Exklusiv-Interview: Future Readiness Index Deutsche Chemieindustrie: Zukunftsfähig oder Schnee von gestern?
Ohne Glaskugel und Kaffeesatz aber mit einer Portion Optimismus schauen Experten auf die Zukunftsfähigkeit der Chemieindustrie. Doch wo liegen die Chancen der Branche und welche Herausforderungen stehen die nächsten Jahre bevor? Im PROCESS-Interview beantwortet KPMG-Branchenexperte Thomas Hillek die entscheidenden Zukunftsfragen der chemischen Industrie in Deutschland und erklärt die Ergebnisse des Future Readiness Index.
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Würzburg; München – Wer würde nicht gerne wissen, wie die Welt von morgen aussieht? Kurze Einblicke in die Zukunft sind begehrt aber oft leider nicht besonders evident. Doch das geht auch anders. Der Future Readiness Index von KPMG misst die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und gibt Auskunft darüber, wie sich die deutsche Chemieindustrie entwickelt.
Der Index dient als Indikator dafür, inwieweit Unternehmen in Deutschland bereits heute wichtige Zukunftsvoraussetzungen erfüllen. Aus der Prognose kann abgeleitet werden, wie erfolgversprechend die jeweiligen Konzerne auch in Zukunft sein werden. Die Grundlage des Index ist eine Unternehmensbefragung und eine Trendanalyse. Die Ergebnisse spiegeln sich in der Bewertungsskala wider. Diese setzt sich zusammen aus vier Kategorien: Optimismus, Reifegrad, Investition und Trend-Sensivität.
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Wie genau das Untersuchungsdesign und die Methodik des Future Reading Index aussieht, erfahren Sie im KPMG-Whitepaper.
Doch was verrät der Index über die Zukunftsfähigkeit deutscher Unternehmen der Chemieindustrie? Wir haben im PROCESS-Exklusiv-Interview zusammen mit Thomas Hillek, Head of Chemicals & Pharmaceuticals von KPMG einen Blick auf die kommenden Jahre der Branche gewagt.
PROCESS: Wo hat die Chemieindustrie den meisten Nachholbedarf, wie kann die Branche den Future Readiness Index noch weiter steigern?
Hillek: Ziel sollte es sein, energieeffizienter zu produzieren, Neben- und Abfallprodukte weiter zu verwerten sowie das Produktportfolio noch stärker auf positive gesellschaftliche Beiträge auszurichten (ESG Agenda).
PROCESS: Wie können Unternehmen das umsetzen?
Hillek:Für eine systematische Umsetzung muss ein Teil der Unternehmen innovativer werden und in diesem Zusammenhang vor allem wieder stärker in die eigene Innovationsfähigkeit investieren. Derzeit setzen nur 38 Prozent der Chemieunternehmen hier einen Investitionsschwerpunkt. Das ist ein deutlicher Rückgang zum Vorjahr (55 Prozent). Außerdem kann die Branche ihre Zukunftsfähigkeit weiter steigern, indem sie Risikoaspekten eine höhere Bedeutung beimisst. Dazu zählt u.a., auf verschiedene geopolitische und (welt-)wirtschaftliche Szenarien besser vorbereitet zu sein und geeignete Handlungspläne in der Schublade zu haben.
PROCESS:Wie bewerten Sie die Lage der Chemieindustrie in China?
Hillek: Die chemische Industrie in China stellt etwas mehr als ein Drittel des weltweiten Chemiesektors dar. Jedoch erfährt die Wirtschaft dort, ähnlich wie in Deutschland, in diesem Jahr eine Verlangsamung – insbesondere durch den Handelskrieg mit den USA. Insgesamt wächst der Chemiesektor in China derzeit sogar schwächer als die offizielle BIP-Wachstumsrate. Die verstärkten Investitionen in Spezialchemikalien für die Halbleiterbranche sowie die Elektromobilität können in diesen Bereichen zwar ansehnliche Wachstumsraten erzielen, jedoch reichen diese nicht aus, um den Rückgang im Hauptsegment Basischemie zu kompensieren.
Grundsätzlich beobachten wir eine Zunahme der F&E-Aktivitäten in den privat geführten Chemieunternehmen sowie einen Rückgang der staatlichen Einflussnahme bei Schlüsselinitiativen. Dennoch stehen die privaten Unternehmen aufgrund unzureichender Finanzierung, vorhandener Überkapazitäten auf dem Markt und zunehmenden Umweltauflagen verstärkt unter Druck.
Die chinesische Regierung öffnet derzeit den Bereich Petrochemie für ausländische Investoren. Große internationale Ölgesellschaften wie Exxon, Saudi Aramco oder Shell sind verstärkt im chinesischen Markt tätig.
PROCESS:Erkennen Sie schwindenden Optimismus in der chemischen Industrie?
Hillek: Vergleicht man die Ergebnisse unserer Befragung vom letzten Jahr mit denen aus diesem Jahr, schauen heute in fast allen Branchen weniger Unternehmen optimistisch in die Zukunft – die Chemieindustrie ist hier keine Ausnahme. Dennoch ist die Mehrheit der Chemieunternehmen in Deutschland nach wie vor zukunftsoptimistisch. Das von uns eingefangene Stimmungsbild spiegelt unserer Meinung nach die aktuelle Lage der Branche sehr gut wider. Daher sehen wir den schwindenden Optimismus nicht als pessimistische Bewertung, sondern als eine gesunde und realistische Einschätzung. Nun gilt es, sich aufzeigende Marktchancen zu erschließen und seine eigenen Hausaufgaben zu machen.
PROCESS: Sie empfehlen nachhaltiges Handeln noch stärker im Geschäftsbetrieb zu verankern. Haben Sie dafür Beispiele oder Best Cases?
Hillek: Wie man Nachhaltigkeit strategisch in die Geschäftsstrategie integrieren kann, zeigt das Beispiel eines Geschäftssegments eines großen deutschen Chemieunternehmens. In der Tierhaltung fordern Abnehmer neben niedrigen Preisen, der Erfüllung von Sicherheits- und Qualitätsanforderungen auch vermehrt nachhaltigere Lösungen. Für professionelle Betriebe in der Schweine- und Hühnerhaltung hat das Unternehmen einen Stickstoff-optimierten Fütterungsplan entwickelt, bei dem proteinhaltige Nahrung durch essentielle Aminosäuren ersetzt wird. Dieser Fütterungsplan ist für die genannten Betriebe kostenneutral.
Darüber hinaus benötigen die Tiere weniger Energie für das Ausscheiden von überschüssigem Stickstoff und weniger Wasser, wodurch sie geringere Mengen an Dung produzieren. Das hat nicht nur positive Auswirkungen auf das Wohl der Tiere sondern auch auf die Gesellschaft und Umwelt: eine geringere Feinstaubbelastung führt zu einem niedrigeren gesundheitlichen Risiko, weniger Dung führt zu einer geringeren Versauerung der Böden und geringere Eutrophierung des Frischwassers.
PROCESS: Was empfehlen Sie Entscheidern der Branche für die nächsten Monate und Jahre?
Hillek: Die Branche hat das Thema Nachhaltigkeit als große Zukunftsherausforderung richtig identifiziert. Wir empfehlen, das Thema in der Geschäftsstrategie zu verankern und das unternehmerische Handeln hiernach auszurichten.
Ein weiteres geeignetes Mittel zum Treiben von innovativen, nachhaltigen Lösungen stellen unserer Ansicht nach Kooperationen mit Start-ups dar. Diese zeichnen sich durch hohe Agilität sowie Innovationsfähigkeit aus und bringen zudem einen digital-getriebenen Ansatz in die Chemieunternehmen. Dadurch können digitale Projekte zur Automatisierung im Produktionsbereich mittels Industrie 4.0 sowie Verbesserungen an der Kundenschnittstelle weiter forciert werden. Das ermöglicht den Chemieunternehmen eine verbesserte Positionierung.
Auch sind wir der Überzeugung, dass sich in Zeiten von Digitalisierung, Fachkräftemangel und einer sich verändernden Arbeitskultur die verstärkte Investition in neue Arbeitsplatzkonzepte, Talente sowie fachfremde Arbeitskräfte (z.B. Data Scientists) auszahlen wird.
PROCESS: Was sollten Manager unbedingt vermeiden?
Hillek: In konjunkturell schlechteren Zeiten wird gerne bei Faktoren wie Entwicklung, Innovation und Personal eingespart. Um die Zukunft aktiv gestalten und ein starker Marktteilnehmer zu bleiben, raten wir jedoch den Chemieunternehmen, weiterhin mutig zu sein und konsequent in die gesamte Wertschöpfungskette zu investieren. Die finanziellen Möglichkeiten dazu haben sie, denn 84 % der befragten Entscheider sehen ihr Unternehmen für die Zukunft als finanziell gut aufgestellt an.
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