Virtual Engineering Virtual Engineering soll nach dem Willen der BASF-Planer eine Anlage durch den gesamten Lebenszyklus begleiten
Im Vergnügungspark gehört der rasante Flug durch virtuelle Hochhausschluchten zum Höhepunkt des Besuchs. Die Planer der BASF setzen Virtual Reality zu nüchterneren Zwecken ein. VR führt alle Planungsdaten einer Anlage zu einem 3D-Modell zusammen und optimiert damit Planung, Bau, Inbetriebnahme und Instandhaltung.
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Der Flug durch die virtuelle Anlage dauert erst fünf Minuten, und schon hat der Betriebsingenieur zwei Schwachpunkte entdeckt. Ein Fundament ist zu knapp unter einer Rohrleitung platziert, und eine Halterung am Rohr ist für Instandhaltungs-arbeiten schwer erreichbar. „Solche Fehler fallen oft erst in der Montagephase auf und sind dann nur noch mit größerem Aufwand zu beseitigen“, erklärt Robert Lenz, bei der BASF stellvertretender Betriebsleiter des Salpetersäure-Verbunds. Sein Betrieb im Herzen des Ludwigshafener Werksgeländes fungiert als Pilot, in dem die Planer des BASF-Kompetenzzentrums Engineering & Maintenance das erste Mal Virtual Reality beim Bau einer Anlage ausprobieren und die Möglichkeiten des Engineeringwerkzeugs ausloten.
Das dreidimensionale Bild, das VR-Projektleiter Ralf Buhse mit zwei Videoprojektoren auf die sechs Quadratmeter große Leinwand zaubert, vermittelt ein erstaunlich realistisches Bild der Anlage. Mit dem Flystick fliegt der Betrachter durch das Gewirr von Rohrleitungen und kann Reaktoren, Kolonnen und Kessel bereits zu einem Zeitpunkt aus der Nähe betrachten, wenn auf der Baustelle die Arbeiter gerade erst das Betonfundament gießen. „Das Planungsergebnis wird für den Kunden eins zu eins erlebbar“, sagt Buhse. Beim Design Review, also der Besprechung der Anlage am Modell ist das Tool bereits bekannt. Planer und Betreiber spüren im virtuellen Modell Fehler vor der Montage auf, können Instandhaltungsstrategien entwickeln und die Betriebsmannschaft einweisen.
Aber Virtual Reality vor allem in Verbindung mit 3D-Laserscanning kann noch sehr viel mehr, nämlich bereits gebaute Anlagen dreidimensional erfassen. Der Laserscanner tastet die Anlagen schrittweise ab und bildet die Details als Punktwolke ab. Der Informationsgehalt der Punktwolke ist so hoch, dass sogar Komponenten wie Ventile und Armaturen sichtbar werden. Die daraus generierten virtuellen Modelle können dann später Sicherheits- oder Instandhaltungsexperten die Arbeit erleichtern. Statt einen ganzen Stab von Mitarbeitern tagelang durch die Anlage zu scheuchen, versammeln sich alle im Büro und fliegen die sicherheitsrelevanten Passagen im Modell ab. „Die VR-Modelle schaffen bei Betriebsbesprechungen eine gemeinsame Grundlage bei der Fehlersuche“, betont Dr. Frank-Michael Korgitzsch, Leiter der Einheit Piping.
Vom Styropor- zum 3D-Modell
Sehr viel einfacher und schneller könnte auch die Abnahmeprozedur, speziell im Rohrleitungsbau, werden. „Bei der traditionellen Rohrleitungsabnahme schafft man 25 pro Tag“, erklärt Korgitzsch. Bei rund 3000 Leitungen in einer durchschnittlichen Anlage summiert sich das immerhin auf 120 Tage. Durch den Einsatz des neuen Planungstools kann der Kunde pro Review die zwei- bis dreifache Anzahl Rohrleitungen abnehmen und entsprechend früher die Wasserfahrt durchführen.
In den letzten Jahren hat sich die Planungsarbeit der BASF-Ingenieure stark gewandelt. Die seit 2008 eingeführte 3D-Software mit der dreidimensionalen Visualisierung ist jetzt der vorläufige Höhepunkt einer Evolution, die mit einem simplen Styropormodell ohne Rohrverbindungen begonnen hat. Noch vor zehn Jahren startete jede Anlage als originalgetreues Plastikmodell ins Leben, das im Maßstab von 1:25 alle Details enthielt – von der Leiter, mit der die Chemikanten später zum Mannloch hinaufkletterten, bis zur Destillationskolonne. Sogar den Aniliner, wie sich die BASF-Werker bis heute nennen, gab es. Die Plastikfigur mit dem Arbeitshelm erleichterte dem Auge das Erfassen der tatsächlichen Anlagendimensionen.
Später folgten CAE-Planungstools, bei denen man allerdings eine Menge Vorstellungskraft brauchte, um im Geiste eine fiktive Anlage entstehen zu lassen. „Virtuelle Realität bringt dem Betreiber das Plastikmodell von früher zurück“, sagt Buhse. Allerdings ohne dessen Nachteile, denn während die Anlage im Feld lebte – mal wurde eine Rohrleitung installiert, mal eine Kolonne verkleinert – wurden die Modelle selten weitergepflegt. Das heißt, bei Erweiterungen konnten die Planer auf das Modell nicht mehr zurückgreifen sondern mussten erst in mühevoller Kleinarbeit bereits erfolgte Änderungen nachvollziehen. Deshalb streben Korgitzsch und Buhse an, dass VR die Anlage während des gesamten Lebenszyklus begleitet. „Mittelfristig wollen wir jede Anlage zu jedem Zeitpunkt in ihrem aktuellen Bauzustand (as-built) darstellen können.“
Die Autorin ist Redakteurin bei PROCESS.
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