Digitale Transformation Namur-Hauptsitzung 2017: Spannung(en) garantiert
Beim jährlichen Familientreffen der EMR-Ingenieure und Elektrotechniker in der Prozessindustrie stand diesmal die digitale Transformation im Vordergrund. Aber wie gelingt der Sprung einer traditionellen und auf Sicherheit bedachten Industrie in die digitale Welt? Die Protagonisten und Anwender von Software und Automatisierungstechnik lieferten auf der diesjährigen Namur-Hauptsitzung in Bad Neuenahr ganz unterschiedliche Antworten.
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Bad Neuenahr – Mit schnellem Sprint in die Industrie 4.0-Welt oder doch in kleinen Schritten? Darüber, dass die digitale Transformation gemeistert werden muss, konnten sich der diesjährige US-Sponsor GE Digital und die Anwender von Prozessautomatisierung noch einigen. Bei der Art und der Geschwindigkeit taten sich jedoch große Unterschiede auf. „Wir bereiten uns intensiv auf die Digitalisierung vor, könnten aber natürlich weiter sein“, gab Namur-Vorstandsmitglied und BASF-Manager Dr. Matthias Fankhänel, selbstkritisch zu – nicht ohne auf das eigene hohe BASF-Tempo in den vergangenen vier Jahren zu verweisen. Nach Einschätzung des Namur-Vorsitzenden Dr. Wilhelm Otten, Evonik, ist die Technologie das kleinere Problem.
Die Chemieindustrie müsse sich schon fragen, ob sich nicht andere Player mittelfristig zwischen die Produzenten und ihre Kunden setzen. Damit würden die Prozessunternehmen zu reinen Produzenten degradiert und könnten nicht von neuen Geschäftsmodellen, die im Industrie 4.0-Kontext denkbar sind, profitieren. Während die in der Namur vertretenen Mitglieder weitgehend noch immer die Produktionsprozesse messen, steuern, regeln und automatisieren, verlagern sich die Wirkhebel dagegen zunehmend in die Logistik und Supply Chain der Produkte. „Industrie 4.0 ist die MSR-Technik von Geschäftsprozessen“, zeigt sich Otten daher überzeugt. Dafür benötige man nicht nur neue Tools und Plattformen, sondern ein generelles Umdenken, so der Namur-Vorsitzende.
Wie die neue Tool- und Plattformwelt aussehen könnte, zeigte der diesjährige Sponsor GE Digital. Simone Hessel, Vice President GE Digital Europe, sieht die Prozessindustrie zwar auf einem guten Weg. Die Automatisierungsdichte sei jedenfalls beeindruckend hoch. „Aber“, so Hessel warnend: „Was machen Sie, wenn Ihre Kunden in der Automobilindustrie in Kürze komplett digital arbeiten?“ In einer Zeit, in der sich Kunden und eigene Mitarbeiter schnell digital verändern, müsse auch die Prozessindustrie in diesem Punkt deutlich schneller und agiler werden.
Hessel sieht die Prozessindustrie daher am Scheideweg. Dabei gehe es weniger um Technologie als um Menschen und Mindset. Hessel stellte vor, wie GE seine Partner und Kunden mit seiner Cloud-basierten Predix-Plattform bei der Transformation begleitet. Die klare Botschaft: Selbst eine hohe Automatisierung sei noch lange nicht Digitalisierung oder digitale Transformation. Die Interaktion zwischen Menschen, Assets und Prozessen werde sich drastisch verändern, so Hessel.
Das US-Unternehmen General Electric (GE) hat dies bereits vorgemacht, indem es sich vom traditionellen Schwermaschinenbauer zu einem digitalen Industrieunternehmen gewandelt hat. Dabei will man allein im eigenen Unternehmen Produktionseinsparungen von jährlich 700 Millionen Dollar durch diese digitale Transformation erreicht haben. (Zur Einordung: Der Umsatz von GE betrug 123 Milliarden Dollar in 2016). Unter dem Motto ‚Get connected – Get insights – Get optimized‘ hat GE längst sein Kerngeschäft vom reinen Produktverkauf hin zur Bereitstellung von Dienstleistungen verlagert.
Heute entwickelt die Digitalsparte des US-Unternehmens GE Digital Softwareanwendungen für ein optimiertes Asset Performance Management APM und bietet u.a. Field Services an, die auf der Cloud-basierten Plattform von Predix aufsetzen. GE hatte die Industrial IoT-Plattform Predix einst eingeführt, um die digitale Transformation der eigenen Unternehmen innerhalb GE’s in über zehn Branchen von der Luftfahrt bis zu Versorgungsunternehmen voranzutreiben. Dabei stellt Predix Verarbeitungs- und Analysefunktionen bereit, um Assets in Echtzeit zu verbinden und zu steuern. Damit soll die Verarbeitung und Analyse der Daten dort stattfinden, wo sie benötigt werden. GE Brilliant Manufacturing beispielsweise verbindet das traditionelle Manufacturing Execution System (MES) mit innovativen Datenanalysen. „Die Prozessindustrie verfügt über viele Daten aus der Automatisierung. Wenn man diese Daten intelligent verbindet, bietet sich ein enormes Effizienzsteigerungspotenzial“, ist Hessel überzeugt. Durch die Verbindung bestehender Anlagen bis zur Edge sowie der massiven Rechenleistung in der Cloud lassen sich nach GE-Einschätzung so Echtzeit-Einsichten generieren, die bis zu 20 Prozent Effizienzgewinne liefern können.
Gewaltige Einsparpotenziale und Chancen für neue innovative und lukrative Geschäftsmodelle, lautet also die Botschaft des Sponsors. Mangels brancheneigener Beispiele aus der Prozessindustrie muss man im Vortrag allerdings Fremdbranchen bemühen – wie etwa das bei einem Aufzug-Hersteller und einem Shopping-Mall-Betreiber. Über das Nutzungsverhalten der Aufzüge habe man Laufwege in der Mall optimieren und die Höhe der Ladenmieten an bestimmte Standorte koppeln können. Solche Geschäftsmodelle finden sich nach Einschätzung der Big-Data-Analysten von GE allerdings in Zukunft in jeder Branche. Um das zu verdeutlichen, präsentierte man dann Beispiele aus der biopharmazeutischen Industrie, in der die beiden Konzernschwestern GE Healthcare und GE Digital Data Science und Analytics mit Domänen-Wissen und Prozesswissenschaft für die Life-Science-Industrien miteinander verzahnen. Daraus entstanden ist ein modulares Produktions- und Dienstleistungsmodell Kubio, mit dem die Markteinführungszeit drastisch verkürzen werden kann.
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