Nanotechnologie Die Chemie hat das Potenzial der Kohlenstoffnanoröhrchen erkannt

Redakteur: M.A. Manja Wühr

Der Markt für Kohlenstoffnanoröhrchen steckt zurzeit in einer spannenden Phase: Die Chemie investiert in Produktionskapazitäten und fährt auch schon erste Erfolge ein. Bis das ganz große Geld verdient wird, kann es allerdings noch dauern.

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Der neue Star in der Chemieindustrie tarnt sich als schwarzes Häufchen Kohlenstaub. Doch trotz des unspektakulären Äußeren bieten Kohlenstoff-Nanoröhren ein enormes Marktpotenzial, will man den optimistischen Zahlen der Marktforschungsinstitute glauben. Nicht nur Frost & Sullivan traut den Nanoröhren eine jährliche Wachstumsrate von 25,5 Prozent bis 2013 zu. Was bedeutet, dass mit Carbon-Nanotubes (CNT) 2013 ein Umsatz von 101,8 Millionen Dollar erzielt werden kann. Auch die neueste Studie von Electronics.ca Research Market glaubt an einen Markt, der bis zum Jahr 2019 einen Wert von 1,9 Milliarden US-Dollar haben soll. Branchengrößen wie Arkema, Bayer MaterialScience (BMS) und Evonik Degussa befeuern diesen Optimismus und investieren in Produktionskapazitäten. Trotzdem steckt der Markt noch in den Kinderschuhen. Während Hersteller sich fragen, wie sich die Nachfrage tatsächlich entwickeln wird, warten Anwender auf attraktive Angebote. Vor allem in puncto Preis und Verarbeitung müssen Lösungen her. Infolge dessen tut sich derzeit einiges – sowohl in der Produktion als auch in der Verarbeitung.

Neue Eigenschaften

Vor allem Kunststoffhersteller wie DuPont oder BASF können vom Einsatz der Röhrchen profitieren. Schon in kleinen Mengen machen die CNTs Kunststoffe nicht nur leitfähig, sondern auch hart, zug- und kratzfest sowie wiederstandsfähig gegen hohe Temperaturen. Eigenschaften, wie sie vor allem die IT-Industrie, Automobilbranche und Flugzeugbauer schätzen. Genau diese Branchen hat Electrovac ins Visier genommen. Die Österreicher beschäftigen sich seit einigen Jahren mit der Produktion und Verarbeitung der Röhrchen und haben dafür sogar einen eigenen Geschäftsbereich gegründet. Electrovac Nanofibers (ENF) stellte zur Hannovermesse vor drei Jahren mit CNT getunte Polyamide und Polyacetale vor, sowohl als Masterbatch als auch als Compounds. Bevorzugtes Einsatzgebiet sind Kraftstoffleitungen in Tanks, Pumpen und Motoren, die sich dank der Röhrchen nicht mehr elektrostatisch aufladen.

Das Unternehmen hat damit auch einige grundsätzliche Probleme gelöst, die bei der Verarbeitung von Nanomaterialien auftreten. Um reproduzierbare Qualitäten zu erhalten, müssen die Teilchen gleichmäßig im Kunststoff verteilt sein – und das dauerhaft. Nanopartikel verklumpen nämlich leicht und bilden stabile Aggregate, die dann nicht mehr Nanocharakter haben.

Billiger und wirtschaftlicher

Der Endanwender hat gleich mehrere Vorteile vom Einsatz der Nanoröhren: CNTs sind effektiver als herkömmliche Additive, wie Spezialruße oder Stahlfasern. Daher kommen Compoundier- und Formulierbetriebe mit weit weniger Additiv aus. Und das spart nicht nur Material, sondern vereinfacht auch die Verarbeitung. Große Mengen Ruß beispielsweise machen Kunststoff nämlich einfach nur spröde und nicht etwa fester. Neben der besseren Festigkeit bringen die Röhrchen noch einen weiteren Vorteil: Sie lösen sich nicht oder nur gering aus der Matrix. Dadurch reduziert sich die Ausschussquote beim Endanwender, und er kann sein Produkt somit teurer verkaufen. Wollen Spezialchemie-Unternehmen wie Evonik Degussa CNT-basierte Kunststoffe produzieren, muss das Additiv in entsprechenden Mengen und zu vernünftigen Preisen verfügbar sein.

Dank gestiegener Produktionskapazitäten und wirtschaftlicherer Verfahren hat sich hier in den letzten beiden Jahren allerhand getan. Electronics.ca Research Market hat ermittelt, dass der Preis für mehrwandige Röhrchen mittlerweile bei 150 US-Dollar pro Kilogramm liegt. Und wenn genügend Kapazitäten aufgebaut würden, sei mittelfristig ein Preis von 45 US-Dollar möglich. Das könne dann, so die Experten, ein nachhaltiges Geschäft mit den High-Tech-Materialien generieren.

Allerdings gibt es hier einen Haken und das klassische Henne-Ei-Dilemma. Nur wenige Chemieunternehmen wagen das Risiko, in eine Produktionsanlage zu investieren, weil zwar gigantische Zahlen im Raum stehen, aber die Schar der Abnehmer bislang überschaubar ist. „Wir stehen hier ganz am Anfang eines Marktes, der sich erst noch entwickeln muss“, sagt Martin Schmid, Business Manager Carbon Nanotubes bei Bayer MaterialScience. Die Leverkusener mischen seit 2005 im Geschäft mit den Nanoröhrchen mit und haben gemeinsam mit Bayer Technology Services ein Produktionsverfahren entwickelt, das die Herstellung preisgünstiger und zugleich qualitativ hochwertiger Nanotubes ermöglichen soll. Syntheseverfahren gibt es zurzeit drei: Die Bogenentladung, die Laser-Ablation und die Gasphasen-Abscheidung (Chemical Vapor Deposition – CVD) – die alle Stärken und Schwächen aufweisen, aber insgesamt einen Haken haben: Keiner weiß genau, nach welchen Regeln die Röhrchen wirklich wachsen. Kein Wunder also, dass Schmidt das Verfahrens-Know-how unter Verschluss hält.

Nur soviel will er verraten: „Wir stellen nach dem CVD-Verfahren her. Das ist das einzige Verfahren, das eine wirtschaftliche und skalierbare Produktion hergibt.“ Die BMS-Ingenieure haben das Verfahren soweit entwickelt, dass dem Reaktor kontinuierlich ein spezieller Katalysator und Gas zugeführt werden kann. Mittlerweile produziert die Versuchsanlage 60 Tonnen mehrwandiger Kohlenstoff-Nanoröhren (MWCNT) im Jahr. Und es sind weitere Kapazitätssteigerungen geplant. So soll 2009 eine Pilotanlage mit einer Jahreskapazität von 200 Tonnen in Leverkusen entstehen. Sie dient BMS dazu, weitere Erfahrungen in der diffizilen Produktion zu sammeln. Denn langfristig will das Unternehmen eine großtechnische Anlage bauen, die dann rund 3000 Tonnen MWCNT herstellen soll.

Neben BMS sind mittlerweile noch weitere Player auf den Plan getreten. So betreibt beispielsweise seit zwei Jahren der französische Konzern Arkema eine Pilotanlage, die zehn Tonnen mehrwandiger Röhrchen ausspuckt und die Arkema unter dem Namen Graphistrength vermarktet. Und bereits im Jahr 2003 ist der japanische Konzern Showa Denko mit einer Kooperation ins Röhrchen-Geschäft eingestiegen und hat seine Produktionskapazitäten mittlerweile von 40 auf 100 Tonnen aufgestockt. Auch in Österreich gibt es einen Produzenten. Hier stellt Electrovac mehrwandige CNT her – derzeit mit einer Kapazität von zwei Tonnen im Jahr. Doch schon Ende des Jahres soll auf zehn Tonnen jährlich erhöht werden.

Einwandig oder mehrwandig?

Mit der Produktion von mehrwandigen Carbonnanotubes setzen BMS, Electrovac und der Rest der Produzenten auf das derzeitige Zugpferd der CNTs. So geht die Studie „World Polymer Nanocomposite Market“ von Frost & Sullivan davon aus, dass 2006 mit CNT ein Umsatz von etwa 20,7 Millionen Dollar erzielt wurde. Mit 85 Prozent des gesamten Umsatzes sind MWCNT die Spitzenreiter.

Doch es gibt auch einwandige Nanoröhren, die ungleich komplizierter herzustellen sind. Aber auch sie haben ein großes Anwendungspotenzial, denn sie können sowohl halbleitend und als auch metallisch sein. Was je nach Art verschiedene Anwendungen ermöglicht: „Metallische Nanoröhren werden beispielsweise als Ersatz für Indium-Zinnoxid (ITO), einem transparenten, leitenden Material in Solarzellen und Flachbildschirmen, untersucht. Halbleitende Nanoröhren könnten sich für Transistor- und Sensoranwendungen eignen“, erläutert Dr. Ralph Krupke vom Institut für Nanotechnology des Forschungszentrums Karlsruhe.

Knackpunkt an der Sache: Bei den heutigen Herstellungsverfahren entstehen sowohl halbleitende als auch metallische CNT. Es bleibt dem Zufall überlassen, wie sich die Kohlenstoffatome zur Röhre formatieren. Und die elektrischen Eigenschaften hängen von der Anordnung des Gitters ab. Liegen in einwandigen Nanoröhren die Sechseck-Kanten parallel zur Zylinderachse, leiten sie Strom in etwa genauso gut wie Kupfer; stehen sie senkrecht, reagieren sie wie Halbleiter. Doch um die speziellen Eigenschaften nutzen zu können, müssen die metallischen von den halbleitenden Röhrchen getrennt werden. Am Institut für Nanotechnologie des Forschungszentrums Karlsruhe haben Wissenschaftler bereits 2003 einen Weg gefunden: Dabei nutzen sie die unterschiedlichen Dielektrizitätskonstanten der halbleitenden und metallischen CNT aus und trennen diese mithilfe der Elektrophorese. In einem homogenen Wechselfeld werden die metallischen Nanoröhren zwischen den Elektroden abgeschieden, während die halbleitenden in der Suspension verbleiben. Nun wollen die Forscher das Verfahren zum großtechnischen Maßstab führen und damit den Weg zur industriellen Anwendung ebnen. Doch das hat seine Tücken: Da sich während der Trennung auf den Elektroden ein Film aus metallischen Nanoröhren bildet, werden die elektrischen Felder mit wachsender Dicke zunehmend abgeschirmt. „Dadurch ist die Dicke des Films auf etwa 100 Nanometer begrenzt und erschwert das Hochskalieren von Mikrogramm-Mengen auf Milligramm-Mengen erheblich“, bringt FZK-Forscher Krupke die Schwierigkeiten auf den Punkt.

Wann wird Geld verdient?

Ob und wann der große Durchbruch der Röhrchen kommt, hängt vor allem an der Erschließung des noch jungen Marktes. Hierzu setzen CNT-Hersteller auf verschiedene Strategien. BMS beispielsweise baut sein Vertriebsnetz aus: Im Dezember 2007 gewann das Unternehmen Brenntag Schweizerhall als Vertriebspartner ihrer Baytubes und für den Asia-Pazifik-Raum kürzlich Toyota Tsusho. Einen anderen Weg schlägt das Bayreuther Unternehmen Futurecarbon ein. Es geht in der Wertschöpfungskette einen Schritt weiter. Geschäftsführer Walter Schütz sieht seine Zukunft nämlich nicht nur in der Produktion von Carbon Nanotubes: „Wir bieten auch Dispersionen und die Funktionalisierung der CNT an.“ Über solche Entwicklung kann sich die Chemieindustrie gleich doppelt freuen. Denn sie ist in einigen Fällen Produzent und Konsument in einem. So nutzt Schütz, Hersteller von Transportverpackungen, mehrwandige Röhrchen von Bayer MaterialScience für das leitfähige Kunststofffass F1-Ex. Neben der Leitfähigkeit verleihen die Röhrchen dem Fass bessere mechanische Eigenschaften, Kältefallfestigkeit sowie eine hohe Chemikalienbeständigkeit.

Bleibt als Fazit: Noch gibt es für die Chemie eine Menge zu tun. Doch wer es schafft, einen wirtschaftlichen Produktionsprozess zu entwickeln, kann auf große Märkte hoffen, die neue Materialien für zukunftsfähige Produkte brauchen oder nach Alternativen für teure bzw. unzulängliche Additive und Rohstoffe suchen.

Fördermittel: Geld für die Verfahrensentwicklung

Unternehmen, die am Wachstumspotenzial der CNT teilhaben wollen, dürfen auf die Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung hoffen. Über die „Nano-Initiative – Aktionsplan 2010“ fördert die Regierung Nanotechnologien mit insgesamt 640 Millionen Euro. Die Förderung richtet sich nach so genannten Leitinnovationen. Beispielsweise startete das BMBF im April 2006 die Forschungsinitiative „Nano geht in die Produktion“. Gesucht sind Verfahren, mit denen sich nanobasierte Produkte prozesssicher und wirtschaftlich herstellen lassen. Das BMBF will 15 Millionen Euro für diese Projekte zur Verfügung stellen. Aber auch die Messtechnik sowie der Anlagen- und Maschinenbau sollen künftig Förderungen über die Initiative erhalten. Zudem hat die Europäische Kommission im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm bis zum Jahr 2013 für die Nanotechnologie insgesamt 1,5 Milliarden Euro vorgesehen.

Hintergrund: Nanoröhren in der Medizin

Auch kranke Menschen können nach Ansicht von Wissenschaftlern, wie beispielweise Dr. Anke Krüger von der Universität Kiel, von einwandigen Kohlenstoff-Nanoröhren profitieren. So könnten die Winzlinge eines Tages als Vehikel medizinische Wirkstoffe oder DNS-Teile in erkrankte Zellen tragen. Hier spaltet sich der Wirkstoff, beispielsweise gegen Krebs, von den Nanoröhren ab und entfaltet seine Wirkung. Allerdings ist noch nicht eindeutig geklärt, ob die Kohlenstoff-Nanoröhren giftig für den Körper sind. Deshalb hat das Öko-Institut zusammen mit dem Österreichischen Ökologie Institut eine Risiko-Nutzen-Analyse durchgeführt. Hier erhalten abbaubare Nano-Transportsysteme, die vom Körper zerlegt und ausgeschieden werden können, gute Noten. Die bisher vorliegenden Daten zu nicht abbaubaren Systemen, zu denen Kohlenstoff-Nanoröhrchen oder Fullerene zählen, wären dagegen lückenhaft und widersprüchlich, so die Studie. „Im Sinne des Vorsorgeprinzips empfehlen wir deshalb, die Sicherheitsforschung auszubauen und auf nicht abbaubare Nanopartikel solange zu verzichten, bis eine bessere Datenlage aufgebaut ist“, sagt Martin Möller, Experte für produktbezogene Technologiebewertung am Öko-Institut. Das Spezialchemieunternehmen Ciba und der Pharma-Konzern Novartis wollen dieser Empfehlung zum jetzigen Zeitpunkt folgen.

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