Antibiotika, Blutdrucksenker und Schmerzmittel sind mittlerweile fast nur noch als Generika erhältlich und dieser Wirkstoffmarkt ist zu fast 90 % in chinesischer Hand. Selbst patentgeschützte Wirkstoffe, die eigentlich Umsatzgaranten für die Pharmaunternehmen sind, kommen bereits zur Hälfte aus China.

Made in Germany war vorgestern

Alarmierende Zahlen, die zuletzt auch Gesundheitsminister Jens Spahn und die EU-Kommission auf den Plan gerufen haben, mit Forderungen an die Arzneimittelhersteller, doch bitteschön wieder mehr in heimischen Gefilden zu produzieren. Ein Wunsch, der nicht so leicht zu erfüllen sein wird, da ganze Lieferketten zu Billigproduzenten nach Asien verschwunden sind.

Typisches Beispiel dafür: der Wirkstoffhersteller Arevipharma und Metoprolol. Metoprolol ist ein ß-Blocker, der seit den 1980er-Jahren in Deutschland zu den meist verschriebenen Blutdruckmedikamenten zählt. Bis vor drei Jahren produzierte der sächsische Wirkstoffhersteller noch große Mengen des Medikaments und stemmte sich gegen die Billigkonkurrenz aus Asien.

Dann gab er doch auf, eine Produktion in Deutschland sei bei einem Abnahmepreis von 50 Dollar pro Kilogramm auf dem Weltmarkt nicht mehr kostendeckend realisierbar, klagt Geschäftsführer Dirk Jung in einem

von Progenerika. Gerade mal Rohstoffe und die Abfallentsorgung könne man in Deutschland dafür bezahlen, rechnet er vor.

Der letzte deutsche Cephalosporinhersteller hat 2017 seine Pforten geschlossen

Das Gleiche gilt, laut einer Roland-Berger-Studie, für Antibiotika. Corden Biochem, der letzte deutsche Hersteller generischer Cephalosporine und deren Vorstufen hat sein Werk auf dem Gelände des Industriepark Höchst 2017 dicht gemacht. Obwohl die Kapazität ausgereicht hätte, ganz Deutschland mit dem Antibiotikum zu versorgen – übrigens nach den Penicillinen die meist verschriebene Antibiotikagruppe.

Jacques Brom, designierter Chef des neuen Wirkstoffunternehmens Sanofi Chimie
Jacques Brom, designierter Chef des neuen Wirkstoffunternehmens Sanofi Chimie
(Bild: Jean Chiscano)

„Die jetzige Situation ist ein Weckruf für die Politik“, mahnt Jac­ques Brom, der designierte Chef der geplanten Unternehmensausgründung aus Sanofi. Der Pharmamanager ist seit 1996 bei Sanofi und hat als Standortleiter in Frankreich und dem vereinigten Königreich viele APIs aus Europa verschwinden sehen.

„Wir warnen seit 20 Jahren vor den Risiken, die in der Abhängigkeit von den asiatischen Wirkstoffproduzenten liegen. Für die Patienten ist es nicht akzeptabel, dass wichtige Arzneimittel nur noch aus Asien kommen“, betont er. Jetzt bietet Covid-19 dem Konzern eine Steilvorlage und garantiert dem Vorhaben die maximale Aufmerksamkeit der politisch Verantwortlichen in Europa.

Warum Produktion schon lange nicht mehr zum Kerngeschäft von Big Pharma gehört

Fast könnte man darüber vergessen, dass die Ausgründung vor allem der neuen Strategie geschuldet ist, die Firmenchef Paul Hudson im Dezember letzten Jahres bekannt gab. Im Kern geht es um eine Stoßrichtung, die viele Konzerne bereits verfolgen: Konzen­tration auf deren Kerngeschäft.

Im Klartext heißt das, Ressourcen bündeln und den Fokus auf Forschung und Entwicklung wachstumsstarker Therapiegebiete legen. Sanofi will vor allem Therapien mit Biologika vorantreiben, die künftig medizinische Standards setzen und sieht zudem in der Impfstoffsparte seine Zukunft. Die klassische chemische Wirkstoffproduktion gehört definitiv nicht mehr zum Kerngeschäft.

Der französische Konzern befindet sich mit seiner neuen Strategie in guter Gesellschaft: Pfizer, Novartis, Glaxo Smithkline – sie alle haben in den letzten Jahren Thera­piegebiete reduziert und Produktionen abgeschmolzen, zuletzt No­vartis: Der Konzern hat gerade erst zwei wenig rentable Standorte an den Schweizer Pharmaauftragshersteller Siegfried verkauft.

Gute Zeiten für Lohnhersteller

Unterdessen wächst der CDMO-Markt seit Jahrzehnten kontinuierlich, momentan um rund sechs Prozent, sagen die Analysen von Price Waterhouse Coopers. „Big Pharma konzentriert sich auf innovative Forschungsprojekte und neue Therapien“, erklärt Dr. Wolfgang Wienand, Chief Executive Officer von Siegfried. Outsourcing liegt also im Trend, vor allem bei den Generika, aber immer häufiger auch für Originalpräparate.

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Die Preisspirale rotiert schnell und schneller, getrieben von den asiatischen Herstellern, die dank Regierungsunterstützung, geringer Lohnkosten sowie der Economy-of-Scale billiger sind und oft wenig Aufwand für Umwelt- und Mitarbeiterschutz betreiben. Laut PWC-Studie ist der Markt stark fragmentiert: 75 % der Firmen erlösen Umsätze von weniger als 50 Millionen Dollar und die fünf führenden CDMOs halten nur 15 % des Gesamtmarktanteils.

Auch Sanofi will nun ein Stück vom Kuchen

Ein hartes Wettbewerbsumfeld für Newcomer. Doch Brom sieht das neue Unternehmen, das sich auf ein Premium-Geschäftsmodell konzentriert, für das IPO gut aufgestellt. Industrielles Netzwerk und Fachwissen, die kritische Masse, um preislich mit dem Wettbewerb mithalten zu können – das alles sei vorhanden. Und man sei schneller und schlagkräftiger als im Gefüge eines Konzerns, fügt er hinzu.

Wirkstoffproduktion im Kundenauftrag ist für Sanofi im Grunde ein alter Hut. Über 200 APIs fertige man für 600 Kunden und das seit vielen Jahren. Zum Teil als Katalogware, aber auch als kunden­individuelle Exklusivsynthesen: Motto ein Wirkstoff – ein Kunde. Sechs europäische Standorte Brindisi (Italien), Frankfurt Chemistry (Deutschland), Haverhill (UK), St Aubin les Elbeuf (Frankreich), Újpest (Ungarn) und Vertolaye (Frankreich) gehören künftig zum Produktionsverbund.

Der größte davon, Frankfurt Höchst, ist besonders breit aufgestellt und verfügt neben der biotechnologischen Insulinproduktion, die beim Konzern verbleiben wird, über Expertise in der Herstellung von Peptiden, Oligonukleotiden und andere kleinen Wirkstoffmolekülen.

Für gute Voraussetzungen sorgen auch einige weitere Details: Sanofi wird initial mit 50 % ein wichtiger Kunde des API-Lieferanten bleiben. Man startet schuldenfrei in den Markt und ist so in der Lage, Investitionen und potenzielle Akquisitionen über Anleihen zu finanzieren. Jetzt laufen im Hintergrund die Vorbereitungen für die Ausgründung und den 2022 geplanten Börsengang.

Bringt die neue Pharmastrategie aus Brüssel Unterstützung?

Möglicherweise gibt es für derlei Vorhaben nun bald Schützenhilfe aus Brüssel. Hier hat in den letzten Monaten die neue europäische Pharmastrategie Gestalt angenommen. Im Juni präsentierte Stella Kyriakides, EU-Kommissarin für Gesundheit eine Roadmap, die am 24. November veröffentlicht werden soll. Explizit steht darin als eine der Lehren aus der Coronavirus-Pandemie „Förderung und Unterstützung der EU-Herstellungskapazitäten für pharmazeutische Wirkstoffe und pharmazeutische Ausgangsstoffe (...)“. Auch Brom wünscht sich einen Schub durch die Politik. Es sei nötig und möglich, die Wirkstoffproduktion anteilig nach Europa zurückzubringen und zu halten, betont er.

Nicht alle seiner Kollegen sehen das so. Wer sich die Mühe macht, die über 200 Stellungnahmen zur europäischen Pharmastrategie durchzuackern, stellt überrascht fest, dass einige Pharmaunternehmen gar nicht so scharf darauf sind, die komplexen Produktionsketten wieder nach Europa zu holen. Dazu gehören z.B. der Biotechkonzern Amgen, der fordert die "Realität komplexer globaler Versorgungsketten" anzuerkennen, aber auch Bayer sieht "die Lokalisierung der Produktion in einer globalen und offenen Wirtschaft" nicht als richtige Antwort auf Arzneimittelengpässe.

Wie Politik helfen kann, Produktionsstätten in Europa zu halten, zeigt das Beispiel Sandoz. In Kundl betreibt die Generika-Division von Novartis das letzte Penicillin-Werk in Europa, das die ganze Wirkstoffkette abdeckt und Europa versorgen könnte. Für die Modernisierung investiert Novartis 150 Millionen Euro, Österreich schießt 50 Millionen dazu und Sandoz verpflichtet sich, zehn Jahre lang die Produktion fortzuführen. Bis Ende des Jahres soll der Deal unter Dach und Fach sein. Voraussetzung: Das Timing stimmt.

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