Sars-CoV-2 Wann kommt der erste Covid-19-Wirkstoff? Turbo-Screening soll helfen
Österreichische Forscher wollen Suche und Produktion potenzieller Covid-19-Wirkstoffe beschleunigen und auch effizientere Antikörpertests herstellen. Helfen soll ein neues Hochgeschwindigkeits-Screening und eine weltweite Datenbankbasierte Wirkstoffsuche.
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Wien/Österreich – Einer der wichtigsten Faktoren im Kampf gegen Covid-19 ist Zeit. Bisherige Prozesse, wie die Suche nach einem effizienten Medikament oder die Produktion von reinen Impfstoffen in sehr großen Mengen, müssen beschleunigt, optimiert und zum Teil neu gedacht werden. Da sich das Virus laufend verändert, sind neue Erkennungsverfahren nötig, die – bei erfolgreicher Impfstoff- oder Medikamentenentwicklung – sofort anzeigen, welche Medikamente gegen die jeweilige Mutation des Virus wirksam sind und welche nicht. Eine Maßnahme, die auch bei anderen Virenklassen von größter Wichtigkeit sein wird.
Forscher des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (Acib) haben in Zusammenarbeit mit österreichischen Universitäten sowie Industriepartnern eine High-Speed-Technologie im Kampf gegen Covid-19 entwickelt: Die Plattformtechnologie Boss – „Biotechnologische Optimierung durch Selektions-Systeme – ermöglicht, Bakterienkulturen im Labor umzuprogrammieren und so auf schnelles Wachstum zu trimmen. So sollen potentielle Wirkstoffe aus vielen Millionen von Varianten ohne großen Aufwand identifizieren werden können – und das über Nacht. Boss soll als Plattform für unterschiedliche Prozesse dienen:
- zur Entdeckung neuer potentielle Medikamente,
- zur Vorhersage deren Wirkung bei neuen Viren-Varianten zur Optimierung von Produktionsverfahren für Antikörper, Impfstoffe bis hin zu Tumortherapeutika, Insulin und Interferonen.
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Zur Umprogrammierung der Bakterien wandten die Forscher eine bestimmte Strategie an. „Wir haben das Bakterienwachstum mit dem Enzym, dass das Virus für seine Vermehrung braucht, verknüpft,“ erklärt Schneider. Beim Sars-CoV-2-Virus ist die kürzlich identifizierte „Mpro-Protease“ das Schlüsselenzym für die Replikation in der Zelle, also mithin die „Achillessehne“ des Coronavirus. Proteasen wirken als winzige, molekulare Scheren, welche die Aminosäureketten von Proteinen, an definierten Stellen durchtrennen. „Der Trick der Boss-Technologie ist, ein essentielles Wachstumprotein von Bakterien so zu verändern, dass es von der Virusprotease erkannt, zerschnitten und somit zerstört wird. Das Bakterium kann daraufhin nicht mehr wachsen. Außer, ich behandle es mit einer Substanz, sprich einem Wirkstoff, der die Aktivität der Protease inhibiert,“ erklärt Schneider.
Auf diese Weise soll es möglich werden, aus einer Vielzahl von Medikamenten-Kandidaten in kurzer Zeit jene Substanzen zu identifizieren, die gegen Sars-CoV-2 wirken. Boss, so sind sich die Forscher einig, könnte medikamentöse Lösungsansätze gegen Covid-19 aus unterschiedlichsten Bereichen schon bald maßgeblich beschleunigen und, so hoffen die Forscher, Leben retten.
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Weltweites Screening-Projekt
Eines dieser Projekte ist das weltweit größte computerbasierte Screening-Projekt namens Fastcure, das steirische Forscher ins Leben gerufen haben. Im internationalen Konsortium sind federführend das Biotech-Start-up Innophore, das Acib und die Universität Graz, sowie die Universität Innsbruck und namhafte internationale Partner wie die Harvard Universität, Google und die Shanghai Tech University daran beteiligt. Mehr als zwei Milliarden Wirkstoffe werden gegen Covid-19 getestet. „In Fastcure erstellen wir auch eine Datenbank, die die Wirksamkeit von Medikamenten bei möglichen Mutationsvarianten des Virus überprüft“, erklärt Innophore CEO und Acib-Senior Scientist Christian Gruber. Neben virtueller Einzelsimulationen von marktzugelassenen Medikamenten auf eine potenzielle Wirksamkeit hin, müssen vielversprechende Kandidaten im Labor experimentellen Tests und klinischen Trials unterzogen werden. „Die Boss-Technologie könnte diese Tests schon bald um ein Vielfaches beschleunigen und Daten deutlich umfassender validieren, als es mit bislang verwendeten In-Silico-Verfahren möglich war“, so Schneider.
Auf der Suche nach effizienten Antikörpertests
Die Boss-Technologie wird ebenso für die Auffindung von effizienten Antikörpern für passive Immunisierungen gegen Sars-CoV-2 eingesetzt werden. Der erste nicht kommerzielle Antikörpertest zur Bestimmung, ob eine Immunreaktion auf das Sars-CoV-2-Virus vorliegt, wurde in einem jüngsten Projekt unter der Leitung der Boku zusammen mit dem Acib, der Vetmeduni und dem New Yorker Mount Sinai Hospital entwickelt und in einer Aussendung der Boku kürzlich erst vorgestellt.
Für die schnelle Entwicklung einer passiven Immunisierung (d.h. Unterstützung des Patienten durch Gabe von Fremdantikörpern gegen das Virus) könnte die Boss-Technologie zum Beispiel Bakterienvarianten selektionieren, die hoch-affine Antikörper gegen Sars-CoV-2 in großen Mengen produzieren. Ein menschliches Immunsystem wird sozusagen im Kleinen simuliert. Schneider: „Nur jene Bakterien setzen sich durch, die eine für sie vorher toxisch gemachte Variante des entsprechenden Virusproteins mithilfe dieser Antikörper inaktivieren können.“
Industrieplattform für Impfstoffe und Massenschnelltests
Das Boss-Selektionssystem wird bei der Entwicklung und Produktion von Massentests zudem sicherstellen, dass nur reine Virusproteine vorliegen und es zu keinen Verunreinigungen kommt. Falschpositivmeldungen würden somit vermieden, wodurch die Tests eine höhere Aussagekraft erlangen.Im Rahmen eines vierjährigen Kooperationsprojektes zwischen dem Acib, der Universität Innsbruck, der Universität für Bodenkultur und dem internationalen Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim RCV hat das Boss-In-vivo-Selektionssystem bereits praktisch seinen Nutzen bewiesen. Nun soll die mehrfach patentierte Plattformtechnologie dazu eingesetzt werden, in naher Zukunft verbesserte Biotech-Werkzeuge zu entwickeln. „So kann bei Sars-CoV-2 im Bedarfsfall zügig mit der großtechnischen Produktion von Impfstoffen und Therapeutika aber auch entscheidender Komponenten für verbesserte Covid-19-Massenschnelltests begonnen werden“, so Schneider abschließend.
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