Erfahrungswissen in der Produktion Wie Sie mit Wissensmanagement die Effizienz ihrer Prozessanlage steigern
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Erfahrung macht den Meister, lautet das bekannte Sprichwort und erfahrene Mitarbeitende produzieren weniger Stillstände. Doch wie profitieren von der Erfahrung Einzelner alle in Produktion und Technik? Ein selbstlernendes Assistenzsystem spielt dabei ein wichtige Rolle.

Nur selten läuft eine maschinelle Produktion vollkommen störungsfrei. In der Realität sind ungeplante Stillstände aufgrund von Produktionsstörungen Alltag und kumulieren zu langen Stillstandszeiten, hohen Ausschussmengen und damit verbundener niedriger Gesamtanlageneffektivität (OEE).
Obwohl hochmoderne Produktions- und Verpackungsmaschinen auf Basis innovativer Technologien eine Vielzahl von Diagnosewerkzeugen bieten, erreichen erfahrene Mitarbeitende eine deutlich höhere Produktionseffizienz als unerfahrene Kollegen. Der Grund liegt häufig darin, dass eine Maschine in vielen Fällen nur Symptome erkennen kann, die zu einem Stillstand führen.
Ein Beispiel hierfür ist das Auslösen der Überlastsicherung am Packguteinschub einer Blisterkartoniermaschine. Die Ursache hierfür können übermäßig krumme Blister, ein falsch abgelegtes Insert, ein verschlissenes Linearlager oder eine nicht korrekt aufgefaltete Kartonschachtel sein.
Die Ursachen für Mikrostopps werden oft nur unzureichend analysiert
Wird die richtige Ursache nicht erkannt, sondern nur das Symptom behoben, tritt die Störung häufig nach kurzer Zeit wieder auf. Es entstehen so genannte Mikrostopps, die kaum bis gar nicht erfasst werden, aber einen sehr großen Einfluss auf die Effizienz des Produktionsbetriebes haben. Untersuchungen am Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Dresden haben gezeigt, dass mehr als 70 Prozent der Produktionsstörungen kürzer als zwei Minuten sind.
Im Bereich Pharmazie-Verpackung gelten die Track&Trace-Prozesse als besonders sensibel und fehleranfällig. Die große Bedeutung fehlerfreier Prozesse erfordert hier ein außerordentlich hohes Maß an Erfahrungswissen seitens der Mitarbeitenden aus Produktion und Technik.
Unterstützen und ausbilden anstatt verdrängen
Diese Beispiele zeigen, dass eine menschenleere Produktionsstätte mit Vollautomatisierung häufig weder technisch möglich noch ökonomisch sinnvoll ist. Ein effizienter Produktionsbetrieb basiert demnach immer auf hochmodernen Produktionstechnologien und geschulten, erfahrenen Mitarbeitenden. Während der technische Fortschritt den Automatisierungsgrad der Produktion weiter erhöht, erschweren demographischer Wandel, Fluktuation und Fachkräftemangel den Aufbau eines Teams von erfahrenen Mitarbeitenden.
Das digitale Schulungszentrum bei Bayer
Die Schulung von Mitarbeitenden ist im GxP-Umfeld der Pharmaindustrie eine besondere Herausforderung, da Bedienfehler schwerwiegende Folgen haben können. Aus diesem Grund hat Bayer im Pharmazie-Verpackungsbetrieb am Standort Leverkusen ein digitales Schulungszentrum geschaffen und dafür 2021 den Life-Award des Konzerns gewonnen. Mit modernsten Augmented- und Virtual-Reality-Technologien (AR/VR) können Mitarbeitende im Umgang mit Verpackungsmaschinen in verschiedenen simulierten Situationen außerhalb des GxP-Umfelds ohne den Einsatz von kostenintensiven Testmaterialien geschult werden.
Diese Möglichkeiten helfen, Mitarbeitende auf wichtige Arbeitsschritte in der Produktion vorzubereiten und diese einzustudieren. Den Austausch unter Kollegen, sowie den Erfahrungsaufbau zur Ursachensuche bei Produktionsunterbrechungen, können sie jedoch nicht ersetzen.
Warum Wissensmanagementsysteme im Produktionsumfeld unterrepräsentiert sind
Der Aufbau und der Austausch von Erfahrungswissen sind von grundlegender Bedeutung. Während jedoch in vielen Bereichen des privaten und beruflichen Lebens Wissensmanagementsysteme (Wikis) mittlerweile zum Alltag gehören, fehlen diese in Produktionsbetrieben oft vollständig. Im Ergebnis liegen Informationen oft stark dezentral vor, beispielsweise in Word-Dokumenten, Excel-Listen, SAP-Meldungen oder E-Mails.
Das führt dazu, dass im Falle einer Produktionsstörung der jeweilig verantwortliche Mitarbeitende nur selten Zugriff auf diese Informationen hat. Da in der Folge die vorhandenen Informationen nur selten genutzt werden, fehlt vielen Mitarbeitenden die Motivation zur ausführlichen Dokumentation.
Aber selbst ein gut gepflegtes, vollständiges Wissensmanagementsystem hätte ein zentrales Problem: Das Suchen. Um die für die Situation passenden Einträge zu finden, müssen die richtigen Schlagworte gewählt werden. Insbesondere im Produktionsumfeld mit zahlreichen synonymen Begriffen (Beispiele: Förderband, Transportriemen, Fächerkette) kann die Suche sehr langwierig und oft nicht zielführend sein. Multimedia-Inhalte wie Fotos und Videos sind darüber hinaus nur mit einer guten Verschlagwortung (Tags) auffindbar. Infolgedessen werden die Inhalte kaum genutzt und daher kaum gepflegt.
Selbstlernendes Assistenzsystem macht Lösungsvorschläge
Diese Herausforderung löst das selbstlernende Assistenzsystem „MADDOX“ der Peerox GmbH. Die Software analysiert über eine Datenschnittstelle zur Produktionsanlage Prozess- und Maschinendaten mit Algorithmen des maschinellen Lernens. Mit überwachten Lernverfahren werden Einträge einer integrierten Wissensdatenbank mit Zustandsklassen ähnlicher Datenmuster verknüpft.
Im Falle einer Produktionsstörung ist das System somit in der Lage, die Ähnlichkeit des aktuellen Musters zu den vorhandenen Musterklassen zu berechnen und damit verbundene Datenbankeinträge, so genannte digitale Wissenskarten, auf einem Tablet oder Touch-Screen zu präsentieren.
Die Psychologie spielt eine wichtige Rolle
Die Produktidee entstand als Forschungsprojekt am Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung in Dresden. Die Forschenden stießen neben den zahlreichen technischen Entwicklungsthemen in Bezug auf den Algorithmus, die Stabilität und den Funktionsumfang der Software, frühzeitig auf grundlegende psychologische Herausforderungen. In zahlreichen Probandentests zeigte sich, dass große Ängste in Bezug auf Überwachung, Kontrolle oder Ersetzbarkeit vorherrschten. Viele Probanden weigerten sich, ihr Wissen zu teilen, in der Befürchtung, sich selbst ersetzbar zu machen.
Aus diesem Grund begannen die Forschenden bereits 2016 intensiv mit Ingenieurpsychologen der TU Dresden zusammenzuarbeiten. In verschiedenen Forschungsprojekten wurden Hintergründe für Motivation, Verlustängste und Engagement untersucht und in verschiedene Funktionalitäten abgeleitet. Diese Aspekte sind in die Entwicklung von Maddox eingeflossen.
Hohe Akzeptanz durch den Anwender
Deshalb erhebt das System heute den Anspruch, eine Lieblingssoftware zu sein und damit ein hohes Maß an Datenqualität und -quantität zu erzeugen. Erreicht wird dies unter anderem dadurch, dass einmal dokumentiertes Wissen, ohne aktive eigene Suche und mithilfe des Suchalgorithmus, immer wieder proaktiv angeboten wird. Im Vergleich zu anderen, kaum genutzten Dokumentationssystemen wie etwa Microsoft Word, wird hier der Aufwand zur Dokumentation von Ideen im Unternehmen deutlich stärker wahrgenommen und damit wertgeschätzt.
Dies wird insbesondere dadurch unterstützt, da das Assistenzsystem als einfaches Tool zur Schichtprotokollierung und Erstellung von SAP-Meldungen in der Nutzung aktiv in den Produktionsalltag eingebunden ist.
Nutzer trainieren das System und machen es besser
Dessen Stärke ist auch die automatisierte, lernfähige Suche nach situativ passenden Datenbankeinträgen eines Wissensmanagementsystems. Dazu ist eine Schnittstelle wie beispielsweise unter Nutzung von OPC UA notwendig. Außerdem verknüpfen die Nutzenden durch das ständige Training des Systems hochpräzise Maschinendaten, also Real Time Operational Data, mit Ursachenzuordnungen, zum Beispiel „Rillung der Faltschachteln mangelhaft“.
Diese verknüpften Daten können für die Technik- und Operational-Excellence-Bereiche eines Unternehmens sehr wertvoll sein. So wurde eine validierte SAP-Schnittstelle geschaffen und die Mitarbeitenden können basierend auf den vorhandenen Daten in einfacher und schneller Art und Weise, detailreiche SAP-Meldungen generieren. Darüber hinaus können auf Basis der Daten präzise Analysen zur Produktionsoptimierung durchgeführt werden. So ist es etwa möglich, die Auswirkungen von Qualitätsproblemen einzelner Lieferanten, technischer Probleme oder interner Prozessabläufe zu quantifizieren.
Maddox ist ein On-Premise-System und speichert die generierten Daten auf einem Server des Kunden. Optional bietet sich jedoch an, die Trainings- und Wissensdaten auch an ähnlichen Maschinen an anderen Standorten des Unternehmens oder in definierter, anonymisierter Form mit dem Maschinenhersteller gemeinsam zu nutzen.
Feuertaufe in der realen Produktion bestanden
Bayer verfolgte die Entwicklung von Maddox im Rahmen der Fraunhofer-Forschungsprojekte bereits seit Anfang 2019. Mit der Gründung von Peerox im Jahre 2019 wurde ein erstes Pilotprojekt an einer Tablettenverpackungslinie am Standort Leverkusen gestartet. Seither wurde die Software nach den Erfahrungen aus dem realen Produktionsbetrieb stetig weiterentwickelt und zur Marktfähigkeit gebracht.
Wissensmanagement steigert die Produktionseffizienz
Im März 2021 ist das Assistenzsystem an drei Tablettenverpackungslinien produktiv im Einsatz und wird aktuell an weiteren fünf Verpackungslinien sowie einem Transportsystem implementiert. Maddox unterstützt als Wissensmanagementsystem dabei, die Effizienz der Produktionsanlagen zu steigern und die Einarbeitungszeit neuer Mitarbeitender zu verkürzen. Durch die Vielzahl an OEE-Einflussfaktoren kann der direkte Einfluss nur schwer quantifiziert werden.
Gezeigt werden konnte allerdings, dass durch die Nutzenden bereits innerhalb weniger Wochen eine umfangreiche Wissensdatenbank entstanden ist. Durch die Einbindung als einfach zu bedienendes Schichtbuch sind darüber hinaus bereits Trainingsdaten entstanden, die in der absoluten Mehrzahl der Produktionsunterbrechungen zuverlässig die richtige Ursache benennen.
In zahlreichen Fällen konnten Störungsursachen bereits deutlich schneller und nachhaltiger behoben werden. Auch die Möglichkeiten zum einfachen Verfassen von SAP-Meldungen, auf Basis der Wissens- und Maschinendaten erhöhte die Qualität und Quantität der Meldungen. Darüber hinaus sind die generierten Daten Grundlage zur Produktionsoptimierung im Verpackungsbetrieb in Leverkusen.
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