Jahrespressekonferenz des VCI VCI sieht Chemiestandort Deutschland in Gefahr

Von MA Alexander Stark

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Auf der Jahrespressekonferenz des VCI zeichnete Verbandspräsident und Covestro-CEO Markus Steilemann ein düsteres Bild: Anhaltend hohe Gas- und Strompreise setzen der chemisch-pharmazeutischen Industrie heftig zu. Von der Politik fühlt sich die Branche unterdessen alleine gelassen.

Auch 2023 bleiben die Aussichten für die Chemieindustrie düster.
Auch 2023 bleiben die Aussichten für die Chemieindustrie düster.
(Bild: frei lizenziert / Pixabay)

Die Sorgen der Chemiebranche lassen beim Präsidenten des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) weder WM- noch Vorweihnachtsstimmung aufkommen. „Die Lage ist dramatisch”, betont Markus Steilemann auf der Jahrespressekonferenz des Verbands am 15.Dezember 2022 in Frankfurt. „Auf dem Branchenspielfeld läuft es alles andere als rund. Das Team Chemie ist gehörig angeschlagen”, so Steilemann weiter. In vielen Fällens stocke bereits die Produktion. Nachfolgende Wertschöpfungsketten würden lahmgelegt.

Aber es wird wohl noch dicker kommen. Denn das Hilfsprogramm der Bundesregierung sorgt nach den Worten von Steilemann nicht nur für die angekündigte Entlastung. Er befürchtet, dass die Gas- und Strompreisbremse schlichtweg bei den Unternehmen nicht ankommen wird, die am dringendsten Hilfe benötigen. „Das liegt zum einen an den vielen Einschränkungen, die das europäische Beihilfegesetz vorsieht. Aber auch die Bundesregierung trägt dafür die Verantwortung”, sagt Steilemann. Sie habe es versäumt, auf EU-Ebene für das Gelingen der Hilfen zu sorgen und habe die Hürden dafür sogar noch selbst erhöht. So nehme die Regierung ein Industriesterben in Kauf. Der Beihilferahmen müsse daher zügig nachverhandelt werden, sonst drohe der Doppelwumms zur Fehlzündung zu werden. Vor allem die Mittelständler würden um ihre Zukunft kämpfen und die Politik schaue dabei zu: „We walk alone – und wir empfinden das als unterlassene Hilfeleistung.“

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Gleichzeitig hat die Branche mit immer umfangreicheren Regulierungen zu kämpfen. Im kommenden Jahr plant die Kommission, 51 neue Gesetze auf den Weg zu bringen, 116 Vorschläge aus den Vorjahren sind noch anhängig. „Die ohnehin schon angeschlagenen Unternehmen erwartet damit ein regelrechter Regulierungs- und Bürokratietornado”, befürchtet Steilemann. Anstatt Anreize für Innovation und Investition zu setzen, schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren auf den Weg zu bringen und den massiven Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben, werde gesetzgeberisches Mikromanagement betrieben.

Produktion in Deutschland sinkt rapide

Laut Steilemann hat Putin nicht nur einen schrecklichen Krieg begonnen, sondern auch die europäische Wirtschaft in Geiselhaft genommen. Für die deutsche Chemieindustrie habe diese Entwicklung brutale Auswirkungen. Denn Öl, Gas und Strom werden in der Chemie vor allem für die Herstellung von Basischemikalien benötigt. Daraus wiederum entstehen Kunststoffe, Wasch- und Reinigungsmittel und vieles mehr. Der enorme Energie- und Rohstoffkostendruck führte zwar zu einem kräftigen Anstieg der Produktpreise. Infolge waren chemische Erzeugnisse im Gesamtjahr 22 % teurer als im Vorjahr. Aber die Kosten stiegen stärker als die Verkaufspreise, sodass laut einer aktuellen Mitgliederbefragung des VCI mittlerweile bei rund 80 % der Unternehmen die Gewinne zurückgehen. Jedes vierte Unternehmen macht bereits Verluste.

Um Verluste einzugrenzen und Gas zu sparen, haben rund 40 % der Mitgliedsunternehmen bereits die Produktion gedrosselt oder beabsichtigen, dies in Kürze zu tun. Ein Teil der Produktionskapazitäten wurde und wird an ausländische Standorte verlagert. Bei fast jedem vierten Unternehmen sei diese bereits umgesetzt oder in Planung.

Jedes fünfte Unternehmen musste aufgrund der Energiekrise schon Aufträge ablehnen. „Vor diesem Hintergrund ist die Sorge vor eine Deindustrialisierung keineswegs unbegründet. Die Produktion in Deutschland sinkt rapide”, warnt Steilemann.

Für das Gesamtjahr steht für die Branche ein Minus von sechs Prozent zu Buche. Rechnet man das Pharmageschäft heraus, geht die Produktion sogar um zehn Prozent zurück. Einen ähnlich starken Einbruch gab es zuletzt 2009, als Folge der Weltwirtschaftskrise. Besonders schwer getroffen hat es dabei den Bereich der Petrochemikalien. Er verzeichnet im Gesamtjahr einen Produktionsrückgang von 15 %. Die Hersteller von anorganischen Grundstoffen, Polymeren und Spezialchemikalien mussten ihre Produktion um knapp zehn Prozent zurückfahren.

Alleine die Pharmasparte konnte auch in diesem Jahr zulegen. Hier stiegt die Produktion um drei Prozent.

Kurzfristig keine Verbesserung in Sicht

Nach aktuellem Stand rechnet der VCI für 2023 mit einem weiteren kräftigen Produktionsrückgang. Auch der Branchenumsatz wird sich voraussichtlich negativ entwickeln. Die Energiekrise zwinge die deutsche und die europäische Wirtschaft in die Rezession. „Die Ertragslage der gesamten Branche hat sich im Jahresverlauf rapide verschlechtert. Und die Vorzeichen für das kommende Jahr stehen denkbar schlecht. Der Rückgang der Industrieproduktion in Deutschland wird sich weiter beschleunigen, der Importdruck weiter zunehmen“, erklärt Steilemann.

Weil die Industrie mit angezogener Handbremse produziert, gibt es laut Steilemann bei einigen Grundstoffen bereits Versorgungsengpässe. Rund die Hälfte der Mitgliedsunternehmen habe von Lieferschwierigkeiten bei einzelnen Vorprodukten berichtet. Es fehle unter anderem an Pigmenten, Salzsäure, Natronlauge, technischem Kohlenstoffdioxid, organischen Silikonverbindungen oder Eisenchlorid.

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„Die Zukunft der Chemie als drittgrößte deutsche Industriebranche steht auf dem Spiel. Sie kann auf Dauer nur überleben, wenn sie über genügend Gas als Rohstoff für die Herstellung von ihrer Produkte und genügend günstigen Strom zum Betreiben ihrer Anlagen verfügt”, so Steilemann

Kälteeinbrüche und sinkende Gasspeicher können die Situation jederzeit verschärfen. Steilemann fordert deshalb, auch über diesen Winter hinausdenken: „Das heißt, so viele Energiequellen wie möglich anzuzapfen – auch Atom- und Kohlekraft können bei der Überbrückung im nächsten Winter helfen.“ Ein wenig hoffnungsvoller blickt Steilemann in die fernere Zukunft: Ab 2024 könnte sich die Lage vielleicht etwas entspannen, wenn genügend Kapazitäten für flüssiges Erdgas bereitstehen.

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