BASF plant elektrischen Steamcracker Der Elektrik-Trick: Kommt jetzt der strombeheizte Steamcracker?
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Die Defossilierung soll auch vor der Chemie nicht halt machen: Neben fossilen Rohstoffen rückt dabei auch die Energieversorgung der großen Anlagen in den Fokus. Könnten auch mehrere hundert Grad heiße Hochtemperatur-Reaktoren elektrisch beheizt werden? Die BASF will es wissen und setzt beim Herzstück der Petrochemie an: dem Steamcracker.

Schon Catweazle, der schrullige Zauberer aus Richard Carpenters gleichnamiger Kultserie, kannte den „Elektrik-Trick“. Spätestens im nachhaltigkeitsbewegten Jahr 2021 kommt zunehmend auch die Industrie auf den Geschmack am Strom: Soll der Schwenk von fossilen Roh- und Brennstoffen hin zu Klimaneutralität, Kreislaufwirtschaft und Power-to-X-Prozessen gelingen, ginge das nur mit gewaltigen Mengen „grüner“ Energie. Anfang des Jahres stellte der VCI einen Bedarf von rund 628 TWh emissionsneutral erzeugten Strom allein für die Chemie in Aussicht – mehr als der heutige Stromverbrauch Deutschlands. Doch selbst dann bleibt die Herausforderung immens: Insbesondere die Grundstoffchemie ist ohne die vielfältigsten Kohlenwasserstoffe nicht vorstellbar, genauso wenig wie ohne die Energie, die nötig ist, stabile Molekülbindungen aufzubrechen.
![Superheld wider Willen: Bei der De-Fossilierung spielen Moleküle und Verfahrensentwicklung die Hauptrolle. (©Africa Studio; closeupimages - stock.adobe.com [M] Frank) Superheld wider Willen: Bei der De-Fossilierung spielen Moleküle und Verfahrensentwicklung die Hauptrolle. (©Africa Studio; closeupimages - stock.adobe.com [M] Frank)](https://cdn1.vogel.de/eX9H4I8oNYU-2DFJbZVlNAfMPNc=/320x180/smart/filters:format(jpg):quality(80)/images.vogel.de/vogelonline/bdb/1765900/1765990/original.jpg)
Stoffliche Nutzung von CO2 als Rohstoff
Noch kurz die Welt retten? Warum die Defossilierung von der Chemie abhängt
Das geschieht im Steamcracker, einem großen Rohrreaktor, in dem bei über 800 °C Naphtha in kurzkettige Kohlenwasserstoffe wie Methan, Ethen, Propen, Buten oder Pyrolysebenzin aufgebrochen wird. Durch die kurzen Verweilzeiten und die Zugabe von Dampf wird zugleich die weitere Reaktion der Moleküle unterbrochen. Dadurch sind große Steamcracker das Herz einer petrochemischen Grundstoffproduktion. Kaum ein großer Basischemiestandort, der ohne die bis zu 80 Meter hohen Reaktoren auskommt.
Aber auch der Energiehunger der Spaltöfen ist gewaltig: Pro erzeugte Tonne Ethen werden im Schnitt 11.470 MJ Energie benötigt – der Löwenanteil von fast 90 Prozent davon in Form von Gas zur Erzeugung der benötigten Temperaturen. Kein Wunder, dass Steamcracker, zusammen mit der Ammoniaksynthese, zu den größten Energiefressern in der Chemie gehören. Die daraus resultierenden CO2- Emissionen sind beachtlich: Fast 700 Kilo des Klimagases werden bei der Produktion einer Tonne Ethen freigesetzt – zumindest bisher.
Die Energie-Transformation erreicht die Chemie
„Die chemische Industrie ist extrem energieintensiv und arbeitet mit hohen Energiedichten. Etwa drei Viertel der Emissionen unserer Wertschöpfung sind auf die Energieerzeugung zurückzuführen und entstehen nicht etwa als Nebenprodukt chemischer Reaktionen“, erklärt Jörg Unger, Senior Vice President Corporate Technology & Operational Excellence der BASF.
„Die Hauptquellen sind die zur Herstellung von Basischemikalien genutzten Verfahren wie das Steamcracking, die Dampfreformierung für die Herstellung von Wasserstoff und die Ammoniaksynthese, die zusammen mit einer Hand voll anderer Technologien für etwa 70 Prozent unserer heutigen Emissionen verantwortlich sind.“
„Eine zentrale Aufgabe unserer Abteilung ist es, die Energietransformation einzuleiten und die Umsetzung erster Schritte zu begleiten“, erklärt Unger. „Wie stemmen wir die Elektrifizierung von bisher fossilen Verfahren? Welche Technologien bringen uns weiter? Dies erfordert häufig, dass wir über Wertschöpfungsketten und damit auch über heutige Geschäftsfelder hinweg Lösungen suchen müssen, weil diese über die Energieintegration gerade an unseren Verbundstandorten miteinander gekoppelt sind.“ Von den rund 30 TWh, die der BASF-Standort Ludwigshafen pro Jahr benötigt, entfällt lediglich ein Fünftel auf elektrische Energie.
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Die Vision: Ein elektrischer Cracker
Doch ginge das auch anders? In Ludwigshafen scheint man daran zu glauben: Zusammen mit Sabic und dem Gasespezialisten Linde arbeiten die Entwicklerinnen und Entwickler an einem elektrisch beheizbaren Cracker, der bis zu 90 Prozent weniger CO2 erzeugen soll.
Das erfordert ein neues Denken von einer Branche, für die Elektrizität bisher keine allzu große Rolle gespielt hat. Und es erfordert die Entwicklung entsprechender Heizsysteme, die nach und nach vorhandene Gasöfen ersetzen könnten. „Diese neuen Prozesse funktionieren im Labor schon heute, aber in der Petrochemie machen nicht die ersten 98 Prozent, sondern immer die letzten zwei Prozent den Unterschied“, gibt Unger zu bedenken.
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Chemisches Recycling von Plastikmüll
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Geht es mit dem E-Cracker wie geplant voran, könnte um das Jahr 2023 eine Multimegawatt-Anlage in Ludwigshafen erprobt werden. Natürlich ließen sich auch Wasserstoff oder Power-to-X-Gase verfeuern, um die CO2-Emissionen in den Griff zu bekommen. Doch die Aussicht, mit anderen Branchen um knappen Grünstrom zu feilschen, lässt für die nahe Zukunft aus Ungers Sicht die energieaufwändige Stoffumwandlung unwirtschaftlich erscheinen.
Der Ofen ist nicht genug: Was noch zum E-Cracker gehört
Würde man die zehn größten Cracker in der EU elektrifizieren, entspräche der Strombedarf in etwa dem Belgiens. Um den dringend nötigen Zugang zur Energie zu bekommen, wagt sich die BASF weit aus ihrer Komfortzone und hinein ins Revier der Energieerzeuger: Der Chemieriese plant mit RWE und Vattenfall große Offshore-Windparks und investiert Milliardenbeträge in Bau und Anschluss der Kraftwerke in der Nordsee. Diese sollen ab ca. 2030 die großen Verbundstandorte Antwerpen und Ludwigshafen mit grünem Strom versorgen und nebenbei vor Ort Elektrolyse-Wasserstoff erzeugen.
Für die Klimaneutralitäts-Pläne der BASF ist der elektrische Cracker ein Baustein, aber keineswegs der einzige. Wasserstoff, ob als grüner Elektrolysewasserstoff oder als blaues, mittels Carbon-Capture aus Erdgas gewonnenes Gas, gehört genauso auf die Agenda wie biobasierte Rohstoffe oder die Elektrifizierung der Dampferzeugung. Ebenfalls mit dabei: die kontinuierliche Verbesserung bestehender Anlagen und Verfahren. So dürfte die Umstellung der Verdichter ebenso wichtig werden wie die emissionsarme Dampferzeugung. „Es geht um alle Komponenten des Cracker-Prozesses“, bestätigt Unger. „Man könnte denken, der Cracker wäre elektrifiziert, wenn die Öfen elektrifiziert sind. Das ist aber leider nicht so: Die gesamte Energieintegration im Cracker muss neu gedacht werden. Dazu gehört unter anderem auch der Einsatz großer Elektromotoren, die die traditionellen Dampfturbinen zum Antrieb der Kompressoren in der Gasaufarbeitung ersetzen.“
Sollte sich der Elektrik-Trick im Pilotversuch bewähren, könnten nach und nach die Produktionsstandorte umgerüstet werden. Dabei spräche nichts dagegen, Ofen für Ofen vorzugehen und die Cracker eine Weile mit einem Strom-/Gas-Mix zu betreiben. „Ist das die bestmögliche Lösung? Wir werden es sehen“, meint Technologie- Experte Unger. „Aber wenn wir das nicht ausprobieren und ins Risiko gehen, werden wir die Erkenntnisse nicht bekommen, die es braucht, um die Transformation zu gestalten.“
Damit die Energiewende in der Chemie ankommt, braucht es neben der nötigen Verfahren auch Unterstützung aus der Politik: „Unter den jetzigen regulatorischen Rahmenbedingungen wird sich der E-Cracker wirtschaftlich nicht rechnen“, ist sich Unger sicher. Gemeinsam haben die Projektpartner Fördermittel beim EU-Innovationsfonds und im Förderprogramm Dekarbonisierung in der Industrie des deutschen Bundesumweltministeriums beantragt. Damit bringen die Ludwigshafener nach Dow und Shell, die ein Projekt mit Unterstützung durch die niederländische Regierung angekündigt haben, den zweiten großen E-Cracker nach Europa. Allerdings könnte das Deutsche Projekt 2023 noch vor seinem Nachbar ans Netz gehen, da in Ludwigshafen ein vorhandener kleiner Cracker umgebaut werden soll. Dow rechnet nicht vor 2025 mit der Inbetriebnahme.
Dem Strom nach: Wo entsteht die E-Chemie?
Ob die großen Elektro-Anlagen der Zukunft aber weiterhin in Deutschland, Holland oder Belgien stehen werden, wird sich zeigen. Betrachtet man die ebenfalls extrem energieintensive Aluminiumproduktion, spricht nicht viel dafür. Während Bauxit in Australien oder Brasilien abgebaut wird, wird das Primäraluminium dort geschmolzen, wo Energie billig und im großen Stil verfügbar ist – in Europa z. B. in Norwegen oder Island. Die BASF mit ihrem „Verbund“-Prinzip wird sich eine Verlagerung der Grundstoffchemie gut überlegen, doch letztlich werden die Kosten den Ausschlag geben. Auch das eine Überlegung bei der Elektrifizierung der Industrien Europas. ●
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