Namur-Hauptsitzung 2019 Namur-Hauptsitzung: Eine gute Verbindung bringt vieles in Gang …
… so auch in Bad Neuenahr, wo sich traditionell das Who-is-who der Prozessautomatisierungswelt traf. Im Mittelpunkt der diesjährigen Namur-Hauptsitzung mit 650 Teilnehmerinnen und Teilnehmern: das Thema Konnektivität. Im Vordergrund stand zwar die Vernetzung zwischen Feldgeräten, Leitsystemen und Cloud-Technologien, mindestens ebenso wichtig ist jedoch der persönliche Austausch zwischen Anwendern und Herstellern – nur so werden neue Ideen geboren.
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Bad Neuenahr; Würzburg – Verbindungen schaffen – das funktioniert zumindest bei der internationalen Zusammenarbeit der Namur sehr gut, die mittlerweile nicht nur auf europäischer Ebene, sondern z.B. auch in den USA und in China gut vernetzt ist.
Wie wichtig der gemeinsame Schulterschluss verschiedenster Industrie-Organisationen ist, zeigte sich erst jüngst beim Thema 5G, das als Enabler für die Digitalisierung in der Prozessindustrie gilt. „Es war uns wichtig, dass ein gewisses Band für Campusnetzwerke freigehalten wird. Etwa 25 % der Frequenzen werden nun zurückgehalten und nicht versteigert“, erklärte hierzu Dr. Felix Hanisch, Vorsitzender der Namur in seiner Eröffnungsrede. Doch 5G ist nur ein Aspekt, wenn es um den effizienten Austausch von Daten und Informationen in der Prozessindustrie geht.
Häufig geht es auch darum, wie verschiedene Ebenen miteinander reden. Auffälligstes Beispiel sind sicher die unterschiedlichen Vorstellungen zwischen IT und OT. Während bei der IT so gut wie alles irgendwie machbar ist, holt die OT diese Luftschlösser schnell auf den Boden der Tatsachen zurück, sprich in den Produktionsalltag. Manchmal allerdings zu schnell, wie inzwischen auch Anwender der Prozessindustrie zugeben.
Sichere und praxistaugliche Lösungen gesucht
Während für viele Unternehmen die Konnektivität immer noch ein Nebenschauplatz ist, gilt dies nicht für Phoenix Contact. Der diesjährige Sponsor bietet 60.000 Produkte, von der einfachen Reihenklemme bis zur kompletten Automatisierung an und ist quasi Experte, wenn es darum geht die richtige Verbindung zu schaffen.
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Meilenstein Interface-/Verbindungstechnik
Mit Inspiration und Innovationen begeistern
„Konnektivität ist unsere DNA – wir leben sie täglich. Markenzeichen einer DNA ist, dass diese sich positiv weiterentwickelt, und das tun wir“, eröffnete CEO Frank Stührenberg bestens gelaunt seinen Vortrag, der zeigte, wie das Unternehmen von der RWE Keramik-Reihenklemme 1928 ein breites Programm an Verbindungstechniken entwickelte. Dazu gehört mittlerweile auch die Leiterplattenanschlusstechnik, Interfacetechnik, Überspannungsschutz oder die Bustechnologie.
„Die steigende Vernetzung führte auch dazu, dass das Thema Sicherheit immer mehr in den Vordergrund rückt“, spannte Stührenberg den Bogen weiter. Heute sei Cyber Security ein wesentlicher Baustein, um die Vernetzung weiter voranzutreiben.“ Auch Roland Bent, CTO bei Phoenix Contact betonte, dass Konnektivität vielmehr als nur ein Strich auf dem Schaltplan sei. Schließlich gäbe es zig Schnittstellen und unterschiedliche Protokolle, die miteinander verbunden werden müssen. Und hier brauche es eben sichere und praxistaugliche Lösungen.
Als Beispiel nannte Bent 5G, das ungeheures Potential hat, durchgängige Vernetzungen zu schaffen, aber: „Wir müssen die Technologie anpassen, etwa in puncto Praxistauglichkeit und Robustheit, damit es im rauen Industrieumfeld Bestand hat“, so Bent, der gleich einen Appell anknüpfte: „Wir müssen uns als Industrie hier wirklich engagieren, damit die Lücke für uns offen bleibt.“
Und bei allen interessanten Optionen, die es derzeit gibt, gelte auch: „Es geht nicht darum, irgendwie herum zu digitalisieren, letztendlich muss ein Nutzen erzeugt werden.“ Dass dies durchaus auch schon heute möglich ist, zeigte das Beispiel aus der Gebäudeautomation, wo ebenfalls verschiedene Systeme auf einfache Weise so miteinander verknüpft werden, dass jeder die Informationen aus der Plattform herausziehen kann, die er benötigt.
Großes Potenzial im NOA-Seitenkanal
Für die Prozessindustrie sieht der Manager großes Potenzial im NOA-Seitenkanal, der die Möglichkeiten schafft, erweiterte Funktionen rückwirkungsfrei und protokollunabhängig anzuhängen. „Wir müssen dahin kommen, dass die heutigen NOA-Anwendungen in die Serie überführt werden können“, so Bent, der dafür den Plattform-Gedanken ins Spiel brachte. In einer solchen Struktur sind die Ebenen Informationsverarbeitung, Prozessschnittstellen sowie Normalisierung und Kontextualisierung entkoppelt. Somit lässt sich in den einzelnen Ebenen etwas ändern, ohne in die eigentliche Prozesssteuerung einzugreifen. Wie so etwas aussehen könnte, zeigte Phoenix Contact mit einer Architekturlösung „Enhanced Connectivity Ecosystem“, die zwar noch nicht vollständig fertig ist, aber bereits in der Praxis erprobt wurde.
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Namur-Hauptsitzung 2019
Wie Sie Daten einer Anlage auslesen und zur Prozessoptimierung nutzen
Ulrich Leidecker, President Business Area Industry Management and Automation bei Phoenix Contact, beschreibt, worum es geht: „Wir wollen Informationen einsammeln, sie woanders bearbeiten und an eine dritte Ebene weiterleiten, etwa um weitere Predictive Maintanance-Maßnahmen zu ergreifen.“
Einen ersten Praxistest hat Phoenix Contact am BASF-Standort Schwarzheide erprobt, wo man Daten aus einem Kugellager in einem Rührer bekommen wollte, um lange Stillstandzeiten zu vermeiden. Das Lager befand sich unerreichbar im Rührkessel. In Zusammenarbeit mit der TU Dresden ging es nun um die Frage, wie sich mit einfachen Maßnahmen Fehler im Fußlager erkennen lassen. Die Lösung lag in einer App, die einen Lagerschaden frühzeitig erkennt, ohne permanent die Motorströme zu erfassen. Dafür entwickelte man einen Algorithmus, der aus der Stromaufnahme des Motors, der Temperatur und der Stoffzusammensetzung Rückschlüsse auf den Zustand des Kugellagers zulässt. Dieser wurde auf die Steuerung aufgespielt. Ein entscheidender Aspekt: Der Algorithmus ist mit Hochsprachen programmiert – die klassische Maschinensprache, wie sie in Steuerungen verwendet wird, wäre viel zu aufwändig.
Erstmalig wurde der Sponsor-Vortrag von Phoenix Contact live via Youtube übertragen.
Als weiteres Beispiel nannte Leidecker die Sichtbarkeit von MSR-Geräten. Natürlich gäbe es das Idealbild „as built as planned“, in Brownfield-Anlagen existiert dieses Bild jedoch nicht. Hier wurde mit Codewrights eine App geschrieben, die das Hart-Protokoll standardisiert und diese in das NOA-Modell überspielt.
Auch wenn noch nicht alle Ideen fertig gedacht sind, will Phoenix Contact mit diesen Praxisbeispielen Impulse setzen und über die neuen Technologien diskutieren. Enhanced Connectivity steht neben dem physikalischen Anschluss für eine übergreifende, offene, sichere und digitale Kommunikation.
Wunsch und Wirklichkeit verbinden
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit gilt es durchaus so manche Klippe zu umschiffen, wie es Ronny Becker vom Prüflabor bei Bilfinger Maintenance, in seinem Vortrag anhand einiger Beispiele verdeutlichte. „Häufig kommt als erster Lösungsansatz: Frag doch mal die IT.“ Mit deren vereinfachten Lösungen kann der Betriebsingenieur häufig jedoch erst mal nichts anfangen. So hinterfragte Becker etwa das häufig bemühte Wörtchen „offen“. „Bedeutet offen auch smart, ist es einfach umzusetzen, ist es günstig oder flexibel, wie lange hält das?“. Auch der Begriff „sicher“ wird gerne genannt. Fragen, ob die Lösung handhabbar für das Wartungspersonal ist, bleiben jedoch erst einmal außen vor.
Die Interessengemeinschaft Regelwerke Technik IGR im Industriepark Höchst hat daher 2017 ein Projekt gestartet, um das Thema Digitalisierung und vor allem dessen Umsetzung in der Prozessindustrie näher zu beleuchten. Aus dem IGR‐Arbeitskreis entstand die Idee, sich dem Thema schrittweise anzunähern. Dazu wurden die verfügbaren Produkte und Ideen der Lieferanten in eine neu aufgebaute kleine Prozessanlage implementiert und einfach mal ausprobiert. Die Anlage fährt zwar nur mit Wasser, enthält aber Standardequipment und ein Leitsystem von der Stange. Zudem generiert sie echte Prozessdaten, und es lassen sich Fehler bewusst erzeugen. Mit anderen Worten: Sie ist eine echte Spielwiese für Tests und Experimente, um Connectivity, Applikationen und Security auf den Prüfstand zu stellen.
„Pumpen sind immer ein gutes Beispiel für Predictive Maintenance“, verwies Becker auf den ersten Praxistest. Ziel war es, eine Use Case zu evaluieren zum Condition Monitoring von Pumpen über einen proprietären Zusatzsensor, der das Stromprofil des E-Motors aufnimmt. Hier wurden verschiedene Fehlerzustände erzeugt. Diese Anwendung funktionierte eigentlich sehr gut. Womit die Beteiligten allerdings nicht gerecht hatten, war die enorme Bandbreitenanforderung, die bei 7 Mbit/s lag. „Allein durch das Übertragen der Rohdaten in die Cloud – und das für nur eine Pumpe!“, zeigte sich Becker immer noch ernüchtert. An einem realen Standort sei dies sicher nicht praktikabel. Die für ihn folgende Frage ist daher, ob die Daten wirklich in die Cloud müssen, oder ob diese nicht im Gateway bleiben können.
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Namur-Hauptsitzung 2018
Digitalisierung wird anfassbar – Namur-Hauptsitzung blickt in die Zukunft
Mehr Daten, mehr Konnektivität, mehr Wert
Ob durch mehr Daten und mehr Konnektivität wirklich ein Mehrwert geschaffen wird, dieser Frage spürte auch Ilona Sonnevend von Bayer nach. Die Antwort aus dem Betriebsalltag schob sie gleich hinterher: „Es kommt darauf an – schließlich ist Produktion ein komplexes soziotechnisches System.“
Als Betriebsleiterin gibt es andere Ziele, denn bei ihr steht der Kunde im Mittelpunkt. „Ich muss beste Qualität für den bestmöglichen Preis für meinen Kunden erzielen. Es kommt also weniger darauf an, was alles technologisch möglich ist“, betonte Sonnevend. Vielmehr gelte es zwischen den verschiedenen Interessen abzuwägen. Dabei machte sie aber eins deutlich: „Komplexität des Systems verschlankt die Produktion nicht!“
Was vereinfacht den Betriebsalltag?
Sonnevend zeigte zwei Ansätze für die Praxis – den technischen und den ökonomischen Imperativ. Mit ersterem kann man mit dem Gedanken des Technologie-Push überlegen, welche Anwendungen mit zusätzlichen, aus der Feldebene automatisch gewonnenen Daten bzw. Informationen unterfüttert werden könnten. So entstehen dann erste Anwendungsideen, wie z.B. „Plug and Produce“.
Aus Produktionssicht ist es aber eher wünschenswert, diese Herangehensweise umzudrehen und sich erst mal anzusehen, was denn das Leben im Betriebsalltag vereinfachen könnte. Zum Beispiel: Was brauchen wir, um qualitativ oder quantitativ besser zu werden? Was brauchen wir, um den Markt, nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen beliefern zu können?“ Wenn hierbei Use Cases entdeckt werden, zu der zusätzliche Daten mithilfe der Konnektivität herangezogen werden müssen, kann man diese als Anwendungsidee hochhalten. So entsteht, Sonnevend zufolge, ein betriebsseitiger Pull-Effekt, was der Umsetzung einen ganz neuen Geschwindigkeitsschub verpassen könnte.
Um die Use Cases ausfindig zu machen, die den aktuellen Betriebsalltag deutlich vereinfachen könnten, muss man die jeweiligen Produktionsprozesse und dessen Akteure näher kennenlernen. Dazu gehört u.a. die Erfahrung von Meistern, Anlagenbedienern, technischen Betreuern, Betriebsingenieuren, der Qualitätssicherung, der Logistik und dem Operation Excellence. Schließlich gebe es nicht nur technologische Grenzen, sondern vor allem häufig organisatorische Funktionsgrenzen. Jeder hat seine eigenen Tools, um seinen Produktionsalltag zu bewältigen. „Daher muss nicht nur der Sensor mit dem Aktor verbunden werden, sondern es müssen auch die Geschäftsprozesse verbunden werden. Dies ist für den Erfolg essentiell“, ist Sonnevend überzeugt.
Hierfür gibt es bereits erste Ansätze und technische Architekturentwürfe. Aber die Veränderungen finden ihrer Meinung nach nicht in großen, sondern zuerst in ganz kleinen Maßstäben statt. Sonnevend plädiert daher für die Etablierung eines „Sandkastens“, in dem Betriebe zusammen mit Experten die gebotenen neuen Möglichkeiten der Datengewinnung und Auswertung ausprobieren können. Sie ist überzeugt davon, dass Mega-Projekte und die dazugehörigen Business Cases unter dem Schlagwort Digitalisierung ohne die Möglichkeit, dies in kleinen Maßstäben agil voranbringen zu können, nur sehr schleppend vorankommen. Eine Vorgehensweise, die in den wenigsten Betrieben derzeit etabliert ist.
Brücken bauen
Konnektivität in Form von Brücken will auch Jan de Caigny, BASF, bauen, der sich dem Thema Cloud Technologie widmete. Cloud ist wahrscheinlich das am häufigsten verwendete Wort, seit wir über die Digitalisierung in der Prozessindustrie sprechen, so de Caigny. Für einige sei es nur ein Schlagwort, für die anderen sei es das gelobte Land. Dabei betonte er, dass Cloud nicht gleich Cloud sei. Es geht also darum, einen Weg zu finden, diese Technologie für sich zu nutzen. „Schließlich sitzen wir als Automatisierer auf der untersten Ebene, wir können nicht einfach mit einem Maus-Click in die Cloud“, beschreibt de Caigny augenzwinkernd die Situation, verwies aber gleichzeitig auf das derzeitige Spannungsfeld. „Vielfach fehlt uns heute einfach das Vertrauen, mehr mit Cloud-Technologien zu arbeiten. Dabei sind wir gar nicht in der Lage, diese Technologien zu bewerten, gerade, weil die Technologien so schnell voranschreiten.“
Sein Appell daher: Wir müssen entscheiden, wem wir vertrauen. Für ihn arbeiten zum Beispiel die besten Security-Experten in den großen IT-Unternehmen und die meisten Cloud Provider gehen durch strenge Zertifizierungsprozesse. Das heißt nicht, dass man eigene Anforderungen unter den Tisch fallen lassen sollte, sondern es gehe eben darum, eine Brücke zu bauen. „Wir brauchen den Zugang zu den verschiedenen Diensten und Hybridtechnologien. Gleichzeitig müssen Edges und On-Premises Komponenten mit Off-Premises-Komponenten kombinieren“, so de Caigny, für den Cloud-Technologien längst kein Luftschloss mehr sind. Um das Thema stärker in den Mittelpunk zu rücken, wird es im nächsten Jahr eine neue Initiative innerhalb der Namur geben, die das Thema Cloud-Technologie vertiefen soll.
Der Sponsor für die Namur-Hauptsitzung 2020 steht bereits fest: Schneider Electric stellt die nächste Hauptsitzung unter das Motto „Boosting your Asset Lifecycle for Power and Process“.
* Die Autorin ist freie Mitarbeiterin bei PROCESS
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