Geräte-Diagnose Standardisierte und herstellerübergreifende Diagnose: Pilotanlage bei Clariant Produkte (Deutschland) zeigt, wie es geht
Gerätediagnosen ermitteln Fehlfunktionen und stellen diese klar und strukturiert dar. Hier klaffen Wunsch und Wirklichkeit noch weit auseinander. In kleineren Anlagen sind die wenigen Mitarbeiter mit der Informationsflut, die heutzutage über sie hereinbricht, oft überfordert. Eine einfache Lösung war bisher nicht in Sicht, von herstellerübergreifend ganz zu schweigen. Mit einer einheitlichen Schnittstelle, die bei der Clariant Produkte (Deutschland) zusammen mit der ATEG Elektrotechnik umgesetzt wird, soll sich alles ändern.
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Bisher baut jeder Hersteller seine Diagnoseinformationen anders auf, jedes Bit muss mehr oder weniger handverlesen werden. Und: Bei einem Gerätetausch geht alles wieder von vorne los. Im April letzten Jahres nahm die Clariant Produkte (Deutschland) am Standort Rhein-Main Betriebsteil Höchst nun eine Pilotanlage in Betrieb, die zeigt, dass es auch anders geht. Trotzdem oder gerade deswegen, weil sie die Vorgaben der Namur-Empfehlung NE107 (Selbstüberwachung und Diagnose von Feldgeräten) erfüllt.
Die Anlage setzt auf dem Profibus PA-Profil 3.01 auf. Dank der von Clariant und ATEG Elektrotechnik gemeinsam ausgetüftelten Schnittstelle visualisiert das Prozessleitsystem (PLS) die vier Statussignale – Wartungsbedarf, Außerhalb der Spezifikation, Funktionskontrolle und Ausfall aller Geräte – der Multi-Vendor-Anlage einheitlich. Vor dem Praxistest hatte ein Versuchsaufbau im Prüflabor der BIS Prozesstechnik Schnittstellen und Geräte im Zusammenspiel mit dem PLS überprüft.
Michael Pelz, Betriebsingenieur bei Clariant und Obmann des Namur-Arbeitskreises 2.6 Feldbus ist der Initiator des Projektes: „Mit modernen Feldgeräten, die eine Diagnose nach NE107 unterstützen, können wir schon heute eine funktionsfähige Selbstüberwachung und Diagnose, inklusive einer standardisierten Darstellung der Statussignale im Prozessleitsystem umsetzen. Eine einmal definierte Schnittstelle im PLS kann für alle verwendeten Feldgeräte genutzt werden. Der Anwender nennt anschließend den Geräteherstellern die im PLS eingesetzte Schnittstelle, dann werden die Geräte vor der Auslieferung entsprechend konfiguriert, anschließend müssen bei der Inbetriebnahme keine weiteren aufwändigen Anpassungen mehr vorgenommen werden.“ Der Haken daran ist, dass bisher nur wenige Geräte erhältlich sind, die eine Diagnose nach NE107 unterstützen. Diese Altgeräte benötigen leider noch einen so genannten Mapping-Baustein, der die Diagnoseinformationen den vier Statussignalen im PLS zuordnet.
Eineindeutige Informationen für den Anlagenfahrer
„Von Plug&Play keine Spur. Aber es ist aktuell unsere einzige Chance, alle Geräte in eine standardisierte Selbstüberwachung zu integrieren“, bedauert Pelz. Doch dieser separate Mapping-Baustein ermöglicht bei zukünftigen Änderungen und Erweiterungen ausreichende Flexibilität. Wird die Anlage später auf NE107-fähige Geräte aufgerüstet oder erweitert, muss nur dieser gerätespezifische Baustein im PLS entfernt werden, mehr nicht „Was wir benötigen, sind mehr Feldgeräte mit Gerätediagnose nach NE107 und Leitsysteme mit der dazugehörigen Schnittstelle“, betont Pelz. „Diese Standardisierung wird in Zukunft bei jeder Bestellung ein wichtiges Entscheidungskriterium sein.“
Das große Plus des neu eingesetzten Überwachungs- und Diagnosekonzeptes bei Clariant: Die zeitnahe zyklische Kommunikation und äußerst übersichtliche Darstellung der Statussymbole ermöglicht es dem Anlagenfahrer sich sehr schnell einen Überblick zu verschaffen, ohne sich in überflüssigen Zusatzinformationen zu verzetteln. Das Wartungspersonal bekommt seine detaillierten Informationen und Störungsmeldungen über die azyklische Kommunikation. Diese gute Aufgabenverteilung erleichtert auch die Abstimmung zwischen Anlagenfahrern und Wartungspersonal.
Nach dem Pilotprojekt: erste Produktionsanlage vor dem Start
„Unsere Kollegen haben das Konzept sofort angenommen und in die Tat umgesetzt. Das ist der beste Beweis für uns, dass wir mit dieser recht simplen Lösung richtig liegen. Wir entschärfen damit die immer größere Zahl an Diagnoseinformationen und machen sie sehr einfach zugänglich“, freut sich Pelz. Nach der Pilotanlage wird im Mai die erste Produktionsanlage mit dem neu eingesetzten Überwachungs- und Diagnosekonzept am Standort Höchst in Betrieb gehen.
Gerätemanagement der Zukunft: Standards statt Komplexität
Auch bei vielen Anwendern kam die neue Schnittstelle sehr gut an. Damit nicht genug, der Standard für Selbstüberwachung und Gerätediagnose entpuppt sich nämlich als wahrer Tausendsassa. So könnte er beispielsweise bei der Diagnose des Physical Layers des Feldbusses, in der Umrichter- oder Pumpentechnik, Analysen- und Wägetechnik und sogar in ganzen Package Units das Kommando für eine einheitliche Symbolik übernehmen.
Vielleicht zeigt diese einfache Schnittstelle, dass für ein Gerätemanagement der Zukunft nicht unbedingt Komplexität, sondern viel eher herstellerübergreifende Standards die Grundlage sein sollten.
Fazit: Der einheitliche Diagnosestandard NE107 wird sowohl von den Anlagenfahrern als auch vom Wartungspersonal positiv aufgenommen und akzeptiert. Er ist praxistauglich und zukünftig als Grundlage – für beispielsweise vorbeugende Instandhaltung, MES (Manufacturing Execution System) oder ASM (Asset Management) – vielseitig nutzbar.
Jetzt sind die Anwender gefordert, diesen Standard bei den Herstellern auch einzufordern.
Nachgefragt: Forderungen beschleunigen Umsetzung
Das Interesse an dem Thema standardisierte Diagnose ist derzeit groß. Mittlerweile sind erste Profibus PA-Geräte mit der neuen Schnittstelle auf dem Markt erhältlich. Das Beispiel Schneider Electric zeigt, dass bei den Herstellern von Leitsystemen ebenfalls an einer Umsetzung gearbeitet wird. PROCESS befragte dazu Michael Pelz, Betriebsingenieur bei Clariant Produkte (Deutschland) und Obmann des AK 2.6 Feldbusse in der Namur, Alois Kunzer, Geschäftsführer des Systemintegrators ATEG, und Siegfried Schwering, bei Schneider Electric verantwortlich für die Automatisierungstechnik im Bereich Vertrieb Industrie.
Herr Pelz, wer kam auf die zündende Idee mit der Schnittstelle, und was ist der technische Kniff dabei?
Pelz: VDI, Namur und GMA haben in Zusammenarbeit die VDI/VDE-Richtlinie 2650 „Anforderungen zur Selbstüberwachung und Diagnose in der Feldinstrumentierung“ erarbeitet. Daraus entstand die NE107 „Selbstüberwachung und Diagnose von Feldgeräten“. Diese Papiere gelten seit Anfang 2005 als Grundlage für eine standardisierte Gerätediagnose. Anschließend wurde für die vier festgelegten Statussignale – Ausfall, Funktionskontrolle, Außerhalb der Spezifikation und Wartungsbedarf – zusätzlich noch eine einheitliche Darstellung festgelegt. Der Kniff hierbei ist wahrscheinlich die möglichst einfache, aber auf fast alles anwendbare Auswahl der vier Statussignale.
Herr Kunzer, Sie sagen, die Lösung ist relativ simpel. Warum kam bisher niemand darauf?
Kunzer: Vielleicht, weil es die NE107 noch nicht gab. Hier hat jeder auf den anderen gewartet. Der Anwender auf das fertige Konzept der Hersteller, was bei diesen möglicherweise mangels konkreter Anforderungsprofile keine hohe Priorität hatte. Diese Zurückhaltung ist auch verständlich, solange sich die Beteiligten noch nicht auf eine verbindliche oder allgemein anerkannte Richtlinie verständigt haben. Wie sollte auch eine klare Spezifikation zur Softwareentwicklung aussehen, solange zwischen Anwendern und Herstellern kein gemeinsamer Nenner gefunden wurde? Die NE107 ist jetzt eine solche gemeinsame Basis. Der Vorteil dieser Variante der Selbstüberwachung und Diagnose von Feldgeräten besteht darin, dass ohne weitere Softwaretools die wichtigsten Diagnosedaten schon mit dem zyklischen Datenaustausch der Prozesssteuerung und damit dem Anlagenfahrer zur Verfügung stehen. Weiterhin kann man je nach eingesetzter Prozesssteuerung und/oder Anwenderkonzept die Aufbereitung der Daten entweder auf System- oder auf Applikationsseite realisieren.
Herr Schwering, wie sieht der Hersteller der eingesetzten SPSen, Schneider Electric, das Thema Diagnose?
Schwering: Für uns ist die Diagnose von Systemen und Anlagen der Schlüsselfaktor einer effizienten Produktion und seit vielen Jahren Kernbestandteil der entsprechenden Hard- und Softwarelösungen. Da unterschiedliche Hersteller oft unterschiedliche Diagnoselösungen vermarkten, bietet die NE107 die Plattform für eine transparente Sicht. In Zusammenarbeit mit unserem Systemintegrierer ATEG haben wir bei Clariant die NE107 zum ersten Mal erfolgreich umgesetzt und die grundsätzliche Machbarkeit damit nachgewiesen. Auch die Übersichtlichkeit dieses Konzeptes konnte deutlich gemacht werden. Derzeit wird geprüft, inwieweit sich die ersten Lösungen so aufbereiten lassen, dass sie als NE107 „ad on“ standardmäßig angeboten werden können. Schneider Electric wird in enger Zusammenarbeit mit allen Beteiligten die Umsetzung der NE107 vertiefen und weiter verfolgen.
Herr Pelz, was bringt die standardisierte Diagnose dem Anwender?
Pelz: Die stetig wachsende Anzahl an Diagnoseinformationen macht das Handling und die Verarbeitung immer schwieriger. Durch das Zuordnen all dieser Informationen auf nur vier Statussignale – Ausfall, Funktionskontrolle, Außerhalb der Spezifikation, Wartungsbedarf – werden die Übersichtlichkeit und somit auch die Reaktionsgeschwindigkeit deutlich verbessert. Die einheitliche, herstellerübergreifende Darstellung bringt eine bisher noch nicht da gewesene Transparenz, vom Feldgerätedisplay, über die PLS-Visualisierung bis hin zu übergeordneten Applikationen. Die unterschiedlichen Vorgaben für Anlagenfahrer und Wartungspersonal werden von diesem neuen Konzept sehr gut umgesetzt. Gerade in „kleineren“ Anlagen benötigt der Anlagenfahrer zeitnahe, einfach aufbereitete Informationen zum sicheren Betreiben der Anlage, ohne störende Zusatzinformationen. Das Wartungspersonal dagegen muss mit detaillierten Daten versorgt werden, bei Störungen möglichst gleich mit Lösungsvorschlägen.
Die Autorin arbeitet als Freie Journalistin in Darmstadt.
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