Aus für Fluorpolymere – Green Deal in Gefahr? Warum Fluorpolymere essenziell für die Umsetzung der Ziele des EU Green-Deals sind

Ein Gastbeitrag von Dr. Bernhard Langhammer, Sprecher von Chemdelta Bavaria im Chemiepark Gendorf; Dr. Michael Schlipf, Geschäftsführer von FPS (Fluorocarbon Polymer Solutions)

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Die amerikanische 3M-Corporation und Solvay haben verkündet, Produktionen von Fluorpolymeren zu schließen. Damit fallen in Europa in absehbarer, kurzer Zeit über 50 % an Produktionskapazität für Fluorpolymere weg. Kommen damit neben den bestehenden, wichtigen Anwendungen für Fluorpolymere auch die für die Zukunft vorgesehenen Megatrends, wie z.B. der Grüne Wasserstoff als Ersatz für fossile Energieträger in Gefahr?

Ist der Green Deal in Gefahr falls ein Verbot von Fluorpolymeren kommt?
Ist der Green Deal in Gefahr falls ein Verbot von Fluorpolymeren kommt?
(Bild: frei lizenziert / Pixabay)

Wie kaum eine andere Stoffgruppe stehen Fluorchemikalien einschließlich Fluorkunststoffen derzeit wegen ihrer Umweltrelevanz in der öffentlichen Diskussion. Das am 7. Februar von der ECHA (European Chemicals Agency) veröffentlichte Dossier zu PFAS („per- and polyfluoroalkyl substances“) empfiehlt nicht nur ein sofortiges Verbot einer Reihe der mehrere tausend Verbindungen umfassenden Stoffgruppe der PFAS, sondern sieht vor, mittelfristig komplett auf alle PFAS in Europa zu verzichten. Das umfasst die Herstellung, den Import und die Verwendung von Fluorpolymeren.

Im Gegensatz zu kurzkettigen Fluorverbindungen, von denen einzelne Vertreter als gesundheitsgefährdend einzustufen sind und die über viele Jahrzehnte z.B. als nicht-brennbare Löschschäume weltweit Einsatz fanden – was zu einer breiten Verteilung dieser Substanzen geführt hat – sind die Fluorpolymere anerkannt als „PLCs“ („Products of low concern“). Dieses Prädikat erhalten nur diejenigen Kunststoffe, die die dreizehn Stoffkriterien der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) erfolgreich bestanden haben und von denen folgerichtig keine Gefahr für Lebewesen oder Tiere ausgeht.

Seitens der ECHA wird den Fluorpolymeren lediglich über deren Persistenz, sprich „Langlebigkeit, Unverwüstlichkeit“, ein gewisses Gefahrenpotenzial zuerkannt. Außerdem würde ein Komplettverbot aller PFAS-Substanzen der Industrie die Möglichkeit nehmen, bei einem Einzel- oder Teilverbot für Stoffe und Stoffgruppen jeweils mit einem technischen Lösungsvorschlag die spezifische Anwendung weiter zu entwickeln.

Fluorpolymere mit besonderen Eigenschaften

Die Elemente Kohlenstoff und Fluor bilden die stärkste Bindung aller chemischen Elemente aus. Außerdem ‚schirmen‘ die verhältnismäßig großen Fluoratome die Kohlenstoffkette, die das Rückgrat der Kunststoffe bilden, wirkungsvoll gegen chemische Angriffe ab. Dieser besondere chemische Aufbau ist die Ursache für das einzigartige Eigenschaftsspektrum von Fluorpolymeren. Hierzu gehören die nahezu universelle Chemikalienbeständigkeit, die nicht-Brennbarkeit, die Durchlässigkeit für UV-Strahlung sowie die besonderen dielektrischen Eigenschaften. Dadurch sind Fluorpolymere weit verbreitet als Auskleidung chemischer Anlagenkomponenten im Kontakt mit aggressiven Medien, als hochtemperaturfeste Schläuche und Isolierungen im Maschinen- und Fahrzeugbau sowie der Luft- und Raumfahrttechnik. In der Medizintechnik werden chirurgische Instrumente für die minimalinvasive Chirurgie, die Beatmungsgeräte für Covid-Patienten oder Implantate in Form von Stants bzw. künstliche Blutgefäße gefertigt.

Für Zukunftstechnologien wie die klimaneutrale Energieerzeugung durch Ersatz fossiler Energieträger durch Grünen Wasserstoff sind Fluorpolymere unverzichtbare Anlagenkomponenten: die Membran der Elektrolysezellen, die gasdichten, chemieresistenten Dichtungen, die Schlauchleitungen und Verrohrungen, alles wird aus Fluorpolymeren gefertigt. Nur sie können den aggressiven Reaktionsbedingungen auf Dauer widerstehen. Eine lange Lebensdauer der Anlagen, großzügig ausgelegte Wartungsintervalle und hohe Stromausbeuten sind die erfreulichen Konsequenzen.

Fluorpolymere für Elektrolysezellen, Batterien & Co.

Grüner Wasserstoff, hergestellt durch Elektrolyse von Wasser mittels Strom aus Windenergie und Photovoltaik, ist unerlässlich für das Erreichen der EU-Green Deal Ziele. Von ihm hängt es ab, ob die Abkehr von den fossilen Energieträgern gelingen wird. Die Beständigkeit von Fluorpolymeren in den Elektrolysezellen ist die Voraussetzung für das Funktionieren der Anlagen.

Grüner Wasserstoff, hergestellt durch Elektrolyse von Wasser mittels Strom aus Windenergie und Photovoltaik, ist unerlässlich für das Erreichen der EU-Green Deal Ziele.
Grüner Wasserstoff, hergestellt durch Elektrolyse von Wasser mittels Strom aus Windenergie und Photovoltaik, ist unerlässlich für das Erreichen der EU-Green Deal Ziele.
(Bild: FPS)

In der E-Mobilität sind Fluorpolymere unverzichtbar, PVDF hat sich als das ideale Bindemittel für Anode und Kathode in den Batterien der Elektroautos bewährt. Allein dieser Anwendung ist es zu verdanken, dass PVDF die höchste Wachstumsquote aller Fluorkunststoffe in den letzten fünf Jahren ‚hingelegt‘ hat.

Bei der Fertigung von Halbleitern für die Chipproduktion können nur Reinstwasser bzw. Reinstchemikalien eingesetzt werden. Eine Verunreinigung durch beispielsweise Metall-Ionen würde die empfindliche Halbleitereigenschaft des Siliziums sofort zerstören. Deshalb ist die Chipfertigung, wie sie in Deutschland vor allem in Sachsen etabliert ist, eine Industrie, die ausschließlich in Fluorpolymeren stattfindet. Vor allem die Hochreinversionen von PFA haben sich hier im Chemikalienbereich bewährt, PVDF wird für die Versorgung der Produktionsanlagen mit Reinstwasser eingesetzt; ohne Fluorpolymere gibt es keine Halbleiterindustrie. Für den Betrieb von Geräten der Halbleiterindustrie, z.B. von Mobiltelefonen, sind Fluorpolymere unerlässlich: Die Leiterplatten aus Fluorpolymeren erlauben eine dichteste Anordnung an Elektronikkomponenten, wodurch die Handys zu wahren ‚Großrechnern‘ im Taschenformat geworden sind. Und wenn das Handy mal ins Wasser fällt, auch das stellt kein Problem dar. Dank Fluorpolymeren kann es eine halbe Stunde im Schwimmbad in drei Meter Tiefe verbringen, ohne dass es Schaden nimmt.

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PFAS-Ausstieg von 3M bedeutet Aus für Dyneon Gendorf

Hochreines PFA ist der Fluorpolymerwerkstoff, der bei der Herstellung von Computer-Chips unersetzbar ist. Er verhindert die Kontamination der erforderlichen Chemikalien mit Metallionen und ermöglicht so die Fertigung von Chips aus Reinstsilizium mit höchster Rechenleistung. Sämtliche Komponenten des „Fluid Handlings“ der Chemikalien im Chip-Produktionsprozess sind in PFA ausgeführt

Sämtliche Komponenten des „Fluid Handlings“ der Chemikalien im Chip-Produktionsprozess sind in PFA ausgeführt.
Sämtliche Komponenten des „Fluid Handlings“ der Chemikalien im Chip-Produktionsprozess sind in PFA ausgeführt.
(Bild: FPS)

Auch die Herstellung der Rotorblätter für Windkraftanlagen mittels Fluor-Releasefolien und die Leistungsdichte von Autobatterien oder die 5G-Technologie ist ohne die Verwendung dieser Stoffgruppe ebenfalls nicht realisierbar. All dies führt zu einer hohen, teilweise exponentiellen Nachfrage bestimmter Fluorpolymere in der Zukunft und ist die Ursache für ein globales Ansteigen von Fluorpolymeren in doppelter Höhe des Bruttosozialproduktes.

Mit den drohenden Restriktionen für Fluorpolymere als Teil der PFAS-Gruppe und anhängiger Verfahren zur Umwelthaftung von Altlasten, insbesondere in den USA, begründete der 3M-Konzern Ende letzten Jahres den kompletten Ausstieg aus PFAS und will sämtliche Produktionsstätten bis Ende 2025 schließen. Das bedeutet auch das Ende der Produktion der Dyneon im Chemiepark Gendorf, wo seit rund 60 Jahren als einzigem Produktionsstandort in Deutschland hochwertige Fluorpolymere hergestellt werden.

Die Firma Dyneon ist dabei nicht nur der größte Produzent in ganz Europa mit rund 40 % Anteil, sie liefert das breiteste Produktportfolio und ist Weltmarktführer bei besonderen Produktqualitäten im Bereich der modifizierten Polymere. Das Werk arbeitet mit den derzeit höchsten Umweltstandards für die Produktion und investiert zudem in geschlossene Kreisläufe, um ein absolutes Höchstmaß an Umweltverträglichkeit zu erzielen. Auch existiert in Gendorf die bisher weltweit einzige Anlage zur Wiederverwertung von Fluorpolymeren nach dem Upcycling-Verfahren, einem chemischen Recyclingverfahren, das aus Altprodukten Neuware macht, ohne dass dabei Abschläge hinsichtlich der Qualität in Kauf genommen werden müssen. Die Schließung der Anlagen kann am Chemiepark Gendorf einschließlich der davon betroffenen Folgeproduktionen den Verlust von 1000 Arbeitsplätzen bedeuten.

Beim Upcycling werden Abfallprodukte oder (scheinbar) nutzlose Stoffe in neuwertige Produkte umgewandelt.
Beim Upcycling werden Abfallprodukte oder (scheinbar) nutzlose Stoffe in neuwertige Produkte umgewandelt.
(Bild: Dyneon)

Die Dyneon Upcycling Anlage hat 500 Tonnen Jahresdurchsatz. Mit ihr können Fluorpolymere nach ihrer Anwendung in einem chemischen Recyclingverfahren wieder aufbereitet und dann zur Herstellung von Neuprodukten verwendet werden. Die Verfahrensentwicklung ermöglicht eine signifikante CO2-Einsparung bei der Fluorpolymerherstellung und ist das erste Beispiel echter Kreislaufwirtschaft bei Fluorpolymeren. Das Verfahren wurde entwickelt unter Förderung durch die BDU, der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Angesichts der Bedeutung der Fluorpolymeren ist die 3M-Entscheidung eine industriepolitisch nicht nachvollziehbare Entwicklung, die sich auf viele Branchen am Industriestandort Europa dramatisch auswirken wird. Das Ziel, Kernindustrien nach Europa zurück zu verlagern und hier weiterzuentwickeln wird praktisch in das Gegenteil verkehrt. Damit würde die Abhängigkeit von Lieferanten in Ländern wie Russland, USA, China oder Afrika signifikant ansteigen.

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