Nachhaltiger Pflanzendünger Chemie mit reiner Kraft: Düngerherstellung in der Mühle
Zwei Zutaten und ein Mahlwerk – mehr braucht es nicht für einen umweltschonend produzierten und nachhaltigen Pflanzendünger. Dies zeigen Versuche von Forschern am Desy, in denen eine mechanochemische Düngerproduktion genau analysiert wurde.
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Es braucht nicht immer komplexe Synthesen und mehrstufige Prozesse, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Ein Beispiel ist die Produktion von Pflanzendünger. Der lässt sich nämlich mit einem rein mechanischen Verfahren auf umweltschonende Art herstellen. Das zeigt die Optimierung der Herstellungsmethode an Desys Röntgenstrahlungsquelle Petra III. Bei dem Mahlverfahren werden Harnstoff und Gips zerkleinert, bis eine feste Verbindung aus beiden Stoffen entsteht. Die Verbindung setzt die beiden für die Düngung wichtigen chemischen Elemente Stickstoff und Kalzium dann langsam nach und nach frei und kann daher die Belastung von Gewässern verringern und das Klima schonen. Das Mahlverfahren ist schnell, effizient und sauber, wie das internationale Forschungsteam mit seiner Studie belegt hat. Die Methode ist demnach auch skalierbar und hat somit das Potenzial zur industriellen Nutzung. Feldversuche mit dem neuen Dünger hat es bislang allerdings noch nicht gegeben.
Experimente zur Mechanochemie der Dünger-Herstellung
Die Forscher vom Ruđer Bošković Institut (IRB) in Kroatien, der Lehigh University in den USA und Desy haben das helle Röntgenlicht von PETRA III genutzt, um die Produktion des Düngers in der Mühle live zu verfolgen und das Herstellungsverfahren zu optimieren. Teams von Desy und dem IRB erforschen bereits seit einigen Jahren gemeinsam die Grundlagen mechanischer Verfahren zur Auslösung chemischer Reaktionen als Alternative zur Nasschemie. Bei der Mechanochemie werden verschiedene mechanische Verfahren wie Kompression, Schwingungen oder das Mahlen eingesetzt, um eine chemische Umwandlung zu erreichen.
„Die Mechanochemie ist eine recht alte Technik“, sagt Martin Etter, Leiter der Messstation P02.1 an Petra III, wo die Versuche stattgefunden haben. „Seit Jahrtausenden mahlen wir Dinge, zum Beispiel Getreide fürs Brot. Erst jetzt beginnen wir, diese mechanochemischen Prozesse mithilfe von Röntgenstrahlen näher zu untersuchen und zu verstehen, wie wir diese Vorgänge nutzen können, um chemische Reaktionen auszulösen.“
Etters Messstation ist eine der wenigen auf der Welt, an der die Mechanochemie routinemäßig mit Röntgenstrahlung eines Synchrotrons während des Prozesses analysiert werden kann. Der Forscher hat die Messstation viele Jahre lang weiterentwickelt und mit den Nutzern der Anlage an der Feinabstimmung der Methoden zur Analyse und Optimierung mechanochemischer Reaktionen gearbeitet. Der Aufbau ist damit eine der ersten Adressen weltweit für die Untersuchung zahlreicher Arten von Reaktionen, etwa für Materialwissenschaft, industrielle Katalyse und grüne Chemie.
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Mechanokatalytische Ammoniak-Synthese
Ammoniak mal anders: aus der Kugelmühle
Live verfolgen, wie der Dünger entsteht
Für die Untersuchung der Düngerproduktion tat sich das Team mit der Gruppe von Jonas Baltrusaitis von der amerikanischen Lehigh University zusammen. Die Ausgangsstoffe wurden als Pulver in einen Mahlbehälter gegeben, in dem sich zwei Stahlkugeln befanden. Durch Schütteln wurden die Pulver gemahlen und verbanden sich schließlich chemisch. Das Team nutzte das Röntgenlicht von Petra III, um die Reaktion live zu beobachten, Einblicke in die Parameter des Mahlprozesses zu gewinnen und die Reaktionsbedingungen für die Herstellung des gewünschten Düngers zu optimieren.
Der Versuchsaufbau an der Messstation P02.1 erlaubt einen direkten Einblick in die Entwicklung der Reaktionsmischung, ohne den Vorgang unterbrechen zu müssen. Die Forscher konnten so die genauen Reaktionswege bestimmen und die Ausbeute und Reinheit des Produkts analysieren. Dadurch ließ sich das mechanische Verfahren im laufenden Betrieb weiter verfeinern. Der optimierte Prozess erreicht die 100-prozentige Umwandlung der Ausgangsstoffe in den gewünschten Dünger.
Die ideale Vereinigung von Stickstoff und Kalzium
Das als „Kokristall“ bezeichnete Endprodukt ist ein Feststoff mit kristalliner Struktur, das aus zwei verschiedenen Chemikalien besteht, und wird durch schwächere intermolekulare Wechselwirkungen in sich wiederholenden Mustern stabilisiert. „Man kann sich Kokristalle wie Gebilde aus Lego-Steinen vorstellen“, erklärt Etter. „Man hat zwei Arten von Steinen und bildet mit diesen beiden Steinen ein sich wiederholendes Muster.“ In diesem Fall handelt es sich bei den Bausteinen um Kalziumsulfat, welches aus Gips gewonnen wird, und Harnstoff. Durch das Mahlen werden der Harnstoff und das Kalziumsulfat aneinandergebunden.
„Harnstoff bildet, für sich allein genommen, einen sehr schwach gebundenen Kristall, der leicht zerfällt und seinen Stickstoff zu schnell abgibt“, erläutert Lehigh-Forscher Baltrusaitis. „In Verbindung mit dem Kalziumsulfat erhält man aber durch das mechanochemische Verfahren einen viel robusteren Kokristall, der Stickstoff viel langsamer freisetzt.“
Ansatz gegen überdüngte „Todeszonen“
Der Vorteil des Kokristalls aus Harnstoff und Kalziumsulfat besteht darin, dass seine chemischen Bindungen schwach genug sind, um Stickstoff und Kalzium freizusetzen, aber stark genug, um die Freisetzung der beiden Elemente auf einen Schlag zu verhindern. So wird der Dünger langsam über einen längeren Zeitraum in den Boden abgegeben, was dabei hilft, Überdüngung zu vermeiden.
Bei herkömmlichen Düngern werden nur rund 47 Prozent des Stickstoffs tatsächlich vom Boden aufgenommen, der Rest wird ausgewaschen und kann zu massiven Störungen der Gewässer führen. In der Nordsee und im Golf von Mexiko entstehen riesige „Todeszonen“, in denen durch überschüssigen Dünger genährte Algen den gesamten verfügbaren Sauerstoff im Wasser aufbrauchen und damit das Meeresleben abtöten.
Sparpotential für Energiereserven
Außerdem verzehrt die Herstellung dieser Düngemittel über das so genannte Haber-Bosch-Verfahren zur Stickstofffixierung aus der Luft in Harnstoff große Mengen Energie und verbraucht jedes Jahr vier Prozent der weltweiten Erdgasvorräte. Das untersuchte Mahlverfahren hat das Potenzial, diesen Verbrauch deutlich zu senken. „Wenn man die Effizienz der Harnstoffmaterialien um 50 Prozent erhöht, muss man weniger Harnstoff über das Haber-Bosch-Verfahren herstellen und verringert die damit verbundenen Probleme wie den Erdgasbedarf“, erläutert Baltrusaitis. Das Mahlverfahren ist schnell und sehr effizient, und der daraus resultierende Dünger ist rein, ohne irgendwelche Nebenprodukte, abgesehen von Wasser. „Wir schlagen nicht nur einen effektiveren Dünger vor, wir zeigen auch eine umweltfreundliche Methode zur Synthese auf“, betont der Forscher
Während es bei der Analyse an Petra III um weniger als ein Gramm Dünger ging, ist es dem Team um Baltrusaitis und Krunoslav Užarević vom IRB in Zagreb mithilfe der gewonnenen Daten gelungen, ihr Verfahren hochzuskalieren. Bislang können sie mit demselben Verfahren und demselben Wirkungsgrad Hunderte Gramm Dünger herstellen. Als nächsten Schritt plant das Team, die Skalierung bis zu einer industriellen Version des Verfahrens fortzusetzen. Baltrusaitis arbeitet bereits an einer solchen Aufskalierung sowie an Tests des Kokristall-Düngers unter realen Bedingungen.
Originalpubliaktion: Ivana Brekalo, Valentina Martinez, Bahar Karadeniz, Donata Drapanauskaite, Hein Vriesema,Robert Stenekes, Martin Etter, Igor Dejanović, Jonas Baltrusaitis and Krunoslav Užarević: Scaleup of agrochemical urea-gypsum cocrystal synthesis using a thermally-controlled mechanochemistry, „Green Chemistry“, 2022; DOI: acssuschemeng.2c00914
(ID:48307397)