Industrie 4.0 in der Wasserwirtschaft Wie digital wird die Wasserwirtschaft?

Autor / Redakteur: Hans-Jürgen Bittermann / Jörg Kempf

Welche Auswirkungen haben die neuen digitalen Technologien auf die Wasserwirtschaft und deren Zulieferer? PROCESS hat sich umgehört in der Branche. Fazit: Wir sind hier schon weiter als mancher denkt!

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Mobile IT für die Digitalisierung in der Energie- und Wasserwirtschaft. Diese Notebooks werden u.a. beim Störungseinsatz im Rohrnetz, beim Rohrnetz- und Anlagenbau, bei der Instandhaltung und beim Zählergeräte-Wechsel eingesetzt.
Mobile IT für die Digitalisierung in der Energie- und Wasserwirtschaft. Diese Notebooks werden u.a. beim Störungseinsatz im Rohrnetz, beim Rohrnetz- und Anlagenbau, bei der Instandhaltung und beim Zählergeräte-Wechsel eingesetzt.
(Bild: Panasonic CPS)

Oktober 2021, eine Großstadt in Deutschland: Martin Tröger schaut in der kommunalen Abwasserleitstelle auf zwei Kurven. Es sind heute nur diese zwei, die ungewöhnlich verlaufen. Alles andere ist in Ordnung. Das weiß Tröger von seinem Scada-System, das eigenständig Daten analysiert und von vielen Quellen gespeist wird: strategische Messpunkte an den Gebäuden im Kanalnetz, die ihre Daten ins System von HST liefern. Früher musste Tröger sich täglich sämtliche Daten-Kurven für die 70 Bauwerke, darunter Regenbecken und Pumpwerke, anschauen und auf ungewöhnliche Ereignisse überprüfen. Hier bewährt sich Scada als „Machete“ im Daten-Dschungel.

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Science Fiction? Das fiktive Beispiel zeigt: Ein zentraler Schlüssel zur Optimierung der Infrastrukturen der Wasserwirtschaft liegt im intelligenten Betrieb. Das unterstreicht auch Inter 3-Geschäftsführer Dr. Shahrooz Mohajeri: Den Eintritt ins digitale Zeitalter etwa durch Automatisierung in Smart Grids sieht er als eine der großen Herausforderungen der Wasserwirtschaft, um demografischen oder klimatischen Wandelprozessen zu begegnen. Wasser 4.0 markiere dementsprechend die „wasserwirtschaftliche Revolution“ durch die Vernetzung virtueller und realer Wassersysteme.

Integration aller Prozessschritte

Kein Zweifel: Industrie 4.0 hält in der deutschen Wasserwirtschaft Einzug. Dabei stünden die Energieeffizienz sowie die Sicherstellung der Ver- und Entsorgung im Vordergrund, sagt Eckard Eberle, CEO Prozessautomation bei Siemens: „Wasser 4.0 bietet erhebliche Zukunftschancen durch die Integration einzelner Prozessschritte über den gesamten Anlagenzyklus – vom Engineering und Betrieb bis hin zur laufenden Optimierung“, ist er überzeugt.

German Water Partnership kann auf bereits realisierte Projekte hinweisen, wo die digitale Prozesskette umgesetzt wurde. So hat z.B. das Unternehmen Ribeka für die Wasserbehandlung im Tunnelbauprojekt Stuttgart 21 ein webbasiertes Echtzeitmonitoring-, Informations- und Frühwarnsystem implementiert. Gleich für die ganze dänische Hafenstadt Aarhus hat DHI mit Sitz in Hørsholm ein Echtzeitsystem mit integriertem Kontroll- und Warnsystem für drei Klärwerke, 75 Mischwasser- und 58 Regenwasserüberläufe aufgebaut. Und in Provadia in Bulgarien haben Biogest International und Siemens ein Klärwerk mit einer durchgängigen Automatisierungslösung ausgerüstet. Dank einer durchgängigen Engineering-Plattform konnte der Programmier- und Parametrieraufwand erheblich reduziert werden. „Das sparte uns gut 20 % Zeit beim Engineering der gesamten Anlage“, so Dr. Richard Gruhler, Leiter Automatisierungstechnik bei Biogest.

Lese-Tipp der Redaktion Effizienz, Energieeinsparung, Sicherheit, Industrie 4.0 – Themen, die die Prozessindustrie im Allgemeinen und die Wasser-/Abwasserbranche im Besonderen umtreiben. Dazu gibt das PROCESS Spezial Wasser/Abwasser Einblicke in neue Verfahren und innovative Technologien.

Die Digitalisierung verändert auch die Welt der Pumpen und Kompressoren, wie Sie auf der nächsten Seite lesen.

Pumpen und Kompressoren 4.0

Die Digitalisierung verändert auch die Welt der Pumpen, eröffnet u.a. neue Geschäftsfelder, so Marcus Neppl, Vertriebsleiter Water Management bei Wilo: „Unser Service Angebot Wilo Care bietet dem Kunden absoluten Komfort in der Überwachung und stellt sicher, dass Pumpen und Anlagen immer betriebs- und einsatzbereit sind.“ Erhältlich ist das Service Angebot in den Varianten Basic, Comfort und Premium. Je nach Wahl des Vertrages funktioniere der Service wie ein Rund-um-Sorglos-Paket.

Ergänzendes zum Thema
Digitalisierung kommunaler Infrastruktursysteme

Das Förderprojekt Kommunal 4.0 (Laufzeit: April 2016 bis März 2019) befasst sich als interdisziplinäres FuE-Vorhaben mit der Digitalisierung kommunaler Infrastruktursysteme. Es hat zum Ziel, mit webbasierten Daten- und Serviceplattformen am Beispiel der Wasserwirtschaft für den öffentlichen Infrastruktursektor innovative Anwendungstools und Geschäftsmodelle zu entwickeln sowie diskutierte Anwendungsmöglichkeiten von Industrie 4.0 in den kommunalen Bereich zu übertragen. Die Unternehmen HST Systemtechnik (Konsortialleitung), Pegasys und Südwasser sowie die Wissenschaftspartner Ifak (Magdeburg), GECOC der Technischen Hochschule Köln sowie die IEEM (Witten/Herdecke) werden neben einer zentralen webbasierten Daten- und Serviceplattform zahlreiche Anwendungslösungen entwickeln. Die Beteiligten betonen den streng praxisorientierten Charakter des Projekts.

Auch Grundfos ist davon überzeugt, mittelfristig einen größeren Teil des Umsatzes nicht mehr aus der klassischen Pumpentechnik zu generieren, sondern aus Systemlösungen, Sensoren, MSR-Technik und Services. Denn es falle immer schwerer, Produkte allein über die Eigenschaften der Hardware unterscheidbar zu machen. Die Innovationen verlagerten sich zunehmend in den Bereich der Programmierung von spezifischer Software, in die Vernetzung und deren Schnittstellen. Hardware und Software wachsen weiter zusammen, so der Anbieter. So offeriert das Unternehmen z.B. für die Wasserwirtschaft zusammen mit der GRM-Technologie (Fernsteuerung und Fernüberwachung) neuartige Dienstleistungen im Rahmen von Service-Level-Agreements.

Sparbüchse Belebungsbecken dank intelligenter Verbundsteuerung

Durchschnittlich mehr als 70 % der Betriebskosten einer Kläranlage entfallen auf Energiekosten, die bei der Luftversorgung der Belebungsbecken entstehen. Der Mix aus Blower-, Turbo- und Hybridtechnologie von Aerzener bot schon bisher eine sehr effiziente Lösung. Mit Aersmart – einer neuen Verbundsteuerung – kann die Performance nochmals um bis zu 15 % gesteigert werden: Dabei sorgt die Steuerung dafür, dass die Sauerstoffversorgung der Klärbecken effizient an der geforderten Lastkurve entlangfährt, nah am Optimum. Zudem werden auch die Anlagendaten wie Druck, Volumenstrom, Temperaturen, Energieverbrauch und damit die schwankenden Lastgänge sowie die einzelnen Maschinendaten inklusive Serviceintervalle aufgezeichnet und können an die Leitstelle übertragen bzw. von anderen Systemen weiterverarbeitet werden.

Lese-Tipp der Redaktion Effizienz, Energieeinsparung, Sicherheit, Industrie 4.0 – Themen, die die Prozessindustrie im Allgemeinen und die Wasser-/Abwasserbranche im Besonderen umtreiben. Dazu gibt das PROCESS Spezial Wasser/Abwasser Einblicke in neue Verfahren und innovative Technologien.

Das Druckluftmanagement-System Sigma Air Manager 4.0 von Kaeser stimmt nicht nur alle Komponenten eines Druckluftsystems perfekt aufeinander ab, sondern gewährleistet durch seine weiterentwickelte 3D-Advanced-Regelung jederzeit ein Maximum an Verfügbarkeit und Energieeffizienz der Druckluftstation. Daneben ist es quasi auch der Knotenpunkt und die Grundvoraussetzung, um Dienstleistungen im Sinne von Industrie 4.0 erst zu ermöglichen. Dazu gehören z.B. das permanente Energiemanagement oder Dienstleistungen wie vorausschauende Instandhaltung (Predictive Maintenance).

Fazit

Automatisierung und Vernetzung sind schon heute wesentliche Transformationstreiber der Wasserwirtschaft. Die intelligente Verknüpfung von Daten macht es möglich, die Ressource Wasser in Industrie, Landwirtschaft oder im kommunalen Bereich durch eine dynamische und bedarfsgerechte Prozesssteuerung bei der Wasseraufbereitung und Abwasserbehandlung effizienter zu nutzen und somit die Nachhaltigkeit zu fördern. Doch wie so oft liegen Licht und Schatten nah beieinander: Zentrale Vernetzungen erhöhen auch das Risiko für flächendeckende Störungen und Cyberangriffe.

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