Pharma-Standort im Aufwind Biontech beschert Marburg Extra-Millionen

Quelle: dpa

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Marburg war vor mehr als 100 Jahren schon einmal ein wichtiger Ort im Kampf gegen Infektionskrankheiten. In der Corona-Pandemie ist es die Stadt wieder. Sie will die Chancen nutzen, die sich ihr als Pharma- und Impfstoff-Standort eröffnen.

Am Standort „Behringwerke“ sind rund zehn Firmen mit insgesamt mehr als 6000 Beschäftigten ansässig.
Am Standort „Behringwerke“ sind rund zehn Firmen mit insgesamt mehr als 6000 Beschäftigten ansässig.
(Bild: Heinrich Stürzl / CC BY-SA 4.0)

Marburg (dpa/lhe) – Das mittelhessische Marburg hat im Lauf des Jahres 2021 erstaunliche Entwicklungen erlebt. Die idyllisch und etwas abseits gelegene Uni-Stadt rückte plötzlich in den Blick der Weltöffentlichkeit, als der Mainzer Corona-Impfstoffpionier Biontech hier ein Werk für die Großproduktion seines Vakzins hochzog. Nicht wenige stellten überrascht fest, dass die Stadt bereits ein Name im Pharma-Bereich war, wenn auch etwas im Verborgenen. Marburg will die hinzugewonnene Bekanntheit nutzen – und hat dank eines plötzlichen Geldregens neue Gestaltungsspielräume dafür.

„Was sich natürlich sehr verändert hat, ist die internationale Aufmerksamkeit“, sagt Marburgs Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD) mit Blick auf die Schlagzeilen über seine Stadt in den vergangenen Monaten. „Ich glaube, wir waren in der Vergangenheit selten auf der Seite 3 der Samstagsausgabe der „FAZ“, in der „Süddeutschen“, auf der englischen Ausgabe der „Financial Times“, auf der Titelseite von „Le Monde“ oder in der „New York Times“. Da kommt die Universitätsstadt Marburg eigentlich nicht regelmäßig vor. Jedenfalls bislang nicht.“

Doch dann übernahm Biontech im vergangenen Herbst das Marburger Werk vom Schweizer Pharma-Konzern Novartis. Nach einem rasanten Umbau wird seit dem Frühjahr auch hier, in einem engen Tal am Stadtrand, das in der Pandemie dringend benötigte Corona-Vakzin des Mainzer Unternehmens und seines US-Partners Pfizer produziert. Jahreskapazität bei voller Auslastung: eine Milliarde Impfstoffdosen.

Das alles geschieht auf historischem Grund, in einem Industrie-Areal namens „Behringwerke“. Dessen Anfänge gehen auf den Medizin-Nobelpreisträger Emil von Behring (1854-1917) zurück. Auf dem Gelände wurden bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts sogenannte Heilseren gegen Infektionskrankheiten hergestellt. Oberbürgermeister Spies weist denn auch gerne darauf hin, dass die Öffentlichkeit nicht zum ersten Mal in einer Gesundheitskrise auf die Stadt blickt: „Marburg hat über 100 Jahre Tradition in der Herstellung von Impfstoffen. Und insofern passt es, dass Biontech hier produziert, der Bogen ist also schon: von Behring zu Biontech.“

Aktuell arbeiten mehr als 500 Menschen in dem Marburger Werk von Biontech.
Aktuell arbeiten mehr als 500 Menschen in dem Marburger Werk von Biontech.
(Bild: Biontech)

Aktuell arbeiten nach Angaben einer Unternehmenssprecherin mehr als 500 Menschen in dem Marburger Werk, wo drei von vier Arbeitsschritten für die Corona-Impfstoffe erfolgen. Abgefüllt wird an einem anderen Standort. Das Biontech-Team in der hessischen Stadt soll weiter wachsen. Eine finale Zahl könne aber noch nicht genannt werden, da die Planungen für 2022 noch nicht abgeschlossen seien.

Nicht nur für Marburg, für die ganze Region ist die Pharma-Branche ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Am Standort „Behringwerke“ sind rund zehn Firmen mit insgesamt mehr als 6000 Beschäftigten ansässig. Die Branche bringt den öffentlichen Kassen im Schnitt jährlich 90 Millionen Euro Gewerbesteuer ein. Wobei sich die Stadt bei diesen Angaben auf die Jahre 2015 bis 2018 bezieht. Die aktuellen Zahlen sehen dank eines unerwarteten Boosters ganz anders aus: Marburg rechnet mit einem Plus aus der Gewerbesteuer für 2021 und 2022 von rund 570 Millionen Euro. Wem das vor allem zu verdanken ist – darüber gibt es keine offiziellen Angaben. Allerdings wird bei der Frage allgemein gen Biontech geblickt.

Zwar muss Marburg rund 70 % der Mehreinnahmen über Umlagen an den Kreis Marburg-Biedenkopf und das Land Hessen weitergeben. Doch das sei nur fair, sagt Oberbürgermeister Spies. Und: „Der Rest, der für uns bleibt, ermöglicht uns gerade im investiven Bereich, ganz viel für die nachhaltige Zukunftsentwicklung der Stadt zu tun.“ Die Extra-Millionen sollen insbesondere in Klimaschutz, Wohnen und den sozialen Ausgleich gesteckt werden, außerdem in den Bildungsbereich.

Wie der Haushalt 2022 aussehen und die zusätzlichen Gewerbesteuermillionen konkret verwendet werden sollen, darüber stimmte die Stadtverordnetenversammlung vor Weihnachten ab. Es ging auch um einen umstrittenen Punkt: die Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes von 400 auf 357 Prozentpunkte. Am Ende machte dabei die Marburger Linke nicht mit und verließ die erst kurz zuvor besiegelte Koalition mit SPD, Grünen und Klimaliste. Eine Mehrheit fand sich für den Haushalt und die Steuersenkung dennoch.

Mit Biontech als neuem Zugpferd will die Stadt in den kommenden Jahren ihren Pharma-Bereich weiter voranbringen. „Wir kümmern uns ja schon sehr lange sehr intensiv um den Pharma-Standort“, sagt der Rathauschef. Marburg werde den Fokus nun unter anderem auf weitere Gewerbeflächen legen. Spies: „Da gibt es noch eine größere Fläche, die einer städtischen Tochter gehört, die wir noch entwickeln. Das werden wir jetzt sehr engagiert tun, natürlich in enger Absprache mit den Anwohnerinnen und Anwohnern.“ Auch soll es künftig ein Start-up-Zentrum für den Bereich Bio-Pharma geben.

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Die geplanten Schritte hat Marburg bereits vor einiger Zeit in einen „Masterplan Behring-Standort“ für die Entwicklung der nächsten 15 Jahre beschlossen. „Ich glaube, wir sind ein guter Standort für Bio-Pharma“, so Spies. Doch man könne immer noch besser werden. „Wir werden in den kommenden Jahren einen besonderen Fokus darauf legen, Strukturen zu schaffen, um das zu ermöglichen.“ Und das falle der Stadt jetzt auch noch leichter, sagt der Oberbürgermeister mit Blick auf den Steuersegen.

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