Verbrauchertrend und neue EU-Verpackungsrichtlinie Dem Plastikmonster den Kampf ansagen

Von Doris Popp Lesedauer: 7 min |

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Verbraucher greifen immer öfter zu nachhaltigen Verpackungen. Und seit November letzten Jahres gibt es einen Entwurf für die neue EU-Verpackungsverordnung. Die großen Konzerne wie Unilever, Nestlé und Procter & Gamble müssen jetzt reagieren und ihre Verpackungen auf nachhaltige Materialien umstellen. Mit im Boot sitzen auch die Maschinenbauer, die ihre Maschinen anpassen müssen. Wie die Umstellung auf nachhaltige Materialien gelingen kann und was dabei zu beachten ist, lesen Sie in diesem Beitrag.

Das riesige Monster aus Plastik besteht größtenteils aus Einwegverpackungen von Unilever, Nestlé und Procter & Gamble, die Greenpeace-Aktivisten an Stränden auf den Philippinen gesammelt haben.
Das riesige Monster aus Plastik besteht größtenteils aus Einwegverpackungen von Unilever, Nestlé und Procter & Gamble, die Greenpeace-Aktivisten an Stränden auf den Philippinen gesammelt haben.
(Bild: Gustave Deghilage)

Eigentlich mutet das riesige Monster aus Plastik an wie ein Kunstwerk und lässt den Betrachter staunen. Der Rohstoff aus dem es geschaffen ist, hat eine lange Reise hinter sich. Die 20 Meter lange Installation besteht größtenteils aus Einwegverpackungen von Unilever, Nestlé und Procter & Gamble, die Greenpeace-Aktivisten an Stränden auf den Philippinen gesammelt haben. Nach mehreren Stopps in europäischen Städten haben es die Umweltschützer im April 2019 über den Genfer See gerudert und zum Firmenhauptsitz von Nestlé in Vevey gebracht. Die deutliche Botschaft im Gepäck: Stop single use!

Damit hat Greenpeace offenbar einen Nerv bei den Verbrauchern getroffen. Das belegt z.B. eine Statista-Umfrage aus dem Jahr 2020. Für 78 Prozent der Verbraucher sei es wichtig, dass für Lebensmittel nachhaltige Verpackungen verwendet werden. Rund 30 Prozent der Befragten kaufen die Dinge des täglichen Bedarfs lieber, wenn sie in Papier verpackt sind. Auch die Gesetzgebung fordert ihren Tribut zu mehr Nachhaltigkeit. Jüngstes Beispiel ist der Entwurf zur neuen EU-Verpackungsverordnung vom November 2022, wonach alle Verpackungen bis 2030 wiederverwendbar oder recyclingfähig sein müssen.

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Wissenschaftler wie Dr. Lukas Sattlegger begrüßen, dass jetzt einheitliche Regelungen kommen. Sattlegger arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main und forscht u.a. zu Themen wie Verpackungen und nachhaltiger Konsum. Für ihn geht die Regelung der EU nicht weit genug, sondern sei wie immer bei solchen Entwürfen am Ende ein Kompromiss zwischen verschiedenen Interessengruppen.

Doch dieser Kompromiss hat weitreichende Folgen für die Beteiligten der Wertschöpfungskette und beschäftigt daher die Lebensmittelhersteller und auch die Verpackungsmaschinenhersteller, die ihre Maschinen auf nachhaltige Packmittel umstellen müssen. Einer davon ist Syntegon.

Die Ingenieure des Verpackungsmaschinenherstellers tüfteln bereits seit 2015 daran, ihre Maschinen auf nachhaltige Verpackungslösungen umzustellen. Eine Investition, die sich inzwischen auszahlt. „Wir können heute für viele unserer Maschinen für Lebensmittelverpackungen, Lösungen mit Papier sowie mit recyclingfähigen Monokunststoffen anbieten– bald sollen alle Maschinen nachhaltigere Materialien verarbeiten können,“ sagt Torsten Sauer, im Teams-Interview. Der Projektleiter Nachhaltigkeit unterstützt mit seinem Team Lebensmittelhersteller und Nonfood-Produzenten dabei, das richtige Packmittel zu finden. „Wir haben fast gehofft, der Trend kommt ein bisschen früher.“ Sauer begleitet Kunden bei der Suche nach einer neuen Verpackung mit einer Musterproduktion. Mithilfe dieser Musterverpackung lässt sich herausfinden, ob das Format das richtige ist und ob es vom Verbraucher so angenommen wird.

Wie das erwähnte Greenpeace-Beispiel zeigt, mussten sich die großen Markenhersteller frühzeitig mit dem Thema nachhaltige Verpackungen auseinandersetzen, weil sie schon lange im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Das unterstreicht den besonderen Schmerz der großen Marken, nachhaltige Verpackungs-Lösungen zu finden. Das Risiko für diese Marken sei hoch, sagt Sauer. Nichtstun gefährde unter Umständen das Markenimage. Aber auch wenn sie etwas tun und es funktioniert nicht, sind sie nach Sauers Ansicht genauso betroffen. „Keiner dieser Markenhersteller möchte auf der Titelseite von National Geographic mit einem Bild von der letzten Strandsäuberung erscheinen“, erklärt Sauer.

Doch wie können Lebensmittelhersteller herausfinden, ob eine Verpackung technisch funktioniert. Und der Verbraucher, das unbekannte Wesen. Was will er überhaupt? Das herauszufinden, die Verpackung und die dazugehörige Maschine zu entwickeln, dauert unter Umständen drei bis fünf Jahre, weiß der Nachhaltigkeitsspezialist. Aber auch der Verbraucher muss von liebgewonnenen Gewohnheiten Abschied nehmen und sich an neue Verpackungen gewöhnen. Sauer hält eine Zahnbürstenverpackung in die Höhe, die komplett aus Papier besteht. „Eine wunderbare Papierverpackung. Sie hat alles, was die Nachhaltigkeit benötigt, aber das Produkt ist nicht sichtbar“, sagt er.

Verpackungen können aus Sauers Sicht auf verschiedene Arten optimiert werden. Zum einen kann man beim Thema Shelf Presence ansetzen. Also, wie schnell einem z.B. eine Zahnbürste im Supermarktregal ins Auge fällt. Um die Aufmerksamkeit der Verbraucher zu wecken, wurden die Verpackungen in den letzten Jahren immer größer. Doch länger, breiter, größer war gestern. Dünner, kleiner, innovativer – darum geht es heute. Da die Rohstoffe teurer und schwerer verfügbar sind, sei es heute wichtig, keine Luft mehr zu verpacken. „Es gibt nicht viel Gutes über die aktuelle wirtschaftliche Situation zu sagen, aber hier hilft sie“, sagt Sauer. Weniger Materialeinsatz bedeutet weniger Müll und gleichzeitig weniger Kosten in der Logistikkette. Ziel ist es demnach, keine Luft zu verpacken, zu transportieren und zu verkaufen.

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Ein weiterer Optimierungshebel lässt sich beim Thema Shelf Life ansetzen – also, wie lange kann z.B. ein Schokoladenriegel im Supermarktregal liegen, ohne dass er verdirbt. Konnte man mit konventionellen Verbundkunststoffen einen sehr hohen Produktschutz zu geringen Kosten erreichen, wollen die Lebensmittelhersteller heute bestimmte Mehrschichtverpackungen gar nicht mehr verwenden. „Für viele Hersteller steht die Frage im Raum, ob ein Schokoladenriegel wirklich zwei Jahre Shelf Life haben muss“, meint Sauer. Welchen Produktschutz brauche ich wirklich? Wie qualitativ hochwertig muss meine Verpackung sein und was ist es mir wert, diesen Aufwand zu betreiben? Dies gelte es laut Sauer, zu klären und führt aus seiner Sicht zu kürzeren Logistikketten oder sogar zu einer Verlagerung der Produktion näher an den Ort des Verkaufs. „Wenn Transportwege kürzer werden, benötigen Hersteller am Ende auch weniger Material pro Produkt“, erklärt er.

Auch Dr. Sattlegger vom ISOE plädiert dafür, bei den Transportwegen anzusetzen. „Wenn Nahrungsmittel eher regional vertrieben werden, dann müssen sie weniger lang in der Transportkette haltbar sein und man kann vielleicht die Folie darüber sparen“, sagt Sattlegger. „Aber Plastik ist nicht per se böse“, meint er. Bei Verpackungen für Fleisch etwa, welches einen hohen ökologischen Fußabdruck hat, ist die Frage nach dem Verderb noch mal entscheidender. Da ist der Anteil der Verpackung an der Ökobilanz viel geringer als bei anderen Produkten, meint der Experte. In Zukunft sei es wichtig, herauszufinden, wie konsumiert wird und welche Produkte es überhaupt braucht.

Auf die Frage, ob es in Zukunft noch Verpackungen geben wird, antwortet Torsten Sauer von Syntegon mit einem klaren ja. Denn die Vorteile einer Verpackung überwiegen gegenüber einem nackten Produkt. Der Produktschutz ist wichtig und es ist laut Sauer eine große Errungenschaft, dass wir Nahrungsmittel sicher genießen können, wann und wo wir wollen. In Ländern, in denen das nicht etabliert ist, ist der Produktverlust von über 50 % keine Seltenheit. Das ist nicht effizient und nicht nachhaltig.

Einen wichtigen Trend sieht Sauer außerdem im Wechsel von Flüssig- zu Trockenprodukten z.B. Seifen und Shampoos. Das sei so zwingend in seiner Logik, Luft und Wasser aus dem Produkt zu nehmen. Somit erreiche man weniger Verpackung, stabilere Produkte und brauche auch weniger Barriereschutz..Außerdem spare dies Kosten in der Logistik sowohl beim Lieferanten als auch beim Konsumenten. Neue Verbrauchswege könnten eingeschlagen werden. Das werde der große Sprung sein, prognostiziert Sauer. Und natürlich das Thema Umlauf-Verpackung – dort wo es gehe.

Auch Sattleger ist sich sicher, dass es in Zukunft weiterhin Verpackungen geben wird. Den Trend zu Mehrweglösungen findet er gut. Aber grundsätzlich sollte der Fokus auf Müllvermeidung liegen. Es bliebe abzuwarten, ob sich das Konzept der Unverpackt-Läden durchsetzen könne. Die neuen Regelungen werden die Entwicklung von nachhaltigen Verpackungen in der EU weiter vorantreiben. Global betrachtet, sei es laut Sattlegger jedoch so, dass die Menge an Kunststoffverpackungen eher steige. Dies liegt an der schnellen Entwicklung und dem gesteigerten Lebensstandard in Ländern wie Bangladesch. Eine Weiterentwicklung gibt es seiner Meinung nach vor allem bei den bioabbaubaren Kunststoffen. Allerdings sollte dafür ein sinnvolles Recycling-System eingeführt werden. Die Herausforderung bei bioabbaubaren Kunststoffen sei es, dass man diese Entwicklung nicht hemmt, aber trotzdem stärkere Leitplanken setzt. Es muss für jeden ersichtlich sein, aus welchen Stoffen die Verpackung besteht. Die Konsumenten aber auch die Lebensmittelerzeuger sollten Verpackungen einfacher vergleichen können.

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In Zukunft werden Verbraucher mehr nachhaltige Verpackungen im Supermarkt finden können, denn dies wird neben Mehrweg-Verpackungen der Standard sein. Sauer sagt: „Wir werden uns an neue Packformen aber vor allen Dingen auch an neue Produktdarreichungen gewöhnen müssen.“

Dr. Lukas Sattlegger

Dr. Sattlegger ist seit 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter des ISOE im Forschungsfeld Nachhaltige Entwicklung. Er promovierte an der Goethe-Universität Frankfurt als Teil der SÖF-Nachwuchsforschungsgruppe PlastX zum Thema Verpackungen und nachhaltiger Konsum. Seine soziologische Dissertation trägt den Titel „Schwierigkeiten und Potentiale der Verpackungsvermeidung – Eine Arbeitsethnographie im Lebensmittelhandel“. Davor studierte er Soziologie und Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und Sozial- und Humanökologie am IFF Wien der Alpe Adria Universität Klagenfurt.

Torsten Sauer

Torsten Sauer ist seit 2019 Director Sustainability beim Verpackungsmaschinenhersteller Syntegon in Waiblingen. Er betreut Kunden bei der Suche nach der optimalen Verpackung unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten. Darüber hinaus verantwortet er die Entwicklung neuer nachhaltiger Verpackungslösungen aus alternativen Materialien wie zum Beispiel Grasfaser und recycelte Kunststoffe.

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