Machine Learning unterstützt Anlagenretrofit Mit Datenanalyse und Machine Learning Anlagen effizienter auslegen und betreiben

Ein Gastbeitrag von Stefan Pauli, Senior Data Analyst bei VTU Lesedauer: 5 min

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Bei der Erweiterung einer 20 Jahre alten Pharmaanlage stellte sich heraus, dass der Abgaswäscher nicht mehr den aktuellen Luftreinhaltenormen entsprach – dadurch wurde auch ein Retrofit der Abgasanlage notwendig. Mit KI-gestützter Datenanalyse konnte die optimale Auslegung der Anlage ermittelt werden.

Machine Learning für die Datenanalyse
Machine Learning für die Datenanalyse
(Bild: wladimir1804 - stock.adobe.com)

Schadstoffbeladene Abgase durchkreuzten beinahe die Erweiterungspläne eines Schweizer Pharmaunternehmens mit Spezialisierung auf die Herstellung und den Vertrieb von hochwertigen Peptiden, Aminosäurederivaten und biochemischen Reagenzien für die Forschung und pharmazeutische Industrie. Die ursprünglich mittels Retrofit geplante Produktionserweiterung der 20-jährigen Anlage wurde nur unter Einhaltung der aktuellen Luftreinhalteverordnung behördlich genehmigt.

Der vorhandene Abgaswäscher war dafür jedoch nicht mehr ausreichend. Somit war klar, dass auch die Abluftreinigungsanlage des Pharmaunternehmens eines Retrofits bedurfte. Denn so konnte sichergestellt werden, dass auch die ausgebaute Produktionsanlage künftig behördenkonform betrieben werden konnte.

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VTU war als Generalplaner bereits mit der Erweiterung der Pharmaanlage beauftragt und suchte nun auch Lösungen für die zusätzliche Herausforderung, die sich durch das Retrofit der Abluftreinigungsanlage ergab. Ein Ansatz zielte darauf ab, die dem gesamten Produktionsprozess nachgeschaltete End-of-Pipe Lösung zur Abluftreinigung neu auszulegen. Dabei ist entscheidend, dass bei Abluft-Frachtspitzen vorgewärmte Frischluft zur Verdünnung hinzugefügt werden muss, um ein explosionsfähiges Gemisch zu verhindern. Die zugefügte Frischluft bedingt allerdings eine Überdimensionierung der Abluftreinigungsanlage auf die erhöhten Peak-Abluftflüsse, was zu zusätzlichen Energieverlusten in der Abluftreinigung führen würde.

Mehr Individualität und Nachhaltigkeit

Das VTU-Team wählte schließlich die nachhaltigste und gleichzeitig individuellste Lösung: eine Analyse und Auslegung der Optimierungsmöglichkeiten mittels Machine Learning. Indem sich die Analyse nicht nur auf „End-of-Pipe“ beschränkte, konnten die Abluft-Frachtspitzen auch an der Quelle mit verschiedenen Optimierungen angegangen werden. Die bereits vorhandenen Anlagendaten aus einem Zeitraum von über einem Jahr versprachen zeitnahe und effizient zu erreichende Erkenntnisse bei gleichzeitig deutlichen Einsparungen im Energieverbrauch.

Dabei half, dass viele Antworten bereits in den Prozess-, Maschinen- und Qualitätskontrolldaten vorhanden waren, welche in der bestehenden Prozessanlage über Jahre gesammelt wurden. Die Datenanalyse-Methoden des maschinellen Lernens erwiesen sich somit als effiziente Lösung, um die gewünschten Antworten aus den gesammelten Daten zu gewinnen.

Datenanalyse als erster Schritt

Der erste Schritt zum optimalen Retrofit der Abgasreinigungsanlage bestand daher in einer umfassenden Analyse der existierenden Daten: Diese wurden bereinigt und über die Zeitstempel getrackt und zusammengeführt, um anschließend in einer vereinheitlichten Datenbank gesammelt zu werden. Die wichtigsten Parameter hierbei waren die aktiven Anlagen mit den aktuellen Verfahrensschritten, die Messergebnisse zur Abgasfracht und die effektive Fracht der zugeführten Frischluft.

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Danach wurden die Schritte mit hohen Frachtspitzen sowie die wichtigsten Parameter ermittelt und Zusammenhänge abgebildet. Darauf aufbauend konnten die Produktionsparameter optimiert werden, um eine Verringerung in der Abgasfracht zu erzielen. Dazu zählte etwa der Ansatz, Verfahrensschritte mit hohen Frachtspitzen nicht zeitgleich laufen zu lassen und mit „Was-wäre-wenn-Simulationen“ die beste Lösung auszuwählen.

Auch bei den Frachtspitzen selbst konnte das Projektteam Verbesserungspotenzial erkennen: Wichtige Produktionsparameter wie z.B. die optimale Temperatur konnten massiv zur Effizienz des Prozesses beitragen und die Abgasfracht maßgeblich reduzieren. Ein weiterer Lösungsansatz bestand darin, einzelne Verfahrensschritte in die Länge zu ziehen, um Frachtspitzen zu vermeiden – natürlich nur, wenn dadurch keine „Bottlenecks“ generiert wurden.

Reduzierte Frachtspitzen, effizientere Produktion

Zusammengefasst sorgte der Machine Learning-Ansatz für optimierte Produktionsparameter der hauptverursachenden Anlagenschritte. Das Ergebnis waren reduzierte Frachtspitzen und Umwelteinflüsse zugunsten einer effizienteren Produktion. In Zahlen ausgedrückt führte dieser Ansatz im Vergleich zu einer möglichen End-of-Pipe-Lösung zu einer Reduzierung der Frachtspitzen um 40 Prozent und die Dimension der Abluftreinigungsanlage konnte um 20 Prozent verkleinert werden. Zusätzlich wurde der Energieverbrauch durch den geringeren Frischlufteinsatz um 65 Prozent gesenkt.

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Nach dem Projektstart im Jahr 2020 konnte die Inbetriebnahme der neuen Abluftreinigungs-Anlage des Pharmaunternehmens Anfang 2022 durchgeführt werden. Auch die behördliche Abnahmemessung der Abgase wurde erfolgreich absolviert. Das Investment betrug insgesamt 2,2 Millionen Euro. Teile der erwünschten Produktionserweiterungen konnten dank der neuen Abluftreinigungs-Anlage bereits gemäß der Luftreinhalteverordnung in Betrieb genommen werden; andere sind noch in Planung oder Ausführung.

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Neue Funktion für „Datenfriedhöfe“

Es wurde deutlich, dass die Herausforderungen zum Thema Nachhaltigkeit nach neuen Herangehensweisen verlangen. Datenanalyse und Machine Learning können dazu beitragen, Anlagen effizienter auszulegen und zu betreiben, um näher an das Optimum zu gelangen.

Klar wurde auch, dass bereits existierende Datensammlungen produktiv genutzt werden können und vermeintliche „Datenfriedhöfe“ somit wertvolle Informationen für Optimierung und Retrofit von Anlagen bieten.

Dieses für VTU erste Projekt, in dem Machine Learning für Retrofits zum Einsatz kam, brachte eine Reihe an neuen Fragestellungen mit sich: Wie können bereits bestehende Daten am effizientesten genützt, aber auch zusammengeführt und bereinigt werden? Wie können Prozessingenieur:innen für das Thema Machine Learning als sinnvolle Lösung sensibilisiert werden?

Wie können Data Scientists von Beginn an in Projekte integriert werden? Und wie werden Erfolge im Bereich Machine Learning auf weitere Projekte übertragen?

Es zeigte sich aber auch, dass Machine Learning neue Möglichkeiten eröffnet, um oft gestellte Fragen bei einem Retrofit zu beantworten, wie: Wo sind ‚Bottlenecks‘ für Produktionsmenge, Qualität oder Umweltverträglichkeit? Wie lässt sich der Ressourcenverbrauch am besten reduzieren? Oder, ganz allgemein: Welche kostengünstigen ‚Quick Wins‘ lassen sich realisieren?

Auch für die Zukunft, außerhalb von Retrofit, bietet Machine Learning vielversprechende Aussichten. So besteht weiteres Optimierungspotenzial in Richtung gesteigerte Nachhaltigkeit, etwa im datengestützten, effizienteren Betrieb der Anlagen. VTU möchte die Datenanalyse bei Umbauprojekten daher verstärkt von Beginn an integrieren.

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