Interview „Für Betriebe ist nichts so teuer wie eine demotivierte Belegschaft“
Rüdiger Hossiep ist einer der renommiertesten Personalpsychologen in Deutschland. Mit uns hat er darüber gesprochen, warum Mitarbeitergespräche oft nicht die gewünschte Wirkung erzielen – und wie Führungskräfte dieses Potenzial ausschöpfen.
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Herr Hossiep, damit Vorgesetzte eine gute Beziehung zu ihren Angestellten aufbauen können, ist der persönliche Austausch enorm wichtig. Trotzdem graust es viele Beschäftigte, wenn sie an ihr nächstes Personalgespräch denken. Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären?
Es stimmt, das persönliche Gespräch ist das wichtigste Führungsinstrument. Allerdings kann es auch unheimlich viel Motivation zerstören, wenn es falsch geführt wird. Diese Erfahrung hat jeder schon mal gemacht und daher kommt auch das Unbehagen bei diesem Thema.
Wie oft misslingen Mitarbeitergespräche?
Leider viel häufiger als es Vorgesetzten bewusst ist. Schlechte Personalgespräche sind in den meisten Unternehmen sogar Kostenfaktor Nummer 1! Denn die Folge ist eine demotivierte Belegschaft – und für Betriebe gibt es nichts Teureres.
Inwiefern gehen Führungskräfte Mitarbeitergespräche falsch an?
Sie meinen, sie müssten die Probleme des Angestellten für ihn lösen. Deshalb kauen Sie ihm den Lösungsweg vor, reden sich den Mund fusselig. Was unterbleibt ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Stattdessen müssten sie den Lösungsweg mit dem Mitarbeiter gemeinsam erarbeiten. Schließlich soll der kapieren, nicht kopieren!
Welche drei Tipps haben Sie für Vorgesetzte, damit sie ihr nächstes Personalgespräch direkt besser führen können?
Erstens: Stellen Sie mehr offene als geschlossene Fragen. Nur mit Ja-Nein-Antworten werden Sie komplexe Probleme nicht lösen können. Zweitens: Machen Sie auch Ihr Führungsverhalten zum Thema. Mitarbeitergespräche dienen dazu, die gegenseitigen Erwartungen zu klären – das vergessen viele. Fragen Sie zum Beispiel: „Was wünschen Sie sich von mir?“ oder „Wie kann ich Sie bei Ihrer Arbeit unterstützen?“
Und wenn der Angestellte dann ein Wunschkonzert inszeniert?
Das tut er in der Regel nicht. Sie werden überrascht sein, wie hilfreiche die Impulse aus der Belegschaft für Sie und Ihre Arbeit sein können! Und wenn doch mal jemand über das Ziel hinausschießt, dann machen Sie klar, dass es sich hier aus Ihrer Sicht um eine übertriebene Erwartungshaltung handelt. Unabhängig davon ist es aber wichtig, dies zu wissen.
Beim Mitarbeitergespräch geht es um Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit.
Tatsächlich werden sich viele Kollegen allerdings nicht trauen, offen mit mir zu sprechen. Wie kann ich das ändern?
Da gibt es manchmal Hürden, da haben Sie Recht. Deshalb mein dritter Tipp: Fordern Sie offenes Feedback von Ihren Mitarbeitern ein – entwickeln Sie sie dahin. Und noch wichtiger: Nehmen Sie das dann auch an und setzen Sie es um! Damit schaffen Sie ungemein Vertrauen. Beim Mitarbeitergespräch geht es nicht um Rhetorik oder Gesprächstechnik. Es geht um Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit.
Es reicht dann aber nicht, wenn ich das nur im Jahresgespräch mache, oder?
Absolut, viel wichtiger sind die vielen kleinen Begegnungen zwischendurch. Ein nettes, gut gemeintes Wort heute kann die Entstehung eines unlösbaren Problems morgen verhindern. Und es ist Ihre Aufgabe als Führungskraft, bei Fehlentwicklungen schon sehr früh sensibel zu werden und einzugreifen. Genauso sollten Sie keine Chance verpassen, auch positive Entwicklungen beim Mitarbeiter anzuerkennen – Lob lockt Leistung!
Wie spreche ich kritische Themen an?
Erstmal müssen Sie unterscheiden: Handelt es sich um eine Panne, also ist halt mal was daneben gegangen? Oder geht es um wiederkehrende Fehler, die in der Arbeits- oder Verhaltensweise des Mitarbeiters liegen? Im ersten Fall können Sie ein Auge zudrücken. Im zweiten Fall müssen Sie das Problem zeitnah ansprechen.
Mit Kritik geht aber nicht jeder gleich gut um…
Ganz richtig. Machen Sie sich deshalb erst mal klar: Welchen Mitarbeitertyp habe ich vor mir? Und wie weit ist der Konflikt schon fortgeschritten? Bei manchen Kollegen müssen Sie sehr deutlich werden. Andere werden Ihre Kritik nicht annehmen können, wenn Sie sie nicht langsam darauf vorbereiten.
Woher weiß ich am Ende eigentlich, ob mein Gespräch gelungen ist?
Fragen Sie Ihren Mitarbeiter! Da wären wir wieder beim Punkt „offenes Feedback fördern und umsetzen“. Wenn Sie sich als Vorgesetzter weiterentwickeln wollen, sind solche konstruktiven und ehrlichen Rückmeldungen Gold wert!
Nun hat sich bedingt durch die Corona-Pandemie der Kontakt zueinander drastisch gewandelt. Wie pflege ich eine gute Beziehung zu meinen Angestellten, wenn ich sie kaum noch sehe?
Schaffen Sie Anlässe: Holen Sie Ihren Bereich zum Beispiel einmal in der Woche zusammen und tauschen Sie sich ein bis zwei Stunden zu aktuellen Themen aus. Zudem können Sie hin und wieder einzelne Kollegen anrufen und sich etwas mit ihnen unterhalten.
Das klingt ein bisschen nach Plauderei…
Es hat aber einen wichtigen Hintergrund. Was jetzt unterbleibt, sind diese Zwischengespräche im Arbeitsalltag – wo man im Vorbeigehen mal den Kopf in den Raum steckt und den Kollegen was zuruft. Wo man erkennt, wenn ein Mitarbeiter Schwierigkeiten hat oder missgelaunt ist. Das müssen Sie in ein paar gezielten Gesprächen nachholen. Selbstverständlich sollten Sie es auch nicht übertreiben. Wie bei allem gilt: Bleiben Sie authentisch!
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