VR verkürzt Stillstandszeiten Mit Virtual Reality das Ersatzteillager aufräumen

Von Tanja Bullinger*

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Virtual Reality öffnet neue Wege für die Instandhaltung von Pharmaanlagen und die Ersatzteilbeschaffung – Virtual Reality hebt die Zusammenarbeit von Arzneimittelherstellern und Maschinenbauern auf eine neue Ebene. CSL Behring und Bausch+Ströbel optimieren mittels VR und 3D-Modellen, das Ersatzteilmanagement in der Marburger Sterilabfüllung.

Arbeitsintensiver Workshop
Arbeitsintensiver Workshop
(Bild: Bausch+Ströbel)

Ein Besprechungsraum mit einer großen Leinwand, auf die dreidimensional eine Abfüllmaschine projiziert ist. Davor steht eine Gruppe junger Männer, 3D-Brillen vor den Augen, intensiv ins Gespräch vertieft. Konzentriert gehen sie Schritt für Schritt gemeinsam durch die Anlage, schauen sich Antriebswellen, Füllnadeln, Servomotoren und andere Teile an. Normalerweise ist das alles unter Edelstahl verborgen.

Auf Tuchfühlung mit dem Maschinen­innern: VR macht’s möglich.
Auf Tuchfühlung mit dem Maschinen­innern: VR macht’s möglich.
(Bild: Bausch+Ströbel)

Heute hingegen haben Jan Bieker und seine Kollegen Patrick Elsässer und Daniel Siebert, Mitarbeiter des Pharmaunternehmens CSL Behring kein Problem, sich die unter der Abdeckung des Unterbaus liegende Technik, die Servomotoren, Antriebswellen und weitere Bauteile genau anzuschauen, die Türen zum sensiblen Abfüllbereich zu öffnen und das Füllsystem unter die Lupe zu nehmen.

Hohe Akzeptanz beim Kunden
Nachgefragt bei Florian Naser, VR-Center Bausch+Ströbel

Florian Naser, VR-Center Bausch+Ströbel
Florian Naser, VR-Center Bausch+Ströbel
(Bild: Bausch+Ströbel)

? Seit wann nutzt Bausch+Ströbel Virtual Reality in Kundenprojekten?

Naser: Bausch+Ströbel hat bereits Anfang 2013 damit begonnen, die VR-Technologie in Kundenprojekten einzusetzen.

? Welche Anwendungsmöglichkeiten und Einsatzszenarien sehen Sie für VR/AR und woran arbeiten Sie im VR-Center?

Naser: Generell gibt es, auch abhängig von der Branche, in der ein Unternehmen tätig ist, eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten für VR-Systeme. ­Bausch+Ströbel setzt das VR-System bereits im Pre-Sales bei Verkaufsgesprächen, hauptsächlich aber in der Designphase ein. Hier werden vor allem virtuelle Mockups, die die herkömmlichen 1:1 Holzmodelle ergänzen oder sogar ersetzen, und Design Reviews durchgeführt. Darüber hinaus finden Strömungsvisualisierungen, virtuelle Trainings sowie die Unterstützung der FMEA Anwendung. In der Servicephase können mithilfe von VR Umbauten anschaulich diskutiert oder der Umfang von Ersatzteilpaketen definiert werden. AR macht für Bausch+Ströbel hauptsächlich im Bereich des Bedienertrainings und der Bedienerunterstützung Sinn. Im Bereich VR arbeiten wir aktuell daran, wie wir neue Anwendungsfälle generieren und andere VR-Systeme sinnvoll einsetzen können.

? Wie hat sich seit der ersten Vorstellung des VR-Centers im Jahr 2013 die Akzeptanz der Pharmakunden gewandelt?

Naser: Die Akzeptanz unserer Pharmakunden war bei den meisten Anwendungsfällen schon von Anfang an recht hoch. Diese konnte durch die konsequente Weiterentwicklung und Verbesserung dieser Anwendungsfälle nochmals gesteigert werden.

Workshop im VR-Center

Die drei sind Teilnehmer eines Workshops, der beim Spezialmaschinenhersteller Bausch+Ströbel in Ilshofen stattfindet und der Hersteller, der auf der Leinwand abgebildeten Abfüll- und Verpackungslinie ist. In der Realität steht diese Maschine in einem Reinraum in Marburg und füllt hochwertige Therapeutika in Spritzen oder Vials ab, u.a. indiziert für die Behandlung von Gerinnungsstörungen, Auto­immunerkrankungen, Immunstörungen, Transplantationen sowie für die Intensivversorgung, etwa in der Herzchirurgie.

Doch im ­Moment steht Daniel Siebert nicht im heimischen Reinraum, sondern im Virtual-Reality-Center von ­Bausch+Ströbel vor einer großen Leinwand, auf der er die Anlage in Originalgröße mittels einer 3D-Brille betrachten und mit speziellen Controllern auch bedienen kann. „So genau habe ich die Anlage noch nie gesehen“, erklärt er begeistert.

Virtuell statt real

Der Workshop beim Anlagenhersteller soll helfen, Instandhaltung und Ersatzteilmanagement der vollautomatischen Abfüll- und Verschließanlagen zu optimieren. Denn jede Stunde Stillstandszeit der Maschinen kostet das Unternehmen Geld. „Richtig teuer wird es, wenn wir es nicht schaffen, einen fertigen Wirkstoff in der vorgegebenen Zeit zu verarbeiten – und dadurch etwa eine Charge hochwertige Medizin verworfen werden muss, weil sie zu lange stand“, erklärt Betriebsingenieur Jan Bieker. Er ist für die Verfügbarkeit und Produktivität der Anlagen in Marburg verantwortlich und weiß, dass im schlimmsten Fall so ein Schaden in die Millionen gehen kann.

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Erklärtes Ziel ist es deshalb, die Zeiten, in der die Anlage nicht produziert, so gering wie möglich zu halten. Schließlich sind die Anlagen fast rund um die Uhr im Einsatz, die Zeiten, in denen z.B. Kontrollen durchgeführt oder Teile vorsorglich getauscht werden können, sind eng getaktet. Aus diesem Grund ist es wichtig, handlungsfähig zu sein. Dabei ist von zentraler Bedeutung die richtigen Teile griffbereit zu haben. Vor allem im Reinraum, wo alles mit umständlichen Ein- und Ausschleusevorgängen verbunden ist.

Schnell muss es gehen

Hinzukommt: Treten Probleme an den Abfüllmaschinen auf, muss in der Regel schnell gehandelt werden. Wichtig ist hier nicht nur eine lückenlose Betreuung der Anlage – die Instandhalter arbeiten im Dreischichtbetrieb – sondern auch ein professionelles und durchdachtes Ersatzteilmanagement. Dies gibt es bei CSL Behring natürlich schon. „Welche Teile wir in welcher Zahl auf Lager halten sollten oder was wir regelmäßig austauschen basiert allerdings hauptsächlich auf unseren eigenen Erfahrungswerten“, so Patrick Elsässer. Im Zweifelsfall entscheide dann auch gelegentlich das Bauchgefühl, ergänzt er. Mit dem Workshop beim Anlagenhersteller wollen sie diese Erfahrungswerte nun noch weiter verifizieren. Der erste Schritt ist der Besuch im VR-Center. Hier gehen er und seine Kollegen mit den Maschinenbauspezialisten Schritt für Schritt durch die Anlage, diskutieren über die Belastung einzelner Baugruppen, über Lieferzeiten und Lagerbestand einzelner Komponenten.

Direkter Austausch

Die Vorarbeit dazu haben die Spezialisten bei Bausch+Ströbel geleistet und Florian Naser, Leiter des VR-Centers unterstützt im Workshop die Service-Spezialisten Daniel Bühler und Lucas Fischer. Beide waren lange Jahre als Servicemonteure unterwegs und wissen um die Schwierigkeiten, die sich bei Wartungsarbeiten im ­Reinraum ergeben. Sie haben in Kleinstarbeit jedes Teil, jede Schraube begutachtet und im Rahmen einer zweidimensionalen Risikobewertung der Anlage bereits aus technischer Sicht die wichtigsten Teile identifiziert. Im nächsten Schritt wollen die beiden die Logik und das Vorgehen bei der Bewertung der Teile dem Team von CSL näher bringen, um anschließend die rein technische Sicht mit den speziellen Anforderungen und Erfahrungen von CSL zu verschmelzen. Dies geschieht im Rahmen des Workshops im direkten Austausch.

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Arbeiten im Team

Nachdem sich das Team dank VR-Center einen guten Überblick über die Anlage verschafft hat, geht es in einem zweiten Schritt noch mehr ins Detail. Das Wartungsteam von CSL Behring gleicht seine Einschätzungen über die Lebensdauer von einzelnen Teilen und die Notwendigkeit, diese auf Lager zu haben, mit den Erfahrungswerten der B+S-Fachleute ab. „Das ist nicht immer deckungsgleich, weil unterschiedliche Kunden unsere Anlagen auch unterschiedlich nutzen“, so Daniel Bühler. Bei einzelnen Teilen ist sich die Gruppe schnell einig, bei anderen wird länger diskutiert und beratschlagt, Kosten und erwarteter Nutzen gegeneinander aufgewogen. Grundlage für diese Besprechung sind jetzt nicht mehr 3D-Schnitte, sondern hauptsächlich Excel-Listen und Datenblätter. Mit dem Ergebnis des Workshops sind am Ende dann alle zufrieden: Gemeinsam hat das Team ermittelt, welche Teile in welcher Stückzahl angeschafft und direkt in Marburg auf Lager gehalten werden, welche Teile außer Acht gelassen werden können, weil sie unkritisch oder aber in Marburg schon eingelagert sind und welche im Bedarfsfall direkt und schnell beim Anlagenbauer besorgt werden können. „Für uns war dieses systematische Vorgehen sehr hilfreich“, betont Daniel Siebert am Ende des zweiten Workshoptages. Er und seine Kollegen erwarten, im Bedarfsfall eine Line noch schneller als bisher wieder in die Produktion zu bringen. Zudem ziehen sie in Erwägung, das VR-Center auch zu Schulungszwecken für die Instandhalter zu nutzen. „Das wird uns helfen, die Systematik der Anlage noch besser zu verstehen, um Fehler schneller zu analysieren“, sagt Patrick Elsässer.

„Auch uns hilft dieser Workshop sehr“, betont Bausch+Ströbel-Spezialist Daniel Bühler. Das Team des Apparatebauers profitiert von den Erfahrungen, die Pharmakunden im täglichen Einsatz der Linie machen. Workshops wie diese helfen, die Betreiber zielgerichtet dabei zu unterstützen, die Anlagenverfügbarkeit und damit auch die Performance zu erhöhen.

* * Die Autorin ist Leiterin Kommunikations­abteilung bei Bausch+Ströbel in Ilshofen. Kontakt: Tel. +49-7904-701-816

Produktion bei CSL Behring
Hintergrund

CSL Behring ist seit mehr als 100 Jahren führend in der Erforschung und Entwicklung von Biotherapeutika. Die Wurzeln des Unternehmens lassen sich zu Emil von Behring zurückverfolgen, dem ersten Nobelpreisträger für Physiologie und Medizin. Heute bietet CSL Behring eine der branchenweit breitesten Paletten an hochwertigen, aus menschlichem Blutplasma und rekombinant hergestellten Produkten, die weltweit vertrieben werden. Die Therapeutika sind unter anderem indiziert für die Behandlung von Gerinnungsstörungen, Autoimmunerkrankungen, Immunstörungen, Transplantationen sowie für die Intensivversorgung, etwa in der Herzchirurgie.

Für die Herstellung und Weiterverarbeitung der Therapeutika ist eine hohe Sorgfalt im Produktionsverfahren sowie die Einhaltung strenger Regularien notwendig. Ganz besonders gilt dies für den Bereich, in dem der Wirkstoff portionsweise abgefüllt wird. Da die Wirkstoffe später in die Blutbahn der Patienten injiziert werden, herrschen hier strenge Reinraumbedingungen um sicher zu stellen, dass keine Partikel oder Keime beim Füllprozess in die kleinen Glasfläschchen gelangen. Die meisten Arbeitsschritte laufen hier deshalb automatisiert ab: mit speziell für diesen Zweck konzipierten vollautomatischen Abfüll- und Verschließanlagen von Bausch+Ströbel. Der Bedarf an menschlichen Eingriffen ist auf ein Mindestmaß reduziert. Die Menschen, die hier arbeiten, sind gesondert geschult – nur sie können diesen Raum während des Abfüllprozesses betreten – und auch nur in spezieller Kleidung und nach dem Durchqueren mehrerer Schleusen.

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