Studie Pharma VFA fordert internationale Standortkampagne zur Stärkung der Pharma-Branche in Deutschland
Wenn Deutschland sich auf seine Standortvorzüge besinnt und deren Erhalt und gezielten Ausbau zum Kern einer politischen Strategie macht, kann das Land auch angesichts der zunehmenden Konkurrenz aus Schwellenländern zu einem der führenden Pharma-Standorte werden, so das Fazit einer aktuellen Studie des VFA.
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Berlin – Vor dem Hintergrund des weltweit verschärften Standortwettbewerbs und der steigenden Gesundheitsnachfrage untersucht eine jüngst veröffentlichte Studie des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (VFA) die Chancen der Pharmaindustrie in Deutschland. Ein Schwerpunkt der durch das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) und Pricewaterhouse Coopers durchgeführten Studie war die Standortpolitik der Großen Koalition in den vergangenen zwei Jahren.
Die Standortanalyse zeigt, dass der Pharma-Standort Deutschland im internationalen Vergleich seit 1990 etwas an Bedeutung verloren hat. Zum einen sind neue konkurrierende Produktionsstandorte wie Irland, Schweden, Belgien und Dänemark hinzugekommen. Zum anderen haben sich auch im Bereich Forschung und Entwicklung neben den Marktführern USA und Großbritannien mit Indien und Singapur auch Schwellenländer etabliert. Während im Teilbereich Forschung die USA die führende Position innehaben, ist Großbritannien im Teilbereich Entwicklung führend.
Für den Standort Deutschland spricht, dass die Zahl der Patentanmeldungen im Pharma-Bereich in den letzten Jahren stärker angestiegen ist an konkurrierenden Pharma-Standorten. Bei kommerziellen klinischen Studien ist Deutschland seit 2007 auf Platz eins in Europa. Bei der Produktion biotechnologischer Arzneimittel ist es, dank der hohen Investitionen von forschenden Pharmaunternehmen in den Ausbau bereits bestehender Anlagen, weltweit nach den USA auf Platz zwei vorgerückt.
Stärken und Schwächen der deutschen Pharma- und Biotech-Industrie
Die Studie, zu der auch Entscheidungsträger aus weltweit tätigen Pharma- und Biotech-Unternehmen sowie Vertreter wichtiger Forschungseinrichtungen in Deutschland befragt wurden, führt Stärken und Schwächen des Standorts Deutschlands auf, um darauf aufbauend Potenziale und Chancen zu benennen. Zu den wichtigsten Stärken gehören laut Studie die hohe Qualifikation des wissenschaftlichen Personals und der Fachkräfte, eine gute Positionierung in ausgewählten Feldern der Spitzenforschung, die hohe Expertise in der Hightech-Produktion, der sofortige Marktzugang nach der Zulassung und die Marktpreisbildung für innovative Arzneimittel.
Zu den Schwächen des Standorts Deutschland zählen vor allem die hohe Regulierungsdichte sowie zum Teil ineffiziente Antrags- und Genehmigungsverfahren, die sich in verschiedenen Ausprägungen auf allen Stufen der Wertschöpfungskette bemerkbar machen. Einen gewissen Nachholbedarf sieht die Studie bei der Spitzenforschung und der Finanzierung mit Wagiskapital. Dr. Wolfgang Plischke, Vorsitzender des Vorstandes des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller, betont: „Die pharmazeutische Industrie beschäftigt allein in Deutschland 112 600 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2007 einen Umsatz von 31,2 Milliarden Euro. So gehört sie zu den leistungsfähigsten und produktivsten Wirtschaftszweigen in Deutschland. Aber das Ansehen des Pharma-Standortes Deutschland hat gerade bei Managern mit Standortverantwortung durch eine zum Teil undurchschaubare und widersprüchliche Überregulierung im Gesundheitssystem gelitten.“
Diskrepanz zwischen Expertenmeinung und Standortanalyse
Insgesamt wird der Standort Deutschland bei den Expertenbefragungen deutlich schlechter eingestuft, als bei einer objektiven Analyse der Standortkriterien. Daraus folgert Plischke: „Der Pharma-Standort Deutschland verkauft sich unter Wert!“ Als Auslöser kritischer Beurteilungen in den Interviews sehen die Autoren Kostendämpfungsmaßnahmen der deutschen Gesundheitspolitik. Diese sei maßgeblich und in weiten Teilen durch Budget-fokussierte Regulierung geprägt. Der Einfluss des Absatzmarktes auf das Image des Standorts wird besonders an zwei Punkten deutlich: So beeinträchtigen die Diskussionen um das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und die schon vor einigen Jahren eingeführten „Jumbogruppen“ (Einbeziehung von patentgeschützten Medikamenten in Festbetragsgruppen, die auch Nachahmermedikamente enthalten) nachhaltig das Bild des deutschen Absatzmarktes bei Vorständen und Experten. Dabei sprechen sich die Befragten ausdrücklich für eine gesamtwirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse von Arzneimitteln aus – allerdings nach internationalen Standards.
Forschungsinitiativen und Exzellenzförderung stärken den Standort
Prof. Dr. Thomas Straubhaar vom HWWI zieht folgende Bilanz: „Insgesamt betrachtet gehen die Maßnahmen der großen Koalition zugunsten des Pharma-Standortes Deutschland in die richtige Richtung. Positiv hervorzuheben sind die verschiedenen Forschungsinitiativen, die Exzellenzförderung und mit Abstrichen die Unternehmenssteuerreform.“ Bei den Interviews hat sich allerdings gezeigt, dass diese Maßnahmen nach Ansicht einiger Befragter nur ein Zurückfallen Deutschlands im internationalen Standortwettbewerb verhindert haben. Bei einigen Befragten sind die Maßnahmen auch nicht angekommen bzw. wurden als nicht entscheidungsrelevant eingestuft.
Bessere Verzahnung der involvierten Politikbereiche gefordert
Hauptproblem aus der Sicht der nationalen und internationalen Entscheidungsträger ist in Deutschland die fehlende Verzahnung der involvierten Politikbereiche. Nach Ansicht der Befragten benötigt Deutschland ein klares Bekenntnis der Politik zur Pharmaindustrie. Diesem Bekenntnis sollte eine gezielte, langfristige und zwischen den Ressorts abgestimmte Politik aus einem Guss folgen. Hierbei sollten alle Stufen der Wertschöpfungskette von der Grundlagenforschung bis zum Absatz im Rahmen eines in sich schlüssigen gesamtheitlichen Vorgehens aller Politikbereiche berücksichtigt werden. Um den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb zu stärken, sind Maßnahmen einzuleiten, die zum einen die genannten Standortkriterien berücksichtigen und zum anderen gezielt die wahrgenommenen Stärken des Standorts weiterentwickeln.
Internationaler Kontext im Blick
Die Autoren der Studie fordern die Entwicklung politischer Maßnahmen im internationalen Kontext. Die fortschreitende Globalisierung bedingt, dass es kaum Lösungen für nationale gesamtwirtschaftliche Probleme gibt, die losgelöst von der zunehmenden Verflechtung der Weltwirtschaft betrachtet und implementiert werden können. Bei allen Maßnahmen sollte die internationale Signalwirkung nicht unterschätzt werden. Damit die Maßnahmen ihre Wirkung entfalten können, ist eine proaktive Vermarktung im Rahmen einer Standortinitiative erforderlich.
Nachhaltigkeit als Schlüssel zum Erfolg
Für die pharmazeutische Industrie ist die Nachhaltigkeit von Maßnahmen von besonderer Bedeutung, weil unternehmerische Entscheidungen in dieser Branche stets mit Blick auf einen langen Zeithorizont getroffen werden und stetige Rahmenbedingungen für die Entscheidungsfindung eine notwendige Voraussetzung sind. Zusätzlich fordern die befragten Experten einen transparenten und in sich konsistenten Regulierungsrahmen, der auch von internationalen Standortentscheidern verstanden wird.
Handlungsempfehlungen zur Standortförderung
Aus der Studie gehen konkrete Handlungsempfehlungen hervor, welche die Anziehungskraft des Standorts Deutschland im Allgemeinen und des Pharma-Standortes im Besonderen erhöhen und damit zu nachhaltigen inländischen Wirtschaftswachstum beitragen könnten.
Kurzfristig: Die Autoren raten zu einer umzusetzenden Standortinitiative Pharma, die Aufstockung der staatlichen Forschungsausgaben und den Ausbau der staatlichen Förderung privater Forschung.
Mittelfristig: Neben einer Bildungsreformen an Schulen und Hochschulen sehen die Autoren mittelfristig Potenzial in einer Modifikation der Unternehmenssteuerreform, einer verstärkten Förderung von Ausgründungen aus Universitäten und die Verbesserung der Verfügbarkeit von Wagniskapital.
Langfristig: Alle Maßnahmen der Politik müssen, so fordern die Verfasser der Studie, auf ihre Wirkungen auf die Gesundheitswirtschaft untersucht werden. Hierzu gehöre vor allem, widersprüchliche Regulierungen im Bereich Absatz zu bereinigen und das Wachstumspotenzial der Gesundheitswirtschaft durch wettbewerbsfördernde Maßnahmen zu erschließen.
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