Verzögerungen im Anlagenbau: Genehmigungsrecht Schneller zur Chemie: Wenn der Anlagenbau mal wieder länger dauert…

Von Dominik Stephan

Dauert das wieder: Dass die Industrie über lange und umständliche Genehmigungsverfahren klagt, ist nichts Neues. Der Trend zu immer längeren Prozessen, Abstimmungen und Bürgerbeteiligungen müsse sich endlich umkehren, erklärt der VCI. Sonst blieben nicht nur große Investitionsprojekte auf der Strecke, sondern mit etwas Pech auch der Klimaschutz.

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Wenn es mit dem Bauprojekt mal wieder längert dauert... ist nicht unbedingt der Anlagenbauer schuld, meint der VCI. Der Verband macht sich mit einem Neun-Punkte-Papier für schnellere Zulassungsverfahren für Industrieanlagen stark.
Wenn es mit dem Bauprojekt mal wieder längert dauert... ist nicht unbedingt der Anlagenbauer schuld, meint der VCI. Der Verband macht sich mit einem Neun-Punkte-Papier für schnellere Zulassungsverfahren für Industrieanlagen stark.
(Bild: VCI/Thomas Koculak)

Eine einzelne Chemieanlage soll soviel CO2 einsparen, wie es die Einführung eines Tempolimits oder das Verbot von Inlandsflügen zusammen nicht könnten: Das Projekt des elektrischen Steamcrackers der BASF soll zeigen, das Basischemie und Defossilierung zusammen passen können. Doch bevor der „Elektrik-Trick“ der Ludwigshafener so richtig zündet, muss die Anlage erst einmal geplant und gebaut werden – aber bevor die Bagger rollen, müssen natürlich alle genehmigungsrechtlichen Fragen geklärt sein. Soweit, so verständlich. Doch brauchen Genehmigung, Einsichten, Abstimmungen und Öffentlichkeitsbefragung lange. Zu lange – sagt der VCI. Die Folgen sind beträchtlich: So kommt eine Studie des IW Köln zu dem Schluss, dass eine Verzögerung von einem einzigen Jahr bei der Elektrifizierung eines großen Steamcrackers zusätzliche Emissionen in Höhe von rund vier Millionen Tonnen CO2 verursacht.

Das Argument ist neu –das die Industrie für schnelle und einfachere Genehmigungsprozesse eintritt, überrascht nicht. Schon eher die Bedeutung, die VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup dem Thema Zulassungsverfahren bei der Defossilierung der Industrie beimisst: „Mit Genehmigungsverfahren von gestern können wir das Morgen nicht klimaneutral gestalten. Wir müssen uns jetzt die Zukunft genehmigen.“ Denn der Umbau der Wirtschaft in Richtung Treibhausgasneutralität wird aller Voraussicht nach eine Vielzahl an neuen Investitions-, Moderniesierungs-, Bau- und Infrastrukturprojekten mit entsprechenden Genehmigungsverfahren bedeuten.

Daher dürfe der Fokus der Politik nicht alleine auf der Erzeugung regenerativer Energie aus Wind- oder PV-Strom liegen: „Was für Windräder, Stromtrassen und Solarparks gilt, muss für alle nachgelagerten Wertschöpfungsketten und daher auch für alle Industrie-anlagen gelten“, erklärte Große Entrup in Frankfurt. „Hierzu brauchen wir noch in diesem Jahr dringend ein Beschleunigungsgesetz für Planungs- und Genehmigungsverfahren, das auch Anlagen in der Industrie einschließt. Grüner Strom allein macht noch keinen Klimaschutz.“

Warum dauert das Anlagenprojekt so lange?

Dabei könnten schon etwa vereinfachte Vertragsabschlüsse erhebliche wirtschaftliche Effekte haben: Schon eine Verkürzung um einen Tag bei der Durchsetzung eines Vertrages kann mit etwa 1,3 Milliarden Euro zusätzlich zum BIP beitragen, erklärt das Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Der Chemieverband hatte vergangenes Jahr die Kölner mit einer Untersuchung zu den Folgekosten langer Abstimmungsprozesse beauftragt.

Das Ergebnis: Verkürzte man die erforderliche Zeit zur Durchsetzung eines Vertrages von zuletzt im Schnitt 499 Tagen um 10 Prozent auf 450 Tage, dürfte sich das BIP über 66 Milliarden zusätzlich freuen. „Der hohe bürokratische Aufwand bedeutet für unsere Wirtschaft international einen enormen Wettbewerbsnachteil“, erklärt IW-Direktor Michael Hüther. Gleichzeitig sei es von elementarer Bedeutung, Planungs- und Genehmigungsverfahren effizienter zu gestalten.

Rund 1.500 Verfahren zu Industrieanlagen auf Basis des Bundesimmissionsschutzgesetzes werden nach Kenntnis des IW pro Jahr in Deutschland abgewickelt. Solche Verfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung dauern bis zur Genehmigung in der Regel fünf bis acht Jahre. Mit Blick auf die Länge der Verfahren bekräftigt Hüther: „Das ist fatal, denn zu den Anlagen zählen auch solche, die für die Dekarbonisierung der deutschen Industrie unverzichtbar sind.“ Ins gleiche Horn stößt Große Entrup, der eine ‚Allianz des Wollens‘ zwischen Bund, Ländern, Gesellschaft und Industrie beschwört. Zur Umsetzung dieser Pläne hat der VCI auch gleich ein Neun-Punkte-Papier mehr oder weniger konkreter Forderungen, Anregungen und Maßnahmen mitgebracht.

Die Chemie lässt sich (ein bisschen) in die Karten schauen

Und auch, wenn die Chemie sicher manches Mal über die Bedenken engagierter Bürgerinnen und Bürger den Kopf schüttelt: Prinzipiell bekennt sich die Branche zur Beteiligung der Öffentlichkeit – allerdings nicht ohne ein Aber: Derartige Beteiligungsverfahren dürften nicht zum Verzögern oder Ausbremsen von Investitionsprojekten führen. Und sie müssten straffer und zielgerichteter werden, erklärt Große_Entrup. Konkret schlägt der VCI daher eine Beteiligung für die betroffene Öffentlichkeit vor und empfiehlt, den Umfang der auszulegenden Unterlagen auf ein rechtssicheres Maß zurückzuführen. Ziel könnte ein verständlicher Bürgerbericht sein, so der Chemieverband.

Geht es nach der Chemie, sollten unmittelbar räumlich Betroffene also durchaus Gehör finde, aber nicht weit entfernte hauptberufliche Bedenkenträger. Auch den in Deutschland erforderlichen Erörterungstermin könne man sich sparen, da er europarechtlich nicht gefordert ist und in der Praxis regelmäßig ergebnislos verläuft. Schließlich sei das rechtliche Instrumentarium für eine frühest-mögliche und intensive Öffentlichkeitsbeteiligung nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz bereits vorhanden.

Und – ein Punkt der der technologieaffinen Chemie mit ihren hochspezialiserten Produktionsverfahren und Rezepturen ein zentrales Anliegen ist – bei aller Transparenz müssten Betriebsgeheimnisse gewahrt bleiben. So könne man einem Know-how-Diebstahl könnte man vorbeugen, indem Behörden beispielsweise auf Kopier-, Weiterleitungs- oder Download-Möglichkeiten verzichten oder Dokumente verschlüsselt werden.

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Stefan Altenschmidt von der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft in Düsseldorf, der den VCI in dieser Sache berät, befürwortet eine vollständige Digitalisierung der Öffentlichkeitsbeteiligung. Er betont aber: „Um die Interessen am Geheimnisschutz und an einer stärkeren Digitalisierung der Öffentlichkeitsbeteiligung zu versöhnen, könnte das im staatlichen Geheimnisschutz etablierte in-camera-Verfahren genutzt werden.“ Bei diesem Verfahren prüfen drei zur Verschwiegenheit verpflichtete Richter die Berechtigung des geltend gemachten Geheimnisschutzes. In Verbindung mit einer kurzen Entscheidungsfrist von zwei Monaten könne hierdurch allen betroffenen Interessen entsprochen werden.

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Ebenfalls auf der Wunschliste der Industrie: Eine Digitalisierungsoffensive, flankiert von einer Einstellungs- und Qualifikationsinitiative in den Behörden. Auch müsse überkomplexe Bürokratie abgebaut werden. Das könne gelingen, wenn jede neu geplante gesetzliche Regelung einen ‚Transformations-Check‘ bestehen muss, der kritisch hinterfragt, ob sie Prozesse beschleunigt oder behindert. Auch Doppelregelungen und Widersprüche seien zu beseitigen.

Auf den Prüfstand sollten dabei auch gleich so unbestimmte Rechtsbegriffe wie „zumutbar“ und „verhältnismäßig“, um teure Gutachten zu vermeiden und Behörden bei der Entscheidungsfindung klarere Hilfestellungen zu geben. Auch das Verbandsklagerecht würde der VCI anpassen, indem als erste Instanz gleich Oberverwaltungsgerichte bei industriellen Großvorhaben zuständig sein sollten. Darüber hinaus mahnt der VCI-Hauptgeschäftsführer, dass Deutschland die europäische Gesetzgebung deutlich stärker in die Pflicht nehmen muss: „Wir machen uns große Sorgen, dass die Vielzahl neuer Maßnahmen, die auf dem Green Deal aufbauen, die deutschen Beschleunigungspläne extrem konterkarieren.“

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