Ex-Schutz Goes Future Explosionschutz der Zukunft: Was LNG, Wasserstoffstrategien und Digitalisierung für die Hersteller bedeuten?
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LNG, Wasserstoff sowie die Digitalisierung von Prozessanlagen mit Ethernet-APL – zwischen diesen Polen bewegen sich Hersteller von Ex-Schutzlösungen heute. Wie der Spezialist R. Stahl mit den Herausforderungen der Zukunft umgeht, darüber haben wir mit Dr. Andreas Kaufmann, Bereichsleiter Marketing und Innovation gesprochen.

Herr Dr. Kaufmann, welche Anforderungen stellen Betreiber von Prozessanlagen an den modernen Explosionsschutz?
Dr. Andreas Kaufmann: Vor allem die Anforderungen an die Effizienz werden jedes Jahr höher. Das betrifft die gesamte Prozessanlage, und Explosionsschutz hat daran einen gewichtigen Anteil. Wir erleben eine größere Individualisierung der Anlagen. Anlagen werden von kontinuierlichem Betrieb auf Batch umgestellt, in der Pharmaindustrie aber auch umgekehrt. Beides ermöglicht flexiblere Reaktionen auf Anforderungen des Marktes. Das ist ein Trend, der sich in zunehmender Modularisierung und Digitalisierung der Anlagen auswirkt und dem wir mit unseren im Ex-Schutzbereich angesiedelten Betriebsmitteln Rechnung tragen. Diese jährlichen Produktivitätssteigerungen sind sicherlich eine der größten Herausforderungen, die Kundenaussagen zufolge nur mit Digitalisierung erreicht werden können.
Mit der Digitalisierung im Ex-Bereich hat sich die Prozessindustrie bisher schwer getan. Woran liegt das?
Kaufmann: Konzepte zur Digitalisierung im Ex-Bereich gibt es schon seit Jahren. In der Vergangenheit waren allerdings viele davon proprietär und zueinander nicht kompatibel. Wir haben das mit unserer ersten Ethernet-in-the-Field-Lösung erlebt, die wir beim Kunden umgesetzt haben, aber auf einem proprietären Ansatz basierte. Unternehmen mit einer Single-Source-Lösung haben es am Markt schwer. Doch das ändert sich jetzt gerade.
LNG, Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe sind aus unserer Sicht die Märkte der Zukunft.
Woran liegt das?
Kaufmann: Wir sehen eine zunehmende Vernetzung vertikaler Natur vom Feldgerät über das Interface in die höheren Schichten der Automatisierungspyramide. Nur wenn ich eine durchgehende Transparenz habe, ermöglicht das eine zunehmende Optimierung der Anlagen. Signale müssen digitalisiert werden, um Diagnose und Asset Management damit zu betreiben. In welcher Form oder über welche Kanäle das am Ende geschieht, darüber wird diskutiert. Wir nutzen dafür schon lange Servicekanäle, über die man Signale in höhere Ebenen transferiert und umgekehrt. Doch bisher waren die Bandbreiten und damit auch die Möglichkeiten begrenzt. Ethernet ändert das. Wir sprechen jetzt von der Übertragung digitaler Gerätedaten über Namur Open Architecture oder dem Open Process Automation Standard – all das braucht eine Infrastruktur mit schnellen Übertragungsraten und standardisierte Netzwerkprotokolle.
Wie könnte denn eine standardisierte Lösung für den Ex-Bereich aussehen?
Kaufmann: Ethernet ist, wie gesagt, hier ein Weg. Wir schaffen gerade mit Ethernet-APL einen Standard. Namhafte Endkunden, Hersteller und alle großen Verbände unterstützen und treiben dieses Advanced-Physical-Layer-Konzept mit aller Kraft. Ich bin sicher, dass uns hier eine einheitliche, standardisierte Lösung gelingt, die dann auch angenommen wird.
Was macht Sie da so sicher?
Kaufmann: Sicher kann man sich natürlich nie sein. Wir setzen auf eine breite Basis von zwölf Herstellern und eine Kooperation mit den führenden Technologie-Verbänden Fieldcomm Group (FCG), ODVA, OPC Foundation sowie Profibus und Profinet International. Diese haben in Zusammenarbeit mit der IEEE die Basis für den Standard geschaffen. Über das APL-Projekt kommt der Explosionsschutz hinein. Die Hersteller kümmern sich gemeinsam mit der Dekra Exam um die Eigensicherheit. Es gibt mittlerweile die technische Spezifikation 60079-47 über die IEC, an der wir auch beteiligt sind. Das heißt, es gibt zwei große Spieler: die IEC- und die APL-Gruppe, die Explosionsschutz definiert, während die IEEE die Basis-Standards garantiert. Daher sind wir guter Dinge, dass das realisiert wird.
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Was bedeuten denn die beiden zusätzlichen Datenübertragungs-Kanäle NOA und OPA für Sie als Ex-Schutz-Unternehmen?
Kaufmann: Wir hatten früher neben der klassischen Automatisierungspyramide eine zweite physikalische Signalleitung, um an zusätzliche Informationen aus dem Feld zu gelangen. NOA und OPA sind im wesentlichen Software-basiert, sodass wir nun diese zusätzlichen Funktionalitäten als Service-Hub nutzen, die dank der Bandbreite des Ethernet-APL zugänglich sind.
Digitalisierung, APL und NOA betreffen Ihr tägliches Geschäft. Wo sehen Sie denn die Märkte der Zukunft?
Kaufmann: Aus unserer Sicht sind das LNG, Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe
Wo sehen Sie da konkret Ihre Chancen?
Kaufmann: Bei jedem der Themen, ob das LNG, Wasserstoff oder Power-to-X ist, muss sich der Anwender mit Explosionsschutz befassen. Im LNG-Bereich sind wir schon seit längerer Zeit sehr aktiv: beim Gastransport, aber auch bei der Verflüssigung und der Rückvergasung. Durch die unglücklichen Entwicklungen in Russland wird der Bedarf an LNG noch zunehmen. Aber auch ohne den Ukrainekrieg ist LNG ein global wachsender und damit für uns interessanter Markt. Auf der einen Seite sind die Förderländer wie Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Australien oder Nordamerika, auf der anderen Seite die Abnehmer in Europa und Asien, und dazwischen ist der Transport – viel Potenzial also für Explosionsschutz-Experten.
Und wie beurteilen Sie aus Ex-Schutz-Sicht das Hypethema Wasserstoff?
Kaufmann: Wasserstoff ist für uns ein absolut relevantes Medium, das uns auch schon stark beschäftigt. Die Relevanz zeigen auch die vielen nationalen Wasserstoffinitiativen sowohl weltweit, in Europa und vor allem in Deutschland. Wir vermuten, dass die Wertschöpfungsketten ähnlich sein werden wie beim LNG: Erzeuger – Transport – Verbraucher. In diesen Wertschöpfungsketten wird es Unterbrechungen geben. Wir sprechen hier nicht von geschlossenen Prozessen. Und immer, wenn es eine Pumpe, einen Kompressor oder eine andere Maschine im Prozess gibt, besteht die Gefahr der potenziellen Wasserstoff-Freisetzungen. Und diese müssen wir in den Griff bekommen. Wasserstoff ist auch deshalb ein extrem spannendes und vielschichtiges Feld, weil es nicht nur Industriekunden, sondern am Ende des Tages auch den Verbraucher betrifft.
![Das Molekül der grünen Träume: Ohne Wasserstoff wird die Defossilierung der Chemie nicht gelingen. (Bild: © PhotoGranary - stock.adobe.com; Achema; [M]VCG) Das Molekül der grünen Träume: Ohne Wasserstoff wird die Defossilierung der Chemie nicht gelingen. (Bild: © PhotoGranary - stock.adobe.com; Achema; [M]VCG)](https://cdn1.vogel.de/RZ6tSjxC2D_Xjvc8je-6LqlcftQ=/320x180/smart/filters:format(jpg):quality(80)/p7i.vogel.de/wcms/dc/02/dc0289b4a2a9920557bb8a37d93635dd/0105357027.jpeg)
Wasserstoff auf der Achema
Das Molekül der Möglichkeiten: Warum Wasserstoff auf der Achema eine Hauptrolle spielt
Wie meinen Sie das konkret?
Kaufmann: Bewegt man sich entlang der Wertschöpfungskette, starten wir bei der Elektrolyse, dann geht es weiter mit Speicherung und dem Transport. Das wirft Fragen für die Industrie auf: Wie wird der Wasserstoff gespeichert? Wie effizient passiert das? Wie teuer werden Speicher? Welche Transportwege wird es geben? Wenn wir wirklich CO2-neutral werden wollen, müssen wir in die Breite gehen, also in die Städte und Wohngebiete kommen. Dann sind wir schnell beim Verbraucher und damit bei Laien. Wenn wir diese Seite betrachten, kommen wir noch zu ganz anderen Herausforderungen. Nehmen wir Wasserstoff-betriebene Heizungen als Beispiel. Noch ist das Zukunftsmusik, aber es werden Diskussionen geführt, ob Gasheizungen nicht auf Wasserstoffbetrieb umgestellt werden können. Dann geht es z. B. um die Absicherung von Leckagen. Das sind dann klassische Aufgaben für Explosionsschutz-Experten. Ein extrem spannendes Feld, das sich hier für die Zukunft auftut.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
* Das Interview führte Anke Geipel-Kern
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