Drahtlose Kommunikation 5G hebt mobiles Arbeiten an Chemiestandorten auf neues Niveau

Von Sabine Mühlenkamp |

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Schon länger spielt die drahtlose Kommunikation eine große Rolle an Chemiestandorten. Smartphones, Tablets oder Datenbrillen erleichtern beispielsweise Wartungsaufgaben erheblich. Mit 5G und Campus-Netzwerken bekommen Wireless-Anwendungen einen neuen Schub.

Beim Tankcontainerlager der BASF in Ludwigshafen handelt es sich um ein vollautomatisches Freilager für flüssige Stoffe und flüssige Abfällen. Der Warenumschlag kann über AGV (Automated Guided Vehicle, im Bild vorne), Lkw und Bahn erfolgen.
Beim Tankcontainerlager der BASF in Ludwigshafen handelt es sich um ein vollautomatisches Freilager für flüssige Stoffe und flüssige Abfällen. Der Warenumschlag kann über AGV (Automated Guided Vehicle, im Bild vorne), Lkw und Bahn erfolgen.
(Bild: BASF)

Im Gegensatz zu bisher existierenden Mobilfunknetzwerken zielt 5G vor allem auf industrielle Anwendungen, also selbstfahrende Fahrzeuge, autonome Roboter sowie vollständig automatisierte Produktionsprozesse. Im Unterschied zum privaten Mobilfunknetz spielen in der Industrie Zuverlässigkeit, minimale Antwortzeiten (Latenz) oder die massive Bandbreite auf engem Raum eine entscheidende Rolle. Es wäre wohl nicht praktikabel, wenn ein Instandhalter auf dem weitläufigen Areal eines Chemiestandortes erst einmal einen idealen Standort für die mobile Datenübertragung sucht.

Vor allem die Idee des Campus-Netzwerkes hat einigen Charme. Ein wichtiger Pluspunkt: die Daten bleiben innerhalb dieses Netzwerkes. Daher haben sich vor einigen Jahren große Industrieunternehmen in Deutschland auf den Weg gemacht, sich die entsprechenden Frequenzen zu sichern. Die Bundesnetzagentur hat für die Nutzung an lokalen Industriestandorten die dafür nötigen Bandbreiten reserviert.

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Herausforderungen, aber auch neue Möglichkeiten

Größtes Hindernis, aber zugleich eine Chance: die Technologie steckt noch in ihren Anfängen. Nicht alle Versionen von 5G, deren Releases sich zudem noch in unterschiedlichen Veröffentlichungsstadien befinden, sind für alle Anwendungen gleich interessant. Während eMBB (Enhanced Mobile Broadband) sich für hochauflösendes Videostreaming eignet, ist uRLLC (Ultra Reliable Low-Latency Communications) für Anwendungen interessant, die einen hohen Determinismus erfordern, wie das autonome Fahren. MMTC (Massive Mobile Maschine Type Communications) adressiert wiederum flächendeckende Abdeckungen auch in Innenräumen mit sehr vielen Geräten. Aber auch darüber hinaus sind noch einige Fragen ungeklärt, etwa bei Komponenten, Zulassungen, Frequenzen und schlicht dem Return of Investment. Dennoch kommen bereits die ersten Geräte auf den Markt.

Die Industrie macht sich auf den Weg

Dennoch machen sich bereits mehrere Unternehmen auf den Weg, so hat Siemens ein prototypisches 5G-Ökosystem aufgebaut, in dem zum Beispiel auch Migrationsstrategien zu bestehenden WLAN-Lösungen entwickelt werden. Auch der Blick auf die Automobilindustrie lohnt sich. Vergangenes Jahr baute Audi ein 5G-Netzwerk in seinem Batterietechnikum auf. Die Bilanz in dieser Prototypenfertigung fiel sehr positiv aus. Beispielsweise hat Wifi generell ein Problem bei der Datenübertragung in Fertigungszellen aufgrund des Faradayschen Käfigs. Doch das Metall bereitete 5G keinerlei Schwierigkeit. Da normalerweise bis zu 50 GB an Daten pro Fahrzeug während des Fertigungsflusses ins Auto transferiert werden, spart 5G hier extrem viel Zeit.

Neben den traditionellen industriellen Anwendungen für drahtlose Konnektivität wie mobiles Arbeiten, Remote Assistance und dynamische Sensorik öffnen die von 5G versprochene zusätzlichen Funktionen die Tür zu neuen industriellen Anwendungen. Zwar gebe es einige Herausforderungen, wie die Verfügbarkeit von 5G-Geräten und das Training des Personals, aber bei Audi gibt man sich zuversichtlich, dass solche Aspekte bald der Vergangenheit angehören.

Erste Gehversuche mit 5G an Chemiestandorten

Und wie sieht es an den großen Chemiestandorten aus? Schließlich sorgt das viele Metall, das in den Anlagen verbaut ist, für zusätzliche Herausforderungen. Dr.-Ing. Pietro Valsecchi, Operation Excellence bei Covestro Deutschland, der zugleich den Namur-Arbeitskreis 4.15 „Mobile Automation“ leitet, berichtet von den bisherigen Erfahrungen am Covestro-Standort Antwerpen: „Die Erwartungen sind riesig, weil 5G tatsächlich für die Industrie entwickelt wurde. Die bisherigen Lösungen, wie LTE oder 4G, adressieren hauptsächlich den Consumer-Bereich.“

Noch fehlt der Return of Invest

Bei Covestro in Antwerpen wurde zunächst ein Proof-of-Concept für 5G erarbeitet. Im ersten Schritt geht es zum Beispiel um die automatische Erkennung von Geräten und Komponenten durch RFID/QR, um relevante Daten direkt über mobile Endgeräte auszulesen, oder um Remote Assistance-Anwendungen, wobei Arbeiten oder Inspektionen in einer Anlage via Videochat-Unterstützung durchgeführt werden. Aber: „Man muss klar sagen, dass sich solche Aufgaben im Prinzip auch mit der aktuellen Technologie, wie WLAN oder 4G/LTE, erledigen lassen“, so Valsecchi. „Hier fehlt noch der Return-of-Investment für den Einsatz von 5G. Dies liegt aber auch daran, dass die begrenzte Verfügbarkeit der Hardware aktuell noch keine richtigen Testanwendungen erlaubt.“

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Europa ist sich bei 5G ganz und gar nicht einig

Für Chemie-Unternehmen mit mehreren europäischen Standorten sieht Valsecchi noch eine weitere Herausforderung: In Deutschland darf man Frequenzen im 5G-Netz erwerben, in Belgien, Spanien und Italien zum Beispiel muss man sich dafür an einen Netzbetreiber wenden und in anderen europäischen Ländern wiederum hat man sich darüber noch keine abschließenden Gedanken gemacht. „Hier fehlt eine homogene europäische Regelung für die Verwaltung der 5G-Frequenzen“, mahnt Valsecchi.

In fünf Jahren wird die 5G-Welt anders aussehen.

Dennoch werde die 5G-Welt in fünf Jahren anders aussehen, ist Valsecchi überzeugt. Denkbar sei beispielsweise, dass durch die geringe Latenzzeit von 5G die Einführung von Autonomous Robots vereinfacht wird. Ein Beispiel sind Drohnen, die Rohrleitungen auf Leckagen überprüfen. Generell werden durch die massive Erhöhung der Bandbreite und die höhere Anzahl der angeschlossenen Geräte mehr IoT-Anwendungen auf der Produktionsfläche möglich sein. So ist eine Verlagerung von komplexen Modellierungen bei Prozessen über Distributed Edge Computing möglich, die Ergebnisse könnten schneller ausgewertet und auf die Prozess-Fahrweise übertragen werden.

Die bisherige Zurückhaltung der Branche begründet Valsecchi neben der begrenzten Reife der 5G-Technologie vor allem mit dem derzeitigem Mangel an überzeugenden ROIs. „Aber wir befinden uns auch noch in einem sehr frühen Stadium“, so Valsecchi abschließend. „Das wird sich sehr schnell ändern.“

Neues Logistikkonzept dank 5G

Auch bei der BASF sieht man den Aufbau und Betrieb eines eigenen 5G-Campus-Netzwerkes als wesentlichen Baustein für die digitale Transformation. „Es ist für uns essenziell wichtig, dass wir unabhängig von den großen Mobilfunkbetreibern unsere eigenen Netze im Griff haben. Denn nur so können wir die Vertraulichkeit, die Verfügbarkeit und die Integrität unserer Daten sicherstellen, so Martin Schwibach, Director Connectivity bei BASF. „5G wird hundertmal schneller sein als 4G und bis zu 20 Gigabit an Übertragungsrate bieten. Dadurch werden auch Echtzeitanwendungen in der Industrie in der Digitalisierung möglich.“

Wie die Infrastruktur für das zukünftige 5G-Netz genau auszusehen hat, wird ebenfalls im Rahmen eines Pilotprojektes am BASF-Standort Ludwigshafen erarbeitet. Beispiele für den Einsatz von 5G sind Assistenzsysteme für mobiles Arbeiten, der Einsatz von Drohnen oder Remote-Operation-Systemen – das heißt Systemen für Fernzugriff und -bedienung. Dies verspricht vor allem für die Instandhaltung der Anlagen und Maschinen einen großen Nutzen.

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Zusätzlich wird 5G für den Betrieb von selbstfahrenden Schwerlast-Fahrzeugen auf dem BASF-Gelände in Ludwigshafen benötigt. Die autonomen Fahrzeuge sind bereits heute Teil eines integrierten Lager- und Transportkonzepts, das die Logistikkosten am Standort deutlich reduziert. Immerhin beträgt das Transportvolumen hier in Ludwigshafen rund 20 Millionen Tonnen pro Jahr. Um die Sicherheit zu gewährleisten, werden sie über eine zentrale Leitstelle überwacht. Dazu müssen viele Daten wie Videobilder in Echtzeit übertragen werden. Diese Automated Guided Vehicles werden zukünftig einen Großteil der heute im internen Werksverkehr eingesetzten Eisenbahnkesselwagen ersetzen. Der Vorteil: bis zu vier Tage Transportzeit können im Vergleich zum Transport mit Kesselwagen eingespart werden.

Fazit und Ausblick: Unabhängig davon, ob für Drohnen, Cloud Computing, autonome Fahrzeuge, Hololens oder generell einen schnelleren Datenaustausch zum effektiveren Arbeiten – eine schnelle 5G-Datenverbindung wird für diese Anwendungen zum Schlüsselfaktor. Denn in Zukunft werden Verfügbarkeit und Latenz, Transferraten, Teilnehmerdichte etc. über den Erfolg eines innovativen Use Cases entscheiden. Dabei bieten eigene Campusnetze vor allem Vorteile hinsichtlich der Datenhoheit. Selbst wenn so manche Anwendung noch wie Zukunftsmusik erscheint – die Entwicklungen in diesem Bereich schreiten rasant voran. Es lohnt sich also, sich mit dem Thema bereits heute zu beschäftigen.

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