Eigensicherheit in der Prozessindustrie Warum die Zündschutzart Eigensicherheit auch nach 50 Jahren noch modern ist

Von Stephan Schultz*

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Die Zündschutzart „Eigensicherheit“ bietet dem Betreiber jede Menge Vorteile und kommt heute von der einfachen Punkt-zu-Punkt-Verdrahtung bis zur digitalen Automatisierung auf Industrie-4.0-­Niveau zum Einsatz. Worauf der Betreiber bei Projektierung, Installation und Inbetriebnahme achten sollte.

Eigensichere Lösungen sind seit 50 Jahren auf dem Markt. R. Stahl ist von Anfang an dabei.
Eigensichere Lösungen sind seit 50 Jahren auf dem Markt. R. Stahl ist von Anfang an dabei.
(Bild: R.Stahl)

Es ist gut 50 Jahre her, seit die ersten eigensicheren Feldgeräte und die dazugehörigen Sicherheitsbarrieren zum ersten Mal in Anlagen der Prozessindustrie zum Einsatz kamen. Die Technik wandelte sich über die Jahre – aber die typischen Signale wie das analoge 4…20 mA-Signal kommen nach wie vor zum Einsatz.

Die Vielfalt und Bandbreite der Anwendungen nahm kontinuierlich zu. Mittlerweile ist die Schutzart Eigensicherheit (Ex i) weit verbreitet, sicher auch weil das Schutzprinzip inhärente Sicherheit schafft und viele Installationsvarianten erlaubt. Im Kern geht es darum, die Energiemenge in einem Stromkreis auf ein nicht-zündfähiges Maß zu begrenzen, sodass Funken oder thermische Effekte keine Zünd­quellen mehr darstellen.

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Bereits seit mehreren Jahrzehnten sind eigensichere Feldbus-Ausführungen von Profibus DP und Modbus RTU vor allem zur Vernetzung von Remote I/O, Bedienterminals und Analysegeräte in Betrieb. Für die digitale Kommunikation bis zum Feldgerät haben sich überdies Ex i-geschützte Feldbusinstallationen mit Profibus PA oder Foundation Fieldbus H1 etabliert. Selbst vor der Funktechnik machte die Entwicklung nicht halt – hier erlaubt die Eigensicherheit den flexiblen Einsatz von Antennen.

Aktuell geht die Entwicklung in Richtung eigensicherer Lösungen für Industrial Ethernet. Um die Entwicklung international akzeptierter eigensicherer Ethernet-Konzepte voranzutreiben, engagiert sich R. Stahl in der Arbeitsgruppe des Advanced Physical Layer-Projekt (APL) sowie in der Intrinsically Safe Ethernet Working Group.

Ausschlaggebend ist die Zündgrenzkurve
Grundlagen der Eigensicherheit

Für eigensichere Stromkreise gelten die Anforderungen der IEC EN 60079-11 und 60079-25 zum Geräteschutz sowie zu Aufbau und Prüfung eigensicherer elektrischer Geräte. Die zur Wahrung der Eigensicherheit maximal zulässigen Werte für Spannung und Stromstärke werden mithilfe von Zündgrenzkurven bestimmt. Für jede Explosionsgruppe gibt es jeweils eine Kurve. Als eigensicher gilt ein Stromkreis, bei dem die Wertepaare aus Spannung und Stromstärke unterhalb der für die explosionsfähige Atmosphäre maßgeblichen Zündgrenzkurve liegen. Beim Einsatz in Zone 1 oder 0 ist der zulässige Wert zusätzlich um den Sicherheitsfaktor von 1,5 zu mindern. So darf z.B. ein eigensicheres elektrisches Betriebsmittel mit einer Spannungsversorgung von 30 V, das in einer explosions- fähigen Atmosphäre der Explosionsgruppe IIC eingesetzt werden soll, in Zone 1 mit höchstens 102 mA gespeist werden.

Für den Einsatz in Zone 0 müssen diese Werte von Strom und Spannung bei einem Gerät mit eigensicheren Stromkreisen selbst dann noch eingehalten werden, wenn zwei Fehler auftreten. Bei Stromkreisen für die Zone 1 gilt es, einen Fehler abzufangen. In der Zone 2 reicht es, diese Werte im normalen Betrieb einzuhalten.

Je nach ausgewiesenem Einsatzbereich (Zone 0, 1 oder 2) wird die Kennzeichnung Ex i um den Zusatz a, b oder c ergänzt. Dieselbe Ergänzung spezifiziert auch das Geräteschutzniveau (Equipment Protection Layer – EPL) für zum Einsatz in Zone 0, 1 oder 2 zugelassene Betriebsmittel. Der als Ga, Gb oder Gc ausgewiesene EPL ist in der Bau­musterprüfbescheinigung und auf dem Typenschild des Gerätes verzeichnet.

Die richtigen Geräte auswählen

Im Rahmen der Projektierung werden die Geräte auf Basis der Zoneneinteilung und der zu erwartenden Eigenschaften der explosionsfähigen Atmosphäre (Temperaturklasse, Explosionsgruppe) ausgewählt. Dieser Teil unterscheidet sich nicht wesentlich von der Vorgehensweise beim Einsatz von Betriebsmitteln, die auf andere Zündschutzarten zurückgreifen.

Seminar: Risikoermittlung in der Anlagensicherheit

In unserem Seminar „Risikoermittlung in der Anlagensicherheit“ lernen Sie mit welchen Methoden die Risiko- und Gefährdungsermittlung bei Prozess- und Chemieanlagen erfolgen kann und welche Tools dazu geeignet sind. Anhand eines konkreten Beispiels der Risikoanalyse einer Betriebsvorlage (Behälter) wird mit den vorgestellten Tools unter Anwendung der Methode PAAG-/LOPA eine Risikoanalyse durchgeführt. Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie ist diese Veranstaltung auch als Live-Webinar buchbar.

Eine Besonderheit ist jedoch, dass bei einer elektrischen Verbindung zwischen einem eigensicheren Feldgerät und dem Automatisierungssystem in der Regel ein Gerät erforderlich ist, das den eigen­sicheren Stromkreis vom „normalen“ Stromkreis trennt. Das bedeutet: Es müssen zwei Geräte auf­einander abgestimmt werden.

Eigensicherheit vor Inbetriebnahme nachweisen

Vor Inbetriebnahme eines eigensicheren Stromkreises ist gemäß DIN EN 60079-14 der so genannte Nachweis der Eigensicherheit zu führen, um sicherzustellen, dass Quelle, Kabel und Verbraucher die Anforderungen der Norm in Zusammenschaltung erfüllen. Für den Nachweis werden die Werte für Spannung, Stromstärke und Leistung sowie die Energiespeicher mit ihren Kapazitäten und Induktivitäten beurteilt. Sofern die Ausgangswerte der Quelle für Spannung, Stromstärke und Leistung (Uo, Io, Po) die Eingangswerte des angeschlossenen Verbrauchers (Ui, Ii, Pi) nicht übertreffen und die angeschlossenen Kapazitäten und Induktivitäten von Verbraucher (Ci, Li) und Kabel (Cc, Lc) die Grenzwerte von Co und Lo nicht überschreiten, lässt sich der Nachweis der Eigensicherheit einfach erbringen.

Nachweis der Eigensicherheit immer dokumentieren

Dieser Nachweis muss dokumentiert werden. Die Werte für den Nachweis finden sich in der Betriebsanleitung der jeweiligen Geräte. Für das Kabel können die Werte dem Datenblatt entnommen werden oder exemplarische Werte aus der Norm zum Einsatz kommen. Die endgültigen Werte für das Kabel ergeben sich aus der Länge.

Etwas schwieriger gestaltet sich der Nachweis bei Verbrauchern mit gleichzeitig wirksamen Induktivitäten Li und Kapazitäten Ci. Unter solchen Umständen können Anwender entweder auf für diesen Fall bescheinigte Werte der Quelle zurückgreifen oder gemäß einer so genannten 50 %-Regel die Grenz­werte für Co und Lo halbieren. Besonders komplexe Einzelfälle – beispielsweise mit aus mehreren Quellen gespeisten Stromkreisen – machen detaillierte Berechnungen erforderlich, die R. Stahl auf Anfrage als Dienstleistung durchführt sowie Anwendern in seinen Fachseminaren zum Thema Eigensicherheit vermittelt.

Sonderfall: einfache Betriebsmittel

Beim Schutzkonzept der Eigensicherheit können bestimmte, als „einfach“ geltende Betriebsmittel ohne EU-Baumusterprüfbescheinigung eingesetzt werden. Bei dieser Option ist allerdings Vorsicht geboten, weil sie eine gründliche eigene Bewertung solcher Geräte und Bauteile wie Schalter, LEDs, Thermoelemente oder Pt100-Widerstandsthermometer gemäß IEC EN 60079-0 und 60079-11 voraussetzt. Je nach Bauart müssen hierbei Faktoren wie Erwärmungsverhalten, Isolation gegenüber Erde, IP-Schutz u.v.m bewertet sowie das Ergebnis der Bewertung schriftlich festgehalten werden. Auch hier unterstützt R. Stahl die Branche mit normkonformen Begutachtungen und Bewertungen einfacher Betriebsmittel.

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Eigensichere Installationsvarianten

Zu den zentralen, in der IEC EN 60079-14 formulierten Installationsanforderungen für eigensichere Stromkreise zählt der Schutz vor dem Eindringen zusätzlicher Energie etwa durch Induktion von Schaltspannungen oder andere elektromagnetische Kopplungen. Neben der korrekten Kennzeichnung und Verlegung von Kabeln und Adern sind daher Trennabstände zwischen elektrisch leitenden Teilen von eigensicheren und nicht-eigensicheren Stromkreisen zu berücksichtigen.

Inhärent sichere Lichtwellenleiter

Für die Übertragung von digitalen Signalen über lange Übertragungswege bietet sich eine Glasfaserverkabelung als Alternative zu Kupferleitungen an. Mit Lichtwellenleitern lassen sich je nach verwendeter Glasfaser Entfernungen bis 30 km sehr störsicher überbrücken. Zum Einsatz im Ex- Bereich stehen mehrere Zündschutzarten zur Verfügung. Die inhärent sichere Strahlung (Ex op is) ähnelt in seinen Grundzügen sehr der Eigensicherheit. Mit dieser Zündschutzart wird die potenziell zündfähige optische Energie auch unter Fehlerbedingungen auf ein nicht-zündfähiges Niveau begrenzt. Da die Ex-geschützten Lichtwellenleiter während des laufenden Betriebs im explosionsgefährdeten Bereich verbunden und getrennt werden können, sind Installations, Umbau- und Wartungsarbeiten unkompliziert und kostengünstig zu bewerkstelligen.

Eigensicherheit für Wireless im Ex-Bereich

Insbesondere bei temporären Installationen, der Nachrüstung bestehender Netzwerke und zum Datenaustausch mit mobilen Endgeräten stellt die Funkkommunikation eine probate Lösung dar. Auf Basis eines breiten Sortiments an Gehäusesystemen und Komponenten fertigt R. Stahl applikationsgerechte Lösungen, mit denen sich konventionelle WLAN Access Points und andere Netzwerkkomponenten in kurzer Zeit für den Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen ertüchtigen lassen. Außerdem gibt es mit dem HF Isolator der Serie 9730 eine Lösung, die das Funk­signal in ein eigensicheres Signal umwandelt, um Geräte mit Funk­übertragung auch im Ex-Bereich mit jeder beliebigen industrietauglichen Antenne zu betreiben.

Einfaches Handling, das hohe Schutzniveau und vielfältige In­stallationsmöglichkeiten machen die Eigensicherheit zur unverzichtbaren Zündschutzart für die Prozessautomatisierung und Datenkommunikation im explosionsgefährdeten Bereich. Mit Ex i-geschützten Lösungen von der einzelnen Trennstufe über I/O-Systeme bis zur Bus-Vernetzung und Ethernet-Kommunikation bietet R. Stahl ein breites Portfolio für das gesamte Anwendungsspektrum. Überdies projektiert und installiert der Ex-Schutz-Spezialist maßgeschneiderte Lösungen und unterstützt die Anlagenbetreiber beim normenkonformen Nachweis der Eigensicherheit.

* * Der Autor ist Senior Product Manager bei R. Stahl, Waldenburg. Kontakt: Tel. +49-7942-943-0

Reparatur im laufenden Betrieb möglich
Vorteil Eigensicherheit
  • Die Zündschutzart erstreckt sich auf Kombination aus Strom-/Spannungsquelle, Verbraucher und Kabel. Dadurch entsteht ein hohes Sicherheitsniveau bei entsprechender Auslegung sogar für den Einsatz im hochgradig explosionsgefährdeten Bereich der Zone 0.
  • Auf eine spezielle Gehäusekapselung, wie sie beispielsweise in der Schutzart Ex d oder Ex p gefordert ist, kann verzichtet werden. Die Gehäuse müssen jedoch den Anforderungen der Umgebung entsprechen, was sich in der Realität mit den Anforderungen der Zündschutzart Ex e deckt.
  • Für eigensichere Stromkreise können in der Regel industrielle Kabeldurchführungen und Steckverbinder eingesetzt werden, was z.B. beim Einsatz von Ethernet oder Funksignalen von großem Vorteil ist.
  • Besonders praktikabel ist das Handling Ex i-geschützter Geräte zudem im laufenden Betrieb. Erweiterungen oder Reparaturen können in explosionsgefährdeten Bereichen unter Spannung (hot work) durchgeführt sowie Geräte ohne vollständige Abschaltung von Anlagen oder Anlagenteilen hinzugefügt oder getrennt (hot swap) werden. Dies schlägt besonders positiv zu Buche, wenn eine Störungssuche erforderlich ist oder Geräte ausgetauscht werden müssen.

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