Ethernet für die Prozessautomatisierung Ethernet-APL – warum jetzt Zeit zum Umdenken ist

Von Andreas Hennecke*

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Alle reden über Industrie 4.0, das Internet der Dinge (IoT), Big Data, die Cloud, mobile Kommunikation und Internet everywhere. Doch an der weltweiten Prozessindustrie ist die digitale Revolution bisher weitgehend vorbeigegangen. Dafür gab es bisher gute Gründe. Doch es ist Zeit zum Umdenken! Denn mit Ethernet-APL ist ein völlig neues Zeitalter angebrochen.

Ethernet-APL ist auf dem Weg zu einem integrierten Bestandteil einer einheitlichen und durchgängigen Kommunikationslandschaft, mit der die Grundsätze von Industrie 4.0 auch für die Prozessindustrie Wirklichkeit werden.
Ethernet-APL ist auf dem Weg zu einem integrierten Bestandteil einer einheitlichen und durchgängigen Kommunikationslandschaft, mit der die Grundsätze von Industrie 4.0 auch für die Prozessindustrie Wirklichkeit werden.
(Bild: Pepperl+Fuchs)

Prozessanlagen haben in der Regel einen Lebenszyklus von mehreren Jahrzehnten. Oft handelt es sich um große Anlagen mit einer erheblichen geografischen Ausdehnung. Die Kommunikationsinfrastruktur muss hier nicht nur große Entfernungen überbrücken. Sie ist auch ständigen Witterungseinflüssen ausgesetzt und muss daher besonders robust ausgelegt sein. Dazu kommen nicht selten hohe elektromagnetische Einflüsse und/oder explosionsgefährdete Bereiche, die ganz spezielle Anforderungen an die Infrastruktur-Komponenten mit sich bringen. Außerdem hat es sich bei Prozessanlagen als die beste Lösung herausgestellt, sowohl die Daten als auch die Stromversorgung der einzelnen Feldgeräte über ein und dasselbe Kabel zu führen.

Anlagenbetreiber haben daher gute Gründe, an Technologien festzuhalten, die sich schon seit vielen Jahren bewährt haben. Doch die technische Entwicklung ist auch im Prozessbereich nicht stehengeblieben. Die Folge davon ist, dass das Automatisierungssystem einer Anlage nicht selten aus mehreren Systemen mit unterschiedlichen Kommunikationstechniken besteht, die nach unterschiedlichen Normen arbeiten und über Gateways miteinander kommunizieren. Engineering, Betrieb und Maintenance einer solchen heterogenen Umgebung sind entsprechend komplex, und die Datenkommunikation ist mit zahlreichen Einschränkungen verbunden. So sorgen unterschiedliche Datenformate immer wieder dafür, dass Feldgeräte nur unvollkommen mit dem System kommunizieren können und damit vorhandene Informationen ungenutzt bleiben.

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Diese oft historisch bedingte Situation erfordert auch zahlreiche zeitraubende manuelle Prozesse bei der Konzeption, Implementierung, Modifikation und Erweiterung einer Prozessanlage. Technische Probleme lassen sich oft nur direkt vor Ort beurteilen. Der Austausch defekter Geräte erfordert eine zeitraubende Kalibrierung und Parametrierung, und eine präventive Wartung ist extrem erschwert. An die Umsetzung effizienter Wartungskonzepte ist unter solchen Bedingungen kaum zu denken.

Auch in der Prozessindustrie gilt Big Data als der entscheidende Schlüssel zu mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit einer Anlage. Umso bedenklicher ist es, dass bei der Big-Data-Analyse derzeit rund 60 Prozent des Zeitaufwandes keinen eigentlichen Nutzen bringen, sondern allein für Erfassung, Aufbereitung und Verarbeitung der Daten benötigt werden. Dabei sollten in der digitalen Welt von heute Daten eigentlich so problemlos zur Verfügung stehen wie Strom aus der Steckdose. Die Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die ständig erzeugten Prozessdaten der einzelnen Sensoren, Aktoren und Messgeräte im Feld lückenlos erfasst und zentral an einer Stelle bereitgestellt werden. Diese werden zwar von modernen Feldgeräten durchaus zur Verfügung gestellt. Doch innerhalb der heutigen Systemumgebungen erfordert es meist einen sehr hohen technischen Aufwand, um darauf zugreifen zu können. Nicht selten ist es sogar völlig unmöglich.

Ethernet-APL ist der Schlüssel zu einer neuartigen, flachen Kommunikationsinfrastruktur im Prozessbereich. Sie steht im Gegensatz zu den hierarchisch strukturierten Systemumgebungen heutiger Anlagen und erlaubt den ungehinderten Zugriff auf sämtliche Prozessdaten bis hinunter zu jedem einzelnen Feldgerät. Außerdem erlauben Ethernet-APL-Feldgeräte und andere Infrastruktur-Komponenten einen Zugriff unabhängig vom laufenden Prozess und sind in der Lage, auch direkt untereinander zu kommunizieren. Prozessdaten sind damit uneingeschränkt verfügbar. Big Data-Anwendungen können aus dem Vollen schöpfen und scheitern nicht mehr an der Verfügbarkeit des erforderlichen Datenmaterials.

Den Anstoß zur Entwicklung von Ethernet-APL gaben im Wesentlichen zwei Organisationen. Das Open Process Automation Forum hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine völlig neue Systemarchitektur für die Prozessindustrie zu entwickeln. Die Namur Open Architecture (NOA) hingegen suchte nach Wegen, um Prozessdaten aus dem Automationssystem für Zwecke der Wartung und Optimierung der Anlage nutzbar zu machen, ohne damit den laufenden Prozessablauf zu beeinflussen.

Zur Vision beider Initiativen gehörte eine Lösung, die völlig ohne Gateways zwischen einzelnen Netzwerken oder Feldbussen auskommt. Die von den einzelnen Feldgeräten bereitgestellten Prozess- sowie Status- und Zustandsdaten sollten darüber hinaus jederzeit offen zugänglich sein. Eine neue Generation von Feldgeräten sollte auf der einen Seite die Nutzung unterschiedlicher Kommunikationsprotokolle passend zur jeweiligen Applikation ermöglichen. Auf der anderen Seite ging es um Übertragungswege mit hoher Bandbreite, die einen schnellen Zugriff auf die Feldgeräte ermöglichen und damit völlig neue Anwendungen eröffneten.

Der Weg zu Ethernet-APL begann 2011 mit einer Konferenz führender Anbieter von Komponenten und Systemen für die Prozessindustrie. Dabei stellte sich schnell heraus, dass alle Teilnehmer eigentlich von derselben Vision angetrieben wurden. Das erklärte Ziel war eine offene Lösung, die uneingeschränkte Interoperabilität gewährleistete und Schluss mit der Komplexität und den Einschränkungen der bestehenden Systemwelt machte.

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Es ging um nichts Geringeres als einen neuen Standard, der nicht nur uneingeschränkte Transparenz bieten würde, sondern auch hohe Übertragungsraten ermöglichte. Außerdem sollte die Zündschutzart Eigensicherheit für explosionsgefährdete Bereiche ermöglicht und das bewährte Prinzip beibehalten werden, sowohl Daten als auch die Energie zum Betrieb der Feldgeräte über große Entfernungen zu übertragen.

Ein erster Demonstrator wurde 2015 vorgestellt. Mit diesem Aufbau wurde nachgewiesen, dass Ethernet-APL tatsächlich in der Lage war, Daten und elektrische Energie über 2-adrige Kabel und große Entfernungen zu übertragen.

Im Jahr 2018 demonstrierten die drei führenden Anwenderorganisationen im Prozessbereich, dass sie uneingeschränkt hinter Ethernet-APL standen. Auf einer gemeinsamen Präsentation von Profibus International, ODVA und der Field Comm Group wurden erstmals praktische Lösungen präsentiert, um die Fähigkeiten von Ethernet-APL zu zeigen und die neue Technologie als den künftigen Standard in der Prozessautomation zu positionieren. Darüber hinaus wurden Migrationswege aufgezeigt, die einen einfachen Übergang von der aktuellen heterogenen Systemwelt in die digitale Zukunft ermöglichten.

Teil des allgegenwärtigen Netzwerkstandards

Wie der Name schon andeutet, baut Ethernet-APL auf dem absoluten Weltstandard in der Datenübertragung auf. Ethernet wurde bereits 1973 eingeführt und hat sich seitdem zur allgegenwärtigen Übertragungstechnik entwickelt, die man im privaten Bereich genauso findet wie im administrativen Bereich von Unternehmen weltweit. Die Informationstechnologie von heute ist ohne Ethernet nicht mehr vorstellbar und in Form des Industrial Ethernet hat der Standard längst auch in der Fabrikautomation Einzug gehalten.

Bisher sind Prozessanlagen mehr oder weniger Insellösungen, die nur wenige Schnittstellen zur Informationstechnologie des Unternehmens bieten, von dem sie betrieben werden. Das bringt zahlreiche Einschränkungen mit sich, die mit dem auf dem weltweiten Ethernet-Standard beruhende Ethernet-APL aufgehoben werden. Der Zusatz APL steht dabei für Advanced Physical Layer und bezeichnet eine physikalische Ebene zur Übertragung von Daten und elektrischer Energie über 2-adrige Kabel und Entfernungen bis zu 1000 Metern.

Damit wird Ethernet-APL zu einem integrierten Bestandteil einer einheitlichen und durchgängigen Kommunikationslandschaft, mit der die Grundsätze von Industrie 4.0 auch für die Prozessindustrie Wirklichkeit werden. Schließlich steht Ethernet hinter dem Internet der Dinge genauso, wie hinter Big Data, der Cloud, der allgegenwärtigen Mobilkommunikation und dem Internet.

Die Vision der treibenden Kräfte hinter Ethernet-APL schließt auch konkrete Anforderungen an Ethernet-APL-fähige Feldgeräte und Infrastruktur-Komponenten ein. Das Prinzip beruht dabei auf in sich geschlossenen Feldgeräten, die sich problemlos und ohne hohen Anpassungsaufwand in jede Systemumgebung einfügen lassen. Solche Geräte kann die Anlagensteuerung automatisch erkennen und einbinden.

Neue Feldgeräte für völlig neue Möglichkeiten

Bei der Inbetriebnahme erhält das Neugerät seine Konfiguration vom Engineering-System. Gleichermaßen übernimmt ein Ersatzgerät bei einem Austausch die bei der Inbetriebnahme der Anlage erstellte Konfiguration automatisch.

Da Ethernet-APL-fähige Feldgeräte kein Gateway erfordern, um mit dem Automationssystem kommunizieren zu können, gibt es auch keine Einschränkungen bei der Datenübertragung mehr. Stattdessen besteht der uneingeschränkte Zugriff auf sämtliche Prozess- und Statusdaten, die vom jeweiligen Gerät bereitgestellt werden. Diese können nicht nur für eine effiziente Prozesssteuerung genutzt werden. Sie stehen auch für Wartungsaufgaben und Big-Data-Anwendungen zur Verfügung.

Neu ist auch, dass die Gerätebeschreibung und die gesamte technische Dokumentation des Feldgeräts direkt in das Gerät selbst eingebettet sind. Dadurch entfällt die Notwendigkeit, Treiber und Geräteinformationen erst mühsam im Internet suchen und herunterladen zu müssen, was die Systementwicklung und Inbetriebnahme eines Automationssystems entscheidend beschleunigt.

Durch die Ethernet-konforme Datenübertragung völlig unabhängig von der laufenden Prozesssteuerung ist erstmals auch der direkte Zugriff auf Feldgeräte-Daten von jedem Standort aus möglich. Das beschleunigt nicht nur die Wartung und Eingrenzung von Fehlerursachen. Es erlaubt auch vorbeugende Wartungskonzepte, die entscheidend zur Verfügbarkeit der Prozessanlage betragen können. Und es ermöglicht eine Fülle neuartiger Anwendungen, die der Prozessindustrie völlig neue Impulse geben werden.

* Der Autor ist Produkt Marketing Manager bei Pepperl+Fuchs SE, Mannheim.

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