Gerätemanagement Wie lässt sich das Gerätemanagement in der Prozessindustrie erleichtern?
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Warum ist die Digitalisierung in der Prozessindustrie noch nicht so weit voran geschritten, wie es Anwender und Hersteller gerne hätten? Einen Einblick über die Herausforderungen geben die Diskussionen rund um das Gerätemanagement. Dank Profinet und APL sind hierfür bereits Lösungen am Start.

Der einfache Tausch von Feldgeräten in Prozessanlagen ist nach wie vor eine knifflige Angelegenheit – trotz aller Bemühungen um intelligente Integrationstechnologien wie EDDL, DTM oder FDI. Neben Montage und Anschluss sowie Anforderungen durch den Explosionsschutz ist vor allem der Dokumentationsaufwand immens.
Wie lässt sich das Gerätemanagement in der Prozessindustrie erleichtern? „Die Technologie muss sich einfach realisieren lassen, sprich, es gilt die Komplexität zu minimieren bzw. zu kapseln“, so Sven Seintsch, Prüflabor der Bilfinger Maintenance und Leiter des Namur-Arbeitskreises 2.6 „Digitale Prozesskommunikation“.
Anwender müssen einen eindeutigen Nutzen bei der Einführung einer neuen Technologie in der täglichen Arbeit sehen, sonst werden sie immer zögerlich agieren.
Weiter spielen Standards und Interoperabilität eine große Rolle, genauso wie die Investitionssicherheit. „Lifecycle-Konzepte müssen den Zeitraum von 10 bis 15 Jahren abdecken. Jede Technik, die wir heute einführen, ist mit großer Wahrscheinlichkeit auch noch in 15 Jahren in der Anlage zu finden“, stellt Seintsch mit Blick auf die vielen Bestandsanlagen in der Prozessindustrie fest. Anwender müssen also einen eindeutigen Nutzen bei der Einführung einer neuen Technologie in der täglichen Arbeit sehen, sonst werden sie immer zögerlich agieren.
Um die Anwenderanforderungen besser zu verstehen und aufzuzeigen, wie diese sich mit den existierenden und zukünftigen PI-Technologien (einschließlich PA-Profil 4.0) realisieren lassen, sollen daher zunächst Use Cases beschrieben werden. Hierbei arbeiten der Namur-Arbeitskreis 2.6 und der PA Marketing-Arbeitskreis von PI eng zusammen. Damit sollen eventuell identifizierte Lücken priorisiert und in die PI-Spezifikationsarbeiten aufgenommen werden. Seintsch stellt hierzu drei in Diskussion befindliche Beispiele vor, wie ein gutes Gerätemanagement in der Praxis funktionieren kann:
Use Case 1 – Inbetriebnahme
Ein PLT-Betriebsingenieur möchte eine zusätzliche Temperaturmessung an einer Kolonne hinzufügen. Ein freier Stutzen an der Kolonne ist vorhanden. Er wählt einen Temperatursensor mit Messumformer und Schutzrohr entsprechend den Prozessbedingungen und der Messaufgabe aus und plant die Änderung z. B. mit Anlegen eines PLT-Messstellenblattes im integrierten Engineeringtool der Anlage. Nach Prüfung und Freigabe der Änderung werden die für die Automatisierung relevanten Parameter (mindestens die Profil-Parameter) mittels Schnittstelle nach NE150 vom Engineeringtool an das DCS/Asset Management übergeben. Die Temperaturmessung kann nach Arbeitsfreigabe eingebaut werden.
Use Case 2 – Konfigurationsmanagement
Ein PLT-Betriebsingenieur und seine Betreuungsmannschaft (interne und externe Handwerker etc.) konfigurieren Feldgeräte vor Ort oder via mobilen Geräten mit Bluetooth oder via Webinterface oder via Engineering/Maintenance-Station. Unabhängig vom gewählten Tool sind in allen Umgebungen alle Konfigurationsparameter immer synchronisiert vorhanden.
Use Case 3 – einfacher Gerätetausch
Ein PLT-Handwerker wird nachts um 2 Uhr rausgerufen, um ein defektes Messgerät zu tauschen, dass für den Weiterbetrieb der Anlage essentiell ist. Ein gleichwertiges (gleiches Messverfahren, gleiche Materialien und Anschlussgröße etc.), aber nicht baugleiches (anderer Hersteller, neueres Modell) Gerät liegt im Lager. Er baut das Gerät ein und schließt es an. Nun gibt es zwei Varianten, die praktikabel wären.
- Das System erkennt, dass es sich um ein gleichwertiges, aber nicht baugleiches Gerät handelt. Das Gerät wird im System mit den Anmeldedaten des ursprünglichen Gerätes angemeldet. Anschließend werden die in der Engineering/Maintenance-Station gespeicherten Profil-Parameter in das Gerät geladen und es wird mit den Grundfunktionen automatisch in Betrieb genommen. Der PLT-Handwerker vor Ort benötigt für diesen Fall erst einmal keine weitere personelle Unterstützung.
- Durch Verwendung des FDI (Field Device Integration)-Device Package ist das Gerät sofort am Ex-Tablet vor Ort sowie auch auf der Engineering/Maintenance-Station sichtbar und bedienbar. Es zieht sich alle Profil-Parameter und stellt nach Abschluss der Konfiguration mindestens die Profil-Werte (z. B. Basismess- und Begleitwerte) für die Prozessführung zur Verfügung und speichert das Gerät mit seinen Parameterdaten im System neu ab.
In beiden Vorgehensweisen kann die Anlage wieder angefahren und weiter betrieben werden.
Forderungen seitens der Anwender
Damit diese Use Cases Wirklichkeit werden können, müssen nach Meinung von Seintsch erst einige Anforderungen erfüllt werden. Dazu gehört etwa eine eindeutige herstellerübergreifende Inbetriebnahmeprozedur, aber auch, dass Profil-Parameter für alle Geräte und das Systemequipment erstellt und flächendeckend in die Profil-GSD implementiert sind. Diese sollten über Geräte-Profile verfügbar sein und abwärtskompatibel weiterentwickelt werden. Ganz wichtig: sie benötigen eine einheitliche organisationsübergreifende Semantik.
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Auch im Betrieb sollten die Informationen zum Gerätestatus für das Wartungspersonal verfügbar sein. „Die Zustandsüberwachung, eine Auswertung zu Geräteausfällen, Diagnoseinformationen und neu in Betrieb genommenen Geräten sind wichtige Themen beim Gerätemanagement“, so Seintsch. Auch die Geräte-Kalibrierung könnte seiner Meinung nach einfacher ablaufen.
Kooperationen ebnen den Weg für neue Technologien
Es gibt bereits Technologien, die den Weg dafür ebnen. Dafür kooperiert PI seit längerer Zeit mit der OPC Foundation, damit die OPC UA-Informationsmodelle in den PI-Technologien genutzt werden können. Auch mit der Fieldcomm Group (FCG) arbeitet PI seit Jahren zusammen. Hier wurde eine FDI-Lösung entwickelt, die organisationsübergreifend funktioniert. Steht erstmal für alle neuen und alten Feldgeräte ein FDI-Device Package zur Verfügung, wird das Gerätemanagement leichter. Vor allem, wenn auch alle Host-Systeme die Device Packages vollumfänglich verarbeiten können und entsprechend zertifiziert sind. Dies stellt die Interoperabilität sicher, sowohl auf Geräte- wie auch auf Systemseite. Die herstellerneutrale OPC-UA-Schnittstelle muss zudem mit den NOA-Informationsmodellen (Namur Open Architecture) in allen Systemen etabliert werden.
Bei der Integration in IoT-Anwendungen wird auf das Informationsmodell von OPC UA gesetzt. Die dort schon angewandte Spezifikation OPC UA for Devices wird bei der Profinet-Abbildung herangezogen. Dank des schon immer offenen TCP/IP-Kanals bei Profinet-Netzen kann der OPC UA-Zugriff über die Steuerungen, Gateways oder auch direkt auf unterlagerte Geräte erfolgen. Mit OPC UA wird sozusagen über den zweiten Kommunikationskanal gleichzeitig der Anschluss an überlagerte Ebenen unter Anwendung der NOA-Prinzipien realisiert.
Überdies erlaubt Profinet die Koexistenz anderer Protokolle im Netzwerk, etwa um weitere Geräte bzw. Diagnosetools im selben Netzwerk zu betreiben, ohne dass diese expliziert für Profinet konzipiert wurden. Von Vorteil ist, dass Profinet diese unterschiedlichsten Netzwerke kennt und die Übertragung der Daten entsprechend priorisiert. Nicht zuletzt wurde auch das Geräteprofil für PA Devices in der Version 4.0 auf Profinet ausgeweitet. Hierbei ging es u. a. um Aspekte wie den einfachen Gerätetausch oder das Eingreifen in die Anlage während des Betriebs.
Ethernet-APL (Advanced Physical Layer) ist ein weiterer Schlüssel zu einer neuen Kommunikationsinfrastruktur im Prozessbereich. Diese Technologie bietet das Potenzial der Vereinheitlichung der Infrastruktur für Non-safety- und Safety-Anwendungen. Im Gegensatz zu den hierarchisch strukturierten Systemumgebungen heutiger Anlagen erlaubt Ethernet-APL den ungehinderten Zugriff auf sämtliche Prozess- und Gerätedaten bis hinunter zu jedem einzelnen Feldgerät. Diese Daten sind damit uneingeschränkt verfügbar. Dass dies funktioniert, zeigen Testanlagen der BASF und der Bilfinger Maintenance, in der erste Prototypen von Geräten mit Profinet als Kommunikationsschnittstelle von verschiedenen Industriepartnern zum Einsatz kamen. In den Tests wurde gezeigt, dass Ethernet-APL als ein Physical Layer im Bereich der Prozessautomatisierung und als Basistechnologie für übergeordnete Anwendungen geeignet ist.
Ausblick
Durch die Kombination von FDI, Profil-Parametern und Ethernet APL kann eine Plug & Produce-Ethernet-Kommunikation im Feld erreicht werden. Damit erhält der Anwender volle Transparenz im gesamten Lebenszyklus der Anlage. Weiter bietet es minimale Komplexität und maximale Wirtschaftlichkeit, wenn mindestens 80 bis 90 Prozent der Feldgeräte über Ethernet-APL angeschlossen sind. Dass dies prinzipiell der richtige Weg sei, bestätigt auch Anwender Seintsch, wobei im Detail sicher noch einige Fragen geklärt werden müssen. Wichtig, so Seintsch abschließend, sei ein langfristiges Denken, um Investitionssicherheit zu garantieren und die Akzeptanz sicherzustellen.
* Die Autorin ist freie Fachjournalistin für Chemie und Technik.
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