Abwasserinfrastruktur Sanierung von Abwasserkanälen – ein Ausflug in den Untergrund

Von Dipl.-Ing. Hans-Jürgen Bittermann*

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Schon jetzt fließen nach Angaben des Stadtwerkeverbandes VKU bundesweit pro Jahr rund fünf Milliarden Euro in den Erhalt und die Erneuerung der Abwasserinfrastruktur – nicht genug, sagen Experten ...

Befahren eines Kanals mit einer HD-Kamera
Befahren eines Kanals mit einer HD-Kamera
(Bild: Jeschke)

Das Netz der öffentlichen Abwasserkanäle in Deutschland wächst und wächst. Mittlerweile hat es nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes eine Gesamtlänge von knapp 600.000 km, fast ein Drittel mehr als noch 1995. Ein Grund für den Zuwachs: Regen- und Schmutzwasser wird zunehmend getrennt abgeführt. Für ein Neubaugebiet braucht man deshalb etwa doppelt so viele Kanalmeter wie bei einem gemeinsamen Rohr für Mischwasser, so die DWA (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall).

Doch wie sieht es mit den bereits verbauten Kanälen aus? Öffentliche wie private Abwasserkanäle weisen zum Teil erhebliche Schäden und Mängel auf. Je nach Art der Schäden und in Abhängigkeit der Boden- und Grundwassersituation kann dies zur Infiltration von Grund-, Schichten- oder Sickerwasser führen. In Zahlen ist das recht dramatisch: Etwa ein Viertel (!) des Abwassers, das zur Behandlung in der Kläranlage ankommt, müsste nicht behandelt werden (Quelle: BMU). Das überlastet Kanäle und Kläranlagen, reduziert die Reinigungsleistung und erhöht den Energiebedarf der Abwasseranlagen.

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Eine DWA-Umfrage (2015) zum Zustand der Kanalisation im öffentlichen Netz erbrachte dieses Bild:

  • Etwa 20 % der Kanalhaltungen im öffentlichen Bereich weisen Schäden auf, die kurz- bzw. mittelfristig sanierungsbedürftig sind. Dies entspricht einer Schadenslänge von etwa 3 % der Gesamtkanalnetzlänge.
  • Der Anteil der Erneuerung an den Sanierungsverfahren nimmt ab; der Anteil der Reparaturverfahren nimmt zu; der Anteil der Renovierungsverfahren ist unverändert.
  • Jährlich werden 1,1 % des Kanalnetzes in Deutschland saniert.

Im Forschungsvorhaben „Projekt F219: Auswirkungen von Kanalabdichtungen auf Kläranlagen und Wasserhaushalt“ des IKT Institut für Unterirdische Infrastruktur im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) wurden Nutzen, Aufwand und Risiken von Kanalabdichtungen untersucht und Empfehlungen für eine ganzheitliche Betrachtung bei der Kanalsanierung erarbeitet. Die Altersverteilung macht deutlich, dass der weitaus größte Teil der Kanäle nicht älter ist als 50 Jahre (68 %). In Bezug auf die Dichtheit von Kanälen ist das Jahr 1965 mit der Einführung von Elastomerdichtungen von Bedeutung. Ca. 30 % der Kanäle wurden bis Ende der 1950er Jahre errichtet. Bis dahin wurden die Abdichtungen der Rohrverbindungen auf der Baustelle handwerklich hergestellt (z.B. Teerstrick mit Bitumenverguss). Diese sind im Zuge des Alterungsprozesses inzwischen i.d.R. verrottet. Somit ist davon auszugehen, dass vor 1965 verbaute Leitungen nicht mehr dicht sind. Die vorherrschenden Rohrmaterialien im öffentlichen Kanalbau sind Beton und Steinzeug; der Anteil der Kunststoffrohre nimmt zu.

Für die Sanierung gibt es verschiedene Verfahren:

  • Grabenloses Reparaturverfahren: Nach Hochdruckreinigung des Altkanals wird eine undichte Stelle im Altkanal und im Bereich eines Hausanschlusses mit Epoxidharz und Robotertechnik vorabgedichtet. Der anschließend mittels Druckluft aufgestellte Kurzliner besteht aus Silikatharz und Glasfasern.
  • Grabenloses Renovierungsverfahren: Nach Hochdruckreinigung des Altkanals werden mehrere undichte Stellen im Altkanal und im Bereich eines Hausanschlusses mit Epoxidharz und Robotertechnik vorabgedichtet. Der anschließend mittels Druckluft aufgestellte Schlauchliner besteht aus ungesättigtem Polyesterharz, Glasfasern und dem Lösungsmittel Styrol.
  • Offenes Reparaturverfahren: Nach Erstellung der Kleinbaugrube (Tiefe 3 m, Breite 0,9 m, Länge 1 m) werden um die undichte Stelle im Altkanal eine Außenmanschette aus Edelstahl mit elastischen Dichtringen aus EPDM (Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk) montiert. Im Bereich des Hausanschlusses wird ein Anschlussstutzen aus PE-HD (Polyethylen mit hoher Dichte) eingebaut. Nach Abschluss der Reparaturarbeiten wird die Kleinbaugrube mit Sand, Schotter oder Splitt verfüllt und die Straßendecke erneuert.
  • Offene Erneuerung: Nach Erstellung der Baugrube (Tiefe 3 m, Breite 0,9 m, Länge 50 m) wird der defekte Altkanal ausgebaut. Anschließend wird ein neuer Schmutzwasserkanal aus Steinzeugrohren gebaut, die mit Steckmuffen aus EPDM verbunden sind. Im Bereich der Hausanschlüsse werden Anschlussstutzen aus PP (Polypropylen) eingebaut. Nach Abschluss der Erneuerungsarbeiten wird die Baugrube mit Sand, Schotter, Splitt verfüllt und die Straßendecke erneuert.

Ein Großteil der Sanierungsverfahren ist zwischenzeitlich in technischen Regelwerken beschrieben oder verfügt über bauaufsichtliche Zulassungen, unterliegt also den allgemein anerkannten Regeln der Technik.

Dies sollte jedoch nicht dazu führen, technologischen Fortschritt zu verhindern. Beispiel: In einem Industriebetrieb wurde der Einsatz eines mit geruchsfreiem Harz getränkten Liners vereinbart, für den zum Einbauzeitpunkt noch keine bauaufsichtliche Zulassung vorlag. So konnte eine Geruchsbelästigung der Mitarbeiter des Industriebetriebes vermieden werden. Grundlage des Einsatzes war eine zwischen Bauherrn, Bieter und Bauüberwacher abgestimmte engmaschige Überwachung von Installation und fertigem Produkt über mehrere Jahre.

Liner-Report 2019

Nach wie vor dominiert bei den Sanierungs-Technologien das Inliner-Verfahren. Dazu legt das IKT jährlich einen Bericht vor. In den Liner Report 2019 flossen die Prüfergebnisse von insgesamt 2353 Schlauchliner-Proben ein, die das IKT geprüft hat. Der Bericht ist international: Sanierungsfirmen aus sieben Ländern sind dabei.

Ergebnis: Nur drei Sanierungsfirmen erbrachten durchgehend eine sehr gute 100 %-Leistung in allen vier Prüfkriterien (Kurzzeit-Biegemodul, Wanddicke, Biegefestigkeit, Wasser-Dichtheit): Hamers Leidingtechniek mit Alphaliner; Jeschke Umwelttechnik mit Alphaliner; Kanaltechnik Agricola mit Brandenburger Liner. Bei insgesamt 23 Sanierungsfirmen, deren Baustellen-Proben in den IKT-Liner-Report 2019 eingehen, ist hier zweifelsohne noch genug Luft nach oben für Qualitätsverbesserungen.

Die vier Prüfkriterien mit ihren Sollwerten gibt es aber aus gutem Grund: Nur wenn alle vier erfüllt sind, können Auftraggeber davon ausgehen, dass sie einen fachgerecht eingebauten Liner erhalten haben, der gute Aussichten auf eine lange Nutzungsdauer im Kanal hat. Den gleichen Anspruch müssen auch die Sanierungsfirmen sowie die Liner-Produzenten an sich stellen.

Fazit: Die erwartete Lebensdauer von Abwasserrohren liegt bei 50 bis 80 Jahren. Theoretisch ergibt sich daraus eine notwendige Erneuerungs- oder Sanierungsquote von 1,25 bis 2 % pro Jahr (Ist-Wert laut DWA: 1,1 %). Jedoch erreichen viele Abwassersysteme nicht das Ende der technischen Nutzungsdauer. Bei Betrachtung der im Abwassersystem aufgetretenen Schäden und Ermittlung der Ursachen ist erkennbar, dass mehr als zwei Drittel aller Schäden bei sorgfältiger Planung, Bauausführung und Instandhaltung vermeidbar gewesen wären. Ein zukunftsweisender Weg, den einige Netzbetreiber zwischenzeitlich gehen, ist die Kombination zwischen einer risikobasierten und einer zuverlässigkeitsorientierten Instandhaltung. Hier wird versucht anhand von Erfahrungswerten und einer selektiven Inspektion Netzteile zu ermitteln, die ein erhöhtes Risikopotenzial hinsichtlich der Betriebssicherheit und Umweltverschmutzung aufweisen.

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* Der Autor ist freier Mitarbeiter bei PROCESS.

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