Kunststoffe der Zukunft Kein Plastik ist auch keine Lösung
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Kunststoffe sind vielseitig, leicht und nahezu grenzenlos einsetzbar. Aber Polymere stehen zunehmend in der Kritik. Die Reaktionen darauf sind gesetzliche Vorgaben wie Verkaufsverbote für Einwegprodukte, Recyclingquoten und Selbstverpflichtungen der Industrie. Aber: Um das „Plastikproblem“ wirklich zu lösen, braucht es weitergehende Ansätze, die auf Innovation und nachhaltige Alternativen setzen. Hier ist die Chemiewirtschaft gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Richtig verwendet, kann das Material sogar einen Beitrag zum Umweltschutz leisten.

Während Papier in der Erstverarbeitung den geringsten Fußabdruck hinterlässt, betragen die Treibhausgasemissionen der Plastikherstellung nur dreiviertel der von Glas und nur die Hälfte der von Aluminium. Seine – für viele unerwartete – Stärke spielt Kunststoff schließlich im Recyclingprozess aus: Hier fallen weniger als 10 % der Emissionen von Glas, 25 % der von Papier und 33 % von Aluminium an, wie eine Studie von Accenture belegt.
Kunststoff überzeugt aber auch durch seine „materiellen Werte“: Es ist preiswert, kann leicht gefärbt und geformt werden, ist lebensmittelecht, wiegt wenig und ist ein Kohlenstoffspeicher. Diese im Grunde revolutionären Qualitäten sind bislang jedoch kaum im Bewusstsein der Verbraucher angekommen. Vielleicht ist das eine Erklärung dafür, warum Plastik für viele ein Wegwerfartikel ist und dadurch erst seine umweltschädliche Wirkung entfaltet.
Chemische Industrie kann den Wandel mitgestalten
Egal von welcher Seite man sich der Debatte nähert, Plastikmüll ist und bleibt ein Problem – aber ein lösbares. Gerade Chemiefirmen sollten hier zur Lösung beitragen und zum Motor einer nachhaltigen Wirtschaft werden. Das ist nicht ganz uneigennützig gedacht. Mit dem Angebot grüner Alternativen leisten Chemieunternehmen nicht nur einen Beitrag für die Umwelt, sondern legen auch die Grundlage für neues Wachstum in einem wichtigen Zukunftsfeld.
Ganz konkret gibt es vor allem drei Handlungsfelder, in denen Unternehmen der Chemieindustrie sich neu aufstellen müssen, um den Wandel in vorderster Reihe mitzugestalten. Erstens müssen sie neue und massenmarkttaugliche Materialien entwickeln, die Produkte und Verpackungen aus Plastik ersetzen können. Zweitens braucht es neue Wege bei der Verwertung von Kunststoffabfällen und drittens sind neue Geschäftsmodelle gefragt, die dem Wunsch der Verbraucher nach mehr Nachhaltigkeit Rechnung tragen.
Die Krux mit Bio-Kunststoffen
Kunststoff ist nicht gleich Kunststoff – jedes Material hat andere Eigenschaften und eine andere Umweltverträglichkeit. Allerdings gibt es derzeit nur wenige (Bio-)Kunststoffe, die vollständig abbaubar oder kompostierbar sind. Deswegen ist Innovation in der Entwicklung neuer Materialien auch aus nicht-fossilen Quellen dringend geboten. Dabei muss man das Rad nicht immer neu erfinden: Das weit verbreitete Zellophan, welches aus Holz hergestellt und hauptsächlich zum Einpacken von Lebensmitteln genutzt wird, ist – ohne Beschichtung – bereits komplett abbaubar. Eine weitere Klasse von schnellabbaubaren Kunststoffen sind PHA (Polyhydroxyalkanoate) und PHB (Polyhydroxybuttersäure), die von Bakterien aus zuckerhaltigen Substanzen wie Maissirup produziert werden. Hinzu kommen natürliche Harze, die sich sowohl für die einmalige, aber auch dauerhafte Verwendung eignen. Eine weitere Option: Durch den Zusatz von Additiven wie Timeplast können Chemieunternehmen auch konventionellen Kunststoff besser abbaubar machen – ganz ohne Einbußen bei der Qualität.
Die hohen Rohstoffkosten sind jedoch zweifellos eine Herausforderung bei der Herstellung von alternativen Kunststoffen. Ein Beispiel: Um ein knappes halbes Kilogramm PHA oder PHB zu produzieren, sind fast zwei Kilogramm Zucker notwendig. Bei dem derzeitigen Zuckerpreis ist ein solches Produkt wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig. Der Firma Nafigate ist es allerdings gelungen, eine Variante herzustellen, die aus der mikrobiellen Fermentation von Frittieröl einen Kunststoff namens P3HB macht. Hier liegen die Rohstoffkosten fast gleichauf mit konventionellen Kunststoffen.
Neue Verfahren sind gefragt
Es ist wichtig, neue Wege beim Recycling zu gehen. Hier spielt die petrochemische Industrie eine große Rolle. Denn in Raffinerien kann beispielsweise Plastikabfall wieder in Mineralöl umgewandelt oder als Ausgangsstoff für die Herstellung neuer Chemikalien genutzt werden. Müll ist hier ein wertvoller Rohstoff: Allein der Brennwert aller organischen Abfälle, die derzeit in den USA in Deponien entsorgt werden, entspricht etwa 865.000 Fässern Rohöl pro Tag.
Für die Weiterverarbeitung in Raffinieren muss der Plastikmüll zunächst sortiert, gereinigt und zerkleinert werden. Mit moderner Technik und Software, wie Infrarot und Nah-Infrarot Lasersensoren, Künstlicher Intelligenz und Maschinellem Lernen, lassen sich diese Vorgänge heute sehr effizient gestalten. Entsprechende Pilotprojekte – wie z.B. Re-Oil des österreichischen Öl- und Gaskonzerns OMV – befinden sich im Scale-up.
Geschäftsmodelle müssen angepasst werden
Umweltfreundliche Kunststoffe und neue Wege im Recycling ziehen andere Geschäftsmodelle und Lieferketten nach sich. Die Produktionsstätten von Kunststoffen, die auf der Basis nachwachsender Rohstoffe gefertigt werden, müssen näher an den Anbaugebieten sein. Ein saisonabhängiges Kaufverhalten und die schwierige Kalkulierbarkeit auf Grund stark schwankender Rohstoffpreise sind weitere Herausforderungen, mit denen sich Chemieunternehmen auseinandersetzen sollten. Außerdem muss die Zusammenarbeit zwischen Handel, Konsumgüterherstellern, Chemieindustrie, Recyclingwirtschaft und Behörden besser werden.

Ein komplett anderer Ansatz ist die Mehrfachnutzung von Verpackungen. Vor einigen Jahrzehnten war es noch üblich, die Milch täglich frisch in Glasflaschen vor die Haustür geliefert zu bekommen und die leeren Flaschen dort auch wieder einsammeln zu lassen. Dieses Geschäftsmodell erlebt derzeit eine Renaissance: Lebensmittel, Hygieneprodukte oder andere Artikel des täglichen Bedarfs können heute ohne großen Aufwand in wiederverwendbaren Gefäßen geliefert und gekauft werden. Das mag zwar weitaus umständlicher als eine Wegwerfverpackung sein, das Interesse an dieser Form der Kreislaufwirtschaft nimmt aber auf Grund des gewachsenen Umweltbewusstseins der Verbraucher zu.
Die Herausforderung für Unternehmen liegt bei solchen Kreislaufmodellen vor allem darin, die Logistik so effizient wie möglich zu gestalten. Die Firma Terra-Cycle bietet ein solches Liefersystem mit Mehrfachverpackungen unter dem Namen „Loop“ in mehreren Städten der USA bereits erfolgreich an. Hierbei werden Waren von Geschäften und Supermärkten in Verpackungen aus Glas oder Metall verwendet, die anschließend wieder eingesammelt und bei hohen Temperaturen gereinigt werden.
Mehr Wertschätzung ist gefordert
Egal ob Mehrfachnutzung, umweltfreundlichere Materialien oder neue Verfahren; die Verantwortung liegt nicht allein bei den Unternehmen. Die Gesellschaft muss mitziehen: Es kommt auch auf den Willen der Verbraucher an, ihre Gewohnheiten zu ändern. Was nützt die beste Innovation, wenn die Kunden sie nicht annehmen? Das muss sich ändern: Nur wenn Wirtschaft, Gesellschaft und Politik umdenken, werden die Bemühungen der Chemieindustrie für nachhaltigere Produkte und effizientere Recyclingprozesse wirklich Früchte tragen.
* Der Autor ist Geschäftsführer Energie, Chemie und Grundstoffindustrien bei Accenture in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
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