Biotechnologie Biotechnologie ist Querschnittstechnologie
Wohin wird sich die Biotechnologie entwickeln? Welche Rolle spielen Politik und Bevölkerung für die weitere Entwicklung der Biotechnologie in Deutschland und Europa. Über diese und weitere Fragen diskutierten Experten auf der Pressekonferenz European BioPerspectives.
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„Wir sind angekommen“, behauptete Prof. Alfred Pühler, Vorsitzender Biotechnologie der Dechema, gegenüber den Journalisten bei der Pressekonferenz European BioPerspectives, am 31. Mai in Köln. „Aufgebrochen sind wir vor 25 Jahren, um die Biotechnologie in Industrie, Medizin und Landwirtschaft einzuführen“, so Pühler. Was 1983 nicht mehr als eine Vision war, ist heute in vielen Bereichen Alltag. Gleichgültig ob weiße, rote oder grüne Biotechnologie, die BioTec-Experten auf dem Podium und die Teilnehmer der Pressekonferenz waren sich einig: Biotechnologisch hergestellte Produkte haben in unser Leben längst Einzug gehalten.
Obwohl in der Kosmetik, Medizin, Chemie- und Lebensmittelindustrie längst gang und gebe, stößt die Biotechnologie in der Bevölkerung und Politik nach wie vor auf Unsicherheit und Ablehnung. Damit Europa nicht den Anschluss an den BioTec-Markt verliert, ist es nach Ansicht von Dr. Christian Patermann, Europäische Kommission, Generaldirektor Forschung, unumgänglich, die Verbraucher in die Diskussion einzubeziehen: „Wir müssen mit der Bevölkerung zu einem informierten Dialog kommen.“ Das bedeutet konkret, die Menschen über die Entwicklungen und Möglichkeiten der Biotechnologie aller Couleur in Kenntnis zu setzen und eine Diskussion anzustoßen, damit Deutschland und Europa am kontinuierlich wachsenden Markt der Biotechnologie partizipieren.
Rasantes Wachstum
Der Markt wächst rasant. Biowissenschaften und -technologien erschließen beispielsweise erneuerbare Energiequellen – in Zeiten der Energieknappheit eine willkommene Alternative zu fossilen Energieträgern. Eine immer wichtigere Rolle spielen sie auch bei der Entwicklung neuer Arzneimittel, Therapien, Diagnosemethoden und Impfstoffe. Vor der chemischen Industrie machen sie ebenfalls nicht Halt: Enzyme für Waschmittel, Biopolymere und Feinchemikalien werden längst biotechnologisch hergestellt. Mit den Worten Dr. Bernward Garthoffs, Vorsitzender der deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB): „Die Biotechnologie ist eine Querschnittstechnologie. Ihre Wertschöpfungskette zieht sich durch viele Branchen und schließt alle Farben der Biotechnologie ein.“
Mikroorganismen halten Einzug
Starke Aktivitäten zeigen sich im Bereich der industriellen Biotechnologie. In den neuen Bundesländern engagieren sich viele Unternehmen im Bereich Biofuels. Es entstehen große Anlagen für Biodiesel und Bioethanol. „Auch kleinere Unternehmen investieren in den neuen Ländern. Sie bauen Biogasanlagen und betreiben diese auch“, beleuchtet Dr. Ulrich Behrendt, Vorstandsvorsitzender der Vereinigung deutscher Biotechnologie-Unternehmen (VBU), das aktuelle Szenario. Still und leise haben sich biotechnologische Verfahren schon längst in der Industrie breit gemacht. Ein Stillstand sei nicht in Sicht, im Gegenteil, meint Pühler: „Wir müssen die weiße Biotechnologie, also die industrielle Produktion mit Mikroorganismen, hervorheben. Wir hoffen, dass wir in Zukunft in der Produktion auf chemische Ausgangsstoffe zurückgreifen können, welche die Industrie über die Fermentation nachwachsender Rohstoffe erzeugt.“ So breiten sich biotechnologische Verfahren auch in der klassischen Chemie aus.
Hand in Hand
Großes Potenzial steckt nach Ansicht der Podiumsteilnehmer in der grünen Biotechnologie. Gentechnisch veränderter Mais, aus dem sich besonders effizient Bioethanol gewinnen lässt, kann für Deutschland einen großen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit darstellen. Zurzeit verwenden die Biospritproduzenten als Energiepflanzen noch Futterpflanzen. „Das muss sich zu Gunsten gentechnisch veränderter Pflanzen wandeln“, meint Garthoff. Bei der Herstellung von Biotreibstoff aus gentechnisch veränderter Pflanzen zeigt sich deutlich: Industrielle und landwirtschaftliche biotechnologische Verfahren sind oftmals nicht zu trennen – sie gehen Hand in Hand.
Gerade im Agrarsektor erfreuen sich transgene Pflanzen bei der Bevölkerung aber keiner großen Beliebtheit. Umfassende Informationen sollen künftig helfen, bei den Menschen mehr Verständnis zu wecken. Es ist klar, dass bei dem Nahrungsmittelüberschuss in Deutschland der Bürger nur schwer von gentechnisch veränderten Lebensmitteln zu überzeugen ist. „Bei Energiepflanzen sieht die Akzeptanz jedoch schon ganz anders aus“, ist sich Pühler sicher.
Keine europäische Entscheidung
Die Entwicklung der Biotechnologie in der Landwirtschaft wird sich nicht in Europa entscheiden. Für Länder in Asien sind ganz andere Fragen von Bedeutung als für die Europäer. Probleme wie die Vogelgrippe beispielsweise, die Vietnam, laut Behrendt, mit transgenen Pflanzen in den Griff bekommen will. „Die Vietnamesen wollen in die Pflanzen, die die Vögel fressen, ein Vakzin gegen die Vogelgrippe einbauen, um die Tiere zu impfen. Das werden wir nicht verhindern können.“
Von der Arroganz der Europäer war gar die Rede. Denn die Auswirkung des Klimawandels spüren vor allem Länder in Afrika und Asien. Für diese Länder können gentechnisch veränderte Pflanzen, die mit weniger Wasser auskommen, einen Ausweg aus der Nahrungsmittelknappheit bedeuten. Europa hat das Problem nicht, kann aber den betroffenen Ländern diese Entwicklung nicht verbieten – so der Tenor der Podiumsteilnehmer.
Quantensprünge
Rasante Entwicklungen und Neuorientierungen bahnen sich aber nicht nur in der Industrie und auf dem Acker an. Von einem Quantensprung, der zurzeit im Genomforschungssektor stattfindet, spricht Pühler: „Neue, hochparallele Sequenzierverfahren beschleunigen Sequenzierprojekte und verbilligen sie um das 20- bis 100-fache.“ Sollte diese Entwicklung anhalten, stehen dem einzelnen Menschen der individuellen Entschlüsselung seines Genoms nicht mehr als 1000 Dollar im Wege. Das bereitet den Weg für eine personalisierte Medizin, passend für jedes Individuum. Pühler ist zuversichtlich: „Das wird nicht schon heute sein, aber ich glaube, wir werden es noch erleben können.“
Hintergrund
BioTec-Zahlen: Eine Studie des DIB gemeinsam mit der Gewerkschaft IG BCE und der Hans-Böckler-Stiftung kommt zu dem Schluss, dass bis 2020 mehr Menschen einen Arbeitsplatz haben werden, der mit der Biotechnologie verknüpft ist, als es in der chemischen Industrie Beschäftigte geben wird. Das bedeutet in Zahlen: 369 000 bis 569 000 Arbeitsplätze mit Bezug zur Biotechnologie. Vorausgesetzt, diese Zukunftstechnologie setzt sich am deutschen Markt zügig durch. Bereits heute sind, laut DIB, zwischen 258 000 und 443 000 Arbeitsplätze direkt von der Biotechnologie beeinflusst. Dabei handelt es sich um Direktbeschäftigte in den Anwenderbereichen Chemie, Pharma, Lebensmittel, Landwirtschaft und Umwelttechnologie. Dazu kommt der Kernbereich der Biotechnolgie-Bereitstellung: Kleine und mittlere Betriebe, Universitäten, F&E-Einrichtungen, BioTec-Ausstatter, Pflanzenzucht. Zurzeit ist Europa mit 70 Prozent der globalen Produktion noch führend in BioTec- Schlüsselsektoren wie Chemie, Feinchemikalien und der Produktion industrieller Enzyme.
Die Autorin ist freie Mitarbeiterin bei PROCESS.
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