Biopharmaproduktion Gentherapie als Gamechanger – Wie werden in Zukunft Medikamente hergestellt?

Autor Anke Geipel-Kern |

In der Biopharmaproduktion werden die Karten neu gemischt. Die neuen Zell- und Gentherapien verändern Produktionsprozesse, aber noch keiner weiß wie.

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Wie werden die neuen innovativen Zell- und Gentherapien in Zukunft industriell produziert? Momentan ist noch viel Handarbeit dabei.
Wie werden die neuen innovativen Zell- und Gentherapien in Zukunft industriell produziert? Momentan ist noch viel Handarbeit dabei.
(Bild: ©BillionPhotos.com - stock.adobe.com)

Der Markt für Biopharmazeutika boomt, vor allem in der Onkologie. Und tatsächlich, lange waren monoklonale Antikörper das Nonplusultra in der Biopharmazie - galten als die Arzneimittelinnovation schlechthin. Doch dann kam Mitte des Jahres das Gentherapeutikum Zolgensma auf den Markt und damit ein echter Gamechanger: Hoffnungsschimmer für Eltern, deren Kinder an der spinalen Muskelatrophie leiden. Der genetische Defekt zerstört die Motoneurone im Rückenmark erzeugt viel Leid und hat grausame Folgen. Die Kinder sterben meist bevor sie das dritte Lebensjahr erreichen.

Zolgensma markiert eine Zeitenwende

Zolgensma basiert wie alle Gentherapeutika auf einer ebenso einfachen wie genialen Idee: Der Reparatur des defekten DNS-Strangs. Der Novartis-Wirkstoff fungiert dabei als Genfähre, die eine korrekte Kopie des defekten Gens in die DNS des Kindes schleust und so das zerstörerische Wirken ausschaltet. Mit der Therapie markiert Novartis eine Zeitenwende. Der Konzern zeigt damit, dass Gentherapie funktioniert und ein Zulassungsprozedere überstehen kann. Genau daran waren vorherige Anträge nämlich gescheitert - zu viele Nebenwirkungen, zu wenig nachhaltiger Heilungserfolg.

Gentherapie wirkt, aber wie stellt man die Wirkstoffe her?

Doch die Frage, wie die Schweizer eine weitere Herausforderung gelöst haben, bleibt bisher unbeantwortet. Zolgensma wirkt zwar, aber wie wird es hergestellt? Und vor allen Dingen in welchen Mengen? Diese Fragen bewegen auch Uwe Gottschalk, den Chief Scientific Officer von Lonza. Der Schweizer Contract Manufacturer hat sich auf die Auftragsproduktion biopharmazeutischer Wirkstoffe spezialisiert und muss Produktionsanlagen vorhalten, um die Marktanforderungen zufrieden stellen zu können. Momentan werde viel in Biotechkapazitäten investiert, sagt Gottschalk. Lonza macht da keine Ausnahme. 400 Millionen Euro fließen momentan nach Visp in das Ibex-Projekt, das von der Präklinik bis zum Produktionsmaßstab alle Kapazitätswünsche abdecken kann. Der Lonza-CSO hat also schon von Berufs wegen ein Auge auf die aktuellen Entwicklungen, die nicht nur neue Wettbewerber auf den Plan rufen könnten sondern auch neue Anforderungen an Equipment und Produktionsmethoden.

Es geht um mehr als um Edelstahl oder Single-Use

Gottschalk ist seit über 20 Jahren im Geschäft und hat Technologietrends kommen und gehen sehen. Dieses Mal geht es aber nicht um Single Use oder Wettbewerber aus Indien und Asien, die Biosimilars herstellen. Es geht um neue Therapieoptionen, die, wenn sie in großem Stil auf die Märkte drängen, bisherige Herstellmethode überflüssig machen könnten.

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Mehr als 500 Unternehmen beschäftigen sich mit entsprechenden Entwicklungen, hat Frost & Sullivan ermittelt. Mindestens 300 Zell- und Gentherapeutische Methoden befinden sich momentan in den verschiedenen Phasen der klinischen Prüfung, sagte Gottschalk in seinem Vortrag auf dem Biopharmaforum von Zeta im März diesen Jahres. Die Liste der FDA an zugelassenen Zell- und Gentherapeutika umfasst derzeit zehn Produktnamen, darunter das bereits erwähnte Zolgensma.

„Wir bewegen uns in einem disruptiven Markt,", sagt Gottschalk. Dabei geht es für die Hersteller um viel Geld. Frost & Sullivan rechnet mit einer kumulierten jährlichen Wachstumsrate des Zelltherapiemarktes von 14,9 %. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das einen Anstieg von 2,70 Milliarden US-Dollar in 2017 auf 8,21 Milliarden US-Dollar in 2025.

Vor allem Einweg-Fertigungstechniken sehen die Autoren des jüngsten Frost & Sullivan Reports weiter im Aufwind, da damit „die Produktion kleiner Mengen hochwertiger neuartiger Zelltherapien optimiert und somit die Markteinführungszeit drastisch verkürzt“ werden kann.

Individualisierte Therapie ist die neue Realität

Doch der Boom könnte jäh gebremst werden, bevor er richtig anspringt, wenn es nicht gelingt die nötigen industriellen Produktionsmethoden zu entwickeln. Und genau danach sieht es momentan aus. In der neuen Realität der Pharmaindustrie spiele die individualisierte Medizin die entscheidende Rolle, sagte Pharmaspezialist Gert Moelgaardt auf dem Zeta-Symposion vor mehr als 150 Teilnehmern.

Paradebeispiel dafür ist die Car-T-Zelltherapie. Auch hier hat Novartis momentan die Nase vorn. Kymriah heißt das im letzten Jahr zugelassene Medikament, das eine besonders aggressive Leukämieform behandeln soll. Dabei werden die T-Zellen dem Patienten entnommen, genetisch so modifiziert, dass die Immunzellen die Krebszellen finden und attackieren können.

Die aufbereitete T-Zell-Supension wird danach mit einer einmaligen Infusion verabreicht. Die Therapie habe gute Responses, sagt Novartis und biete eine echte Überlebenschance für austherapierte Leukämiepatienten.

Noch fehlt ein industrieller Herstellprozess für die neuen Therapien

Das Ganze hat laut Moelgaard nur einen Haken: „Es gibt derzeit keinen industriellen Herstellprozess für modifizierte T-Zellen.“ Die Methode mit der die Car-T-Zellen momentan hergestellt werden ist hochgradig ineffizient, langwierig, teuer und beinhaltet viele manuelle Arbeitsschritte.

Momentan arbeitet Novartis mit dem deutschen Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie zusammen. Seit 2016, so ist der Webseite zu entnehmen, stellt die Hauptabteilung GMP Zell- und Gentherapie klinische Chargen für Novartis her, übergangsweise nun auch verschreibungspflichtige zugelassene T-Zelltherapien.

Allerdings arbeitet Novartis mit Hochdruck daran mit weiteren Kooperationen und Zukäufen seine eigene Zell- und Genproduktion auszubauen. U.a. verkündete Steffen Lang, Global Head of Technical Operations bei Novartis, in einer Pressemitteilung vom Dezember 2018, eine Übernahme des französischen Unternehmens „CellforCure“ als weiteren strategischen Schritt „auf dem Weg zu zusätzlichen Produktionskapazitäten“.

Alles schon mal dagewesen

Eine ähnliche Situation wie gerade bei der Car-T-Zell-Therapie haben Moelgaardt und Gottschalk übrigens schon einmal erlebt. Des blutbildende Erythropoetin, als Dopingmittel Epo häufig in den Schlagzeilen, konnte zu Beginn seiner Entwicklung nur in kleinem Maßstab in Rollerbottles hergestellt werden. Zum Erfolgswirkstoff wurde das Medikament erst zehn Jahre später, als die Biotechnologie begann gentechnisch modifizierte Mikroorganismen einzusetzen. Die nun mögliche Fermentation in großem Maßstab ließ damals die Herstellungskosten in den Keller stürzen und brachte den Durchbruch für neue Blutersatztherapie.

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