:quality(80)/p7i.vogel.de/wcms/83/ba/83ba849396d2f36e9ccbf8342b530ba0/0106324991.jpeg)
- News
- PharmaTEC
- Wasser/Abwasser
- Food & Beverage
- Automatisierung
- Anlagenbau
- Strömungstechnik
- Verfahrenstechnik
- Sicherheit
- Specials
- Beruf & Karriere
- Forschung & Entwicklung
- Management
- Fachbücher
- Energieeffizienz
- Rohstoffpreise
- Logistik & Verpackung
- Mediathek
- Meilensteine
- Best of Industry
- Zum Fachmedium SCHÜTTGUT
Nachhaltige Produktion Wer nachhaltig sagt, muss auch digital sagen
Politik, Verbraucher und selbst der Kapitalmarkt machen der Chemieindustrie mit Nachdruck deutlich: An Nachhaltigkeit führt kein Weg vorbei. Gleichzeitig kämpfen viele Unternehmen mit der digitalen Transformation. Dabei zeigt sich, dass das eine ohne das andere nicht funktionieren wird – egal ob im Engineering und Betrieb der Anlagen oder entlang der Lieferkette.
Anbieter zum Thema

Die Nachhaltigkeitsziele aus Brüssel und Berlin stellen die Chemiebranche vor enorme Herausforderungen: Sie muss Energie und Rohstoffe von fossilen Quellen entkoppeln, die Kreisläufe der Stoffströme schließen und Ressourcen effizienter einsetzen. Und die Zeit drängt. Bleibt die Frage, ob die Digitalisierung als Katalysator für mehr Nachhaltigkeit dienen wird oder ob die Nachhaltigkeit die angestrebten Digitalisierungsstrategien ausbremsen werden? Dr. Felix Hanisch, Namur-Vorsitzender und Head of Process & Plant Safety bei Bayer, meint: „Digitalisierung allein löst nicht alle Probleme. Es ist aber ein wichtiges Werkzeug, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.“
Digitalisierung beschleunigt Prozesse
Doch was ist die Digitalisierung imstande zu leisten? „Der Hauptbeitrag, den die Digitalisierung zur zirkulären Transformation der Chemie leistet, ist die Beschleunigung der Prozesse und die Nachvollziehbarkeit der Produkte“, ist Dr. Wilhelm Otten, Senior Consultant der WOtten-Consulting, überzeugt. Beispielsweise im Engineering. Wie das konkret aussehen kann, wollen Otten und ein Team des Institute of Chemical and Engineering Sciences (ASTAR) mit der „Pilot Plant of the Future“ zeigen. Im Rahmen dieses Projektes wird ein vollständig integriertes Engineering erprobt, das durchgängig datenbasiert ist. Geplant ist der Bau einer Carbon Capture and Utilization Anlage (CCU) in Singapur. Hier soll CO2 aus Industrieabgasen extrahiert werden, um es dann mit Wasserstoff zu Methanol oder Kerosin umzuwandeln.
Früher haben Planer Informationen in Form von Zeichnungen übergeben. In den letzten Jahren hat man dann Daten zu Datenlisten in Excel zusammengefasst. „Heute versuchen wir alle Daten in einem Datenmodell zu erfassen – angefangen von der Entwicklung bis hin zum Betrieb der Anlage“, erklärt Otten. Das Problem dabei: Mit der Digitalisierung werden alle Ungenauigkeiten und Dopplungen in den Datensätzen sichtbar. Ein Fließbild kann von Menschen gelesen und somit interpretiert werden. Datensätze, die Planer aus dem Prozessmodell in das Anlagenmodell übergeben möchten, müssen jedoch kohärent sein.
Eine Mammutaufgabe, deren Lösung sich jedoch lohnt: „Das integrierte Engineering bringt eine neue Qualität und Geschwindigkeit in den Prozess“, bestätigt Otten. So entfallen beispielsweise Datenübergänge und Datenübergaben. Eine Fehlerquelle, die viel Zeit und Qualität kostet.
„Unser Anspruch ist es, diese Anlage vollkommen digital und modular zu bauen“, erklärt Otten. „Wir kombinieren hier also die drei wichtigsten Treiber in der Prozessindustrie: Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Modularisierung.“ Knackpunkt ist hierbei, Modularisierung und Digitalisierung zusammenzuführen. An beiden Ansätzen wird derzeit intensiv gearbeitet. Aber Otten sieht bislang keine Bestrebungen diese zu verheiraten. „Doch um entscheiden zu können, welches Modul passt, braucht man einen digitalen Zwilling des Moduls“, erklärt er. Denn dieser liefert wichtige Informationen zum Modul: Etwa was es kann. Wie es sich verhält. Welche physikalischen Eigenschaften es hat. Oder auch welche Anschlüsse. Erst die Kombination von Modularisierung und Digitalisierung schafft die gewünschte Flexibilisierung und Beschleunigung. „Mit klassischem Engineering ist das nicht möglich“, ist Otten überzeugt. Auch Hanisch sieht beim digitalen Zwilling Entwicklungspotenzial. „Je genauer dieser die Anlage abbildet, umso besser lassen sich verschiedene Szenarien simulieren. So lassen sich viele Entscheidungen leichter treffen“, erklärt Hanisch.
Digitalisierung allein löst nicht alle Probleme. Es ist aber ein wichtiges Werkzeug, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Welche Bedeutung werden modulare Anlagen in einer zirkulären Chemie spielen? Vermutlich eine große. Denn mit der Defossilierung der Rohstoffbasis wird sich diese in verschiedene Rohstoffquellen aufsplitten. Damit müsste sich die Chemikalienproduktion zumindest in Teilen auf kleinere dezentrale Anlagen verschieben. Aktuelle Beispiele wären CCU an Verbrennungsanlagen, Anlagen für chemisches Recycling oder auch Elektrolyseure. Das könnte dazu führen, dass solche Anlagen künftig in Serie gehen. Gab es bisher zwei oder drei verfahrenstechnische Anlagen einer Art, so wird der Chemieanlagenbau künftig wohl mehr als hundert realisieren. Das Konfigurieren nach dem Baukastenprinzip wie es die Branche im Umfeld der Kernprozesse – Abwasser, Wasser, Gas oder auch Kälte – kennt, birgt damit enormes Potenzial. „Doch eine Stückfertigung von Produktionsanlagen ist für die Prozessindustrie neu“, bemerkt Otten.
Keine Kreislaufwirtschaft ohne Digitalisierung
Will man die Chemie von fossilen Rohstoffen entkoppeln, muss eine Kreislaufwirtschaft etabliert werden. Doch wie? „Kreislaufwirtschaft wird ohne digitalisierte Begleitung/Prozesse nicht funktionieren“, sagt Hanisch. Denn sie hilft die Komplexität besser zu beherrschen. Beispielsweise beim effizienten und nachhaltigen Einsatz von Rohstoffen: Will man die Kreisläufe etwa von Kunststoffen nicht erst in der Verbrennung schließen – beispielsweise durch CCS-Technologien –, müssen Verwerter und Recyclingunternehmen sehr genau wissen, wie die verschiedenen Stoffströme zusammengesetzt sind. So können bereits produzierte hochwertige Moleküle wiederverwendet werden und die einmal aufgewandte Energie bleibt erhalten. Mithilfe digitaler Werkzeuge lassen sich Produkte wesentlich leichter und schneller verfolgen und deren Historie und Zusammensetzung dokumentieren.
Ohne genaue Produktinformationen wird eine Kreislaufwirtschaft nicht funktionieren. Daher kommt der Sensor- und Prozessanalysetechnik nicht nur bei der Steuerung der Produktionsprozesse eine besondere Rolle zu. Mithilfe optischer und chemischer Verfahren lässt sich schnell analysieren, welche chemische Zusammensetzung, Qualität oder Reinheit vorliegt. Auch lassen sich Methoden, die aus der Automatisierung bekannt sind, auf neue Fragestellungen anwenden – etwa die Onlinebilanzierung. „Die Namur hat beispielsweise Lösungen erarbeitet, wie wir KPIs für Ressourceneffizienz automatisch generieren können“, erklärt Hanisch. Diese Mechanismen lassen sich auch anwenden, um CO2-Effizienz oder Grünstrom-Anteile in einem Produkt zu bilanzieren. „Das sind ja relevante Größen, die künftig bei Einkaufentscheidungen eine Rollen spielen werden.“
Für Hanisch geht mit der durchgehenden Digitalisierung der Lieferkette auch die Automatisierung der Lieferkette einher. Wobei immer mehr Prozesse und Workflowschritte nicht mehr von Menschen ausgeführt werden, sondern automatisiert gemäß dem Industrie 4.0-Paradigma ablaufen. „Hierbei können wir viele Konzepte, die wir bereits aus der Automatisierung kennen, auf große Systeme skalieren“, ist Hanisch überzeugt. Kleinere Systeme wie beispielsweise eine Aspirin-Produktion laufen bereits hochautomatisiert. Diese Erfahrungen ließen sich auch auf eine Lieferkette von der Grundchemikalie bis hin zu verpackten Endprodukt übertragen, so Hanisch.
Neben Nachhaltigkeit und Digitalisierung ist Modularisierung einer der wichtigsten Treiber in der Prozessindustrie.
Für diese Aufgaben gibt es schon jetzt einige Werkzeuge – etwa Künstliche Intelligenz (KI) und prädiktive Algorithmen, um Prozesse schneller und effizienter zu machen. Hanischs Ansicht nach wird hier die Entwicklung neue Türen öffnen: So habe KI im Verlauf der letzten 30 Jahren zu immer besseren Beschreibungen und Modellierungen bekannter Prozesse geführt. Dadurch kann die Chemieindustrie heute viel schneller aus Daten Wissen generieren. In Zukunft wird KI selbst Entscheidungen treffen können. So könnte künftig datengetrieben entschieden werden, wie bestimmte Prozesse zu optimieren oder wann bestimmte Stoffe nachzubestellen sind. „Das wird dann qualitativ ein anderer Einsatz von KI“, sagt Hanisch.
Fazit
Auch wenn die Digitalisierung kein Allheilmittel ist, ermöglicht sie doch vieles: Mit ihr lassen sich Prozesse beschleunigen und Komplexität beherrschbar machen. Sie vernetzt Akteure und Systeme entlang der Lieferkette und macht wichtige Informationen schnell zugänglich. Das an sich ist nicht neu. Und doch ist der große Durchbruch ausgeblieben. „Aktuell wird der Mehrwert der Digitalisierung durch die Komplexität, die sie mitbringt, kompensiert. Die erhoffte Produktivität durch Digitalisierung ist noch nicht erreicht“, konstatiert Otten. Für ihn ist klar: „Wenn wir die Produktivität und Effizienz steigern wollen, wenn wir flexibler und nachhaltiger werden wollen, müssen wir Geschäftsprozesse in ihrer Gesamtheit digitalisieren.“
* Die Autorin arbeitet als Fachredakteurin „Management“ für die Vogel Communications Group.
(ID:48041633)