Funktionale Sicherheit – ganz smart Best Practice – Smart Safety Test an Absperrklappen steigert Anlagenverfügbarkeit
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Regelmäßige Funktionsprüfungen sind bei PLT-Sicherheitseinrichtungen unumgänglich. Doch sie bedeuten für Betreiber Aufwand und stören den Prozess. Bei Evonik setzt man deshalb auf flexible Prüfzyklen nach NA 106. Mit dem Smart Safety Test von Hima und einem Teilhubtest ist es dem Automatisierungsteam gelungen, den Testzyklus in einer Anlage in Marl von einem auf drei Jahre zu verlängern. Dadurch steigt die Wirtschaftlichkeit der Anlage – ohne Beeinträchtigung der Anlagensicherheit.

Es gibt Anlagen, an denen hängen in einem Chemiewerk ganze Wertschöpfungsketten. Am Chemiestandort Marl ist die Propen-Destillation ein solcher Flaschenhals. Propen ist ein wichtiger Rohstoff für die Herstellung von verschiedenen Chemikalien und einer Vielzahl von Polymeren. Die Business Line „Coatings & Adhesive Resins“ betreibt in Marl eine Destillationsanlage, in der flüssiges Raffineriepropen und ein flüssiges Propen/Propan-Gemisch aus dem Abgas eines Partner-Unternehmens aufgearbeitet wird. Dies geschieht in einer Feindestillationskolonne: Das vorgereinigte Propen/Propan-Gemisch wird erhitzt, das Feinpropen (polymer grade) verlässt die Kolonne am Kopf, das verbleibende Propan wird am unteren Ende der Kolonne (Kolonnensumpf) abgezogen.
Für eine besonders hohe Energieeffizienz sorgt in dem Prozess ein Brüdenverdichter, der ähnlich wie eine Wärmepumpe funktioniert: Der am Kolonnenkopf abgezogene Propen-Dampf (Brüden) wird in einem Kompressor verdichtet, wobei die Temperatur über den Siedepunkt im Sumpf ansteigt. Durch einen Wärmeübertrager im Kolonnensumpf wird die Wärme anschließend zur Beheizung der Kolonne genutzt.
Wie in der Chemie üblich und vorgeschrieben, werden die Risiken, die von dem Prozess für Mensch und Umwelt ausgehen, in einer Risikobetrachtung ermittelt und das Sicherheitskonzept regelmäßig überprüft. PLT-Sicherheitseinrichtungen sorgen dafür, dass die Anlage unter allen Bedingungen in einen sicheren Zustand gebracht wird – man spricht hier von der „funktionalen Sicherheit“. Bei der sicherheitstechnischen Überarbeitung der Betriebseinheit „Propen Destillation“ wurden von den Safety-Spezialisten bei Evonik unter anderem zwei Klappen am Brüdenverdichter der Anlage als Sicherheitseinrichtungen eingestuft: Die während des Regelbetriebs stets geöffneten Klappen verhindern, dass sich in einem bestimmten Fehlerszenario der Inhalt der Kolonne in das Verdichtergebäude ergießen kann – sie werden dazu über einen Differenzdruck gesteuert und im Anforderungsfall geschlossen.
Mehrwert aus Digitalisierung und automatisierten Tests
Ein in Chemieanlagen häufig auftretendes Problem besteht darin, dass selten betätigte Armaturen wie Ventile oder Klappen festsitzen können – wer rastet, der rostet. Ursachen dafür sind zum Beispiel Korrosion oder Produkt- und Schmutzablagerungen. Um sicherzustellen, dass eine Sicherheitseinrichtung zu jeder Zeit ordnungsgemäß funktioniert, werden regelmäßig Wiederholungsprüfungen durchgeführt. In der Chemie üblich und bewährt sind jährliche Prüfungen. Die Durchführung der Prüfung ist jedoch immer mit organisatorischem Aufwand und häufig mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Produktion verbunden.
Bei der Festlegung des Prüfintervalls müssen insbesondere systematische Einflüsse betrachtet werden. Das Prüfintervall aus der PFD-Berechnung alleine ist keine vollständige Aussage über die Zuverlässigkeit der PLT-Sicherheitseinrichtung im Zeitraum zwischen zwei Prüfungen. Für die Prozessindustrie bieten sich Werte an, welche aus der Stördatenerfassung nach NE 93 (Namur.smart) gewonnen werden. Doch funktioniert eine Klappe im Anforderungsfall noch ordnungsgemäß, wenn diese nie bewegt wird?
Gegen die mögliche Lösung, die Auf-Zu-Armatur häufiger in einen Bypass zu schalten und zu betätigen, sprach im konkreten Fall der Propen-Destillation, dass dann das Kolonnenbild zusammenbrechen und ein langwieriges Wiederanfahren notwendig werden würde: „Wir benötigen dann in der Regel einen ganzen Tag, um die Destillationskolonne wieder auf Spezifikation zu bringen“, erklärt Ralph Michaely, Lead Engineer Plant Support bei Evonik: „Wir waren gezwungen, uns nach alternativen Prüfkonzepten umzusehen.“
Eine mögliche Lösung hatte Marc Langehegermann, Mitarbeiter im Evonik-Bereich Technische Anlagensicherheit, Plant Safety & Materials Engineering, 2019 beim Sicherheitsspezialisten Hima kennengelernt. Das auf sicherheitsgerichtete Automatisierungslösungen spezialisierte Unternehmen mit Hauptsitz im badischen Brühl hat sich zum Ziel gesetzt, die funktionale Sicherheit mit Mehrwert zu digitalisieren und im Rahmen dessen ein Konzept zur Automatisierung der wiederkehrenden Prüfung entwickelt. Die Basis dafür bildet unter anderem das 2018 überarbeitete Namur-Arbeitsblatt NA 106, in dem die flexible Prüfung von Sicherheitseinrichtungen beschrieben wird.
Automatisierte Tests für Sicherheitsfunktionen sind ein wichtiger Bestandteil der Digitalisierungsstrategie von Hima. Die Digitalisierung der funktionalen Sicherheit soll einen Mehrwert liefern und als ganzheitlicher Prozess erreicht werden: vom Engineering über den Betrieb bis hin zu Erweiterungen und Änderungen. Digitalisierung bietet so die Chance, das Handling der Sicherheitstechnik für die Anlagenbetreiber effizienter zu gestalten und deutlich zu vereinfachen.
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Safety & Security in der Prozessindustrie
SIL: Sie haben Fragen – wir die Antworten
Auch bei Evonik verspricht man sich von automatisierten Tests signifikanten Mehrwert: „Die vorliegenden positiven Betriebserfahrungen zeigen, dass wir die systematischen Fehler beherrschen. Wir können daher ein Prüfkonzept umsetzen, welches möglichst lange ohne einen Vollhubtest auskommt“, erklärt der Functional Safety Engineer Marc Langehegermann: „Dazu haben wir den Teilhubtest mit der neuen Hart-Lösung von Hima kombiniert.“ „Es war uns wichtig kein Provisorium oder nur einen Prototypen zu entwickeln, sondern eine vollständige Applikation zu erstellen, die man im Bedarfsfall auf weitere Anwendungsfälle kopieren kann“, ergänzt Projektleiter Ralph Michaely.
Es war uns wichtig kein Provisorium oder nur einen Prototypen zu entwickeln, sondern eine vollständige Applikation zu erstellen, die man im Bedarfsfall auf weitere Anwendungsfälle kopieren kann
Bereits seit vielen Jahren wird der „Partial Stroke Test“ für Armaturen propagiert. Dabei wird die Armatur über einen kleinen Teil des Hubbereichs verfahren. Bewegt sich diese über den Teilhub ohne Schwierigkeiten, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie das im Anforderungsfall auch über den gesamten Bereich tun wird. Der Smart Safety Test von Hima erlaubt es erstmals, umfassende Diagnosemöglichkeiten aus der Feldebene – in der Evonik-Anwendung beispielsweise aus einem Stellungsregler – in der Anwendungslogik zu nutzen.
Sicherheitssteuerung wertet Hart-Kommunikation von Stellungsregler aus
Der Test wird im Prozessleitsystem angestoßen und der Befehl via Modbus-Kommunikation zur Sicherheitssteuerung (SSPS) HIMax übertragen. Zunächst werden Prüfbedingungen wie beispielsweise das Überbrücken der Endlagenüberwachung der Klappen verifiziert. Für den Test aktiviert die Sicherheitssteuerung HIMax den Hart-Kanal, der im SIL-Modus normalerweise abgeschaltet ist, und „hört“ die Hart-Kommunikation mit. Sie steuert den Partial Stroke Test und vergleicht Werte aus dem Stellungsregler mit Sollwerten. Die Sicherheitssteuerung ist dabei in der Lage, unerwünschte Kommunikation zu begrenzen oder zu stoppen. Die Kanalisierung der Hart-Informationen sorgt dafür, dass die Gerätewerte nur über die Sicherheits-SPS geändert werden können. Das Testergebnis wird schließlich von der SSPS an das Prozessleitsystem kommuniziert und gleichzeitig ein Prüfreport erstellt.
Weil die Klappen am Brüdenverdichter der Destillationsanlage ursprünglich nur eine einfache Auf-Zu-Funktion zu erfüllen hatten, musste für den automatisierten Teilhubtest zunächst ein digitaler Stellungsregler nachgerüstet werden. Doch auch der Teilhubtest birgt ein gewisses Betriebsrisiko: Löst sich eine Armatur plötzlich aus ihrer festgefahrenen Position, könnten hohe Antriebskräfte dazu führen, dass diese komplett schließt – mit den genannten ungewollten Konsequenzen für den Kolonnenbetrieb. Auch diesen Fall mussten die Safety-Experten in Marl bei ihrer Lösung berücksichtigen und vermeiden.
Weil auch der Partial Stroke Test für den Betreiber mit Aufwand verbunden ist, sollte dieser so selten wie möglich, aber mit Blick auf die Funktion im Anforderungsfall so häufig wie nötig durchgeführt werden – eine klassische Optimierungsaufgabe. „Wir hatten zunächst an einmal pro Jahr gedacht, der Armaturenhersteller empfahl einmal pro Woche zu testen“, erklärt Langehegermann. Erschwerend hinzu kam, dass sich der Klappenlieferant damit schwer tat, für den konkreten Anwendungsfall Werte für die Prüftiefe (PTC) des Teilhubtests anzugeben, aus denen sich ein Prüfintervall berechnen lässt. Denn für das geforderte Sicherheitsniveau (SIL 2) muss ein PFD-Wert zwischen 0,01 und 0,001 (low demand) erreicht werden. Und dieser hängt wiederum davon ab, wie hoch der Anteil möglicher Fehler ist, die bei einem Proof Test entdeckt werden (Proof Test Coverage). Je kleiner der PTC-Wert, desto häufiger muss geprüft werden.
„Wir haben uns an das maximale Prüfintervall herangetastet. Dazu wurde unter anderem die Drehmoment-Kennlinie des Positioners ausgewertet“, erläutert Langehegermann und Ralph Michaely ergänzt: „Je länger das Prüfintervall, desto höher wird das Losbrechmoment – und irgendwann macht der Stellungsregler den Test nicht mehr. Die PFD-Berechnung, für die wir schließlich auch einen PTC-Wert des Herstellers nutzen konnten, hat die Richtigkeit unserer Überlegungen bestätigt.“
Strukturiertes Vorgehen führt zum Erfolg
Beim Realisieren der Anwendungsapplikation profitierten die Projektbeteiligten von der Vorarbeit von Hima und der bereits vorhandenen Abstimmung zwischen dem Hersteller der Sicherheitssteuerung und dem des Stellungsreglers. „Ein großer Vorteil war für uns, dass der Smart Safety Test bereits Bestandteil der Zertifizierung der Sicherheitssteuerung ist“, erklärt Langehegermann.
Ein großer Vorteil war für uns, dass der Smart Safety Test bereits Bestandteil der Zertifizierung der Sicherheitssteuerung ist.
„In der Zusammenarbeit mit Hima hat uns das sehr strukturierte Vorgehen gefallen“, resümiert Projektleiter Michaely: „Der Programmbaustein für die Hima-Sicherheitssteuerung war nach wenigen Wochen fertig. Am längsten hat die iterative Suche nach dem Prüfintervall gedauert, für die der Hersteller die Kennlinien seines Positioners auswerten musste.“ Doch die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen will man bei Evonik nun auch an anderer Stelle nutzen, um die Anlagenverfügbarkeit mit flexiblen Prüfzyklen zu steigern – denn dadurch steigt nicht nur die Produktivität, sondern lassen sich auch Personal- und Wartungskosten deutlich reduzieren. Dabei will man auch künftig den Weg über die Sicherheitssteuerung und den Smart Safety Test gehen: „Wir haben generell die Erfahrung gemacht: Wenn wir ein Problem haben, das wir verbal beschreiben können, dann ist Hima in der Lage, das in kürzester Zeit zu erfassen. Speziallösungen realisieren wir auch deshalb gerne direkt mit Hima.“
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Safety und Security
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