Deutscher Großanlagenbau Trendwende bei Königsdisziplin in Sicht?

Autor / Redakteur: Gerd Kielburger* / Wolfgang Ernhofer

Sie gilt als Königsdisziplin der chemischen Verfahrenstechnik – der Großanlagenbau. Seit Jahren leiden vor allem deutsche EPCs jedoch unter zunehmend schwierigen Herausforderungen. Starker Wettbewerbszuwachs aus Asien, zu geringe Bau- und Montagekompetenzen, fehlende Service-Angebote sowie Nachteile bei der Projektfinanzierung vor allem im Wettbewerb zu chinesischen Marktbegleitern galten als Schwachpunkte der Branche. Nach deutlichem Auftragsrückgang in 2017 erwarten die im VDMA zusammengeschlossenen Unternehmen jetzt wieder steigende Aufträge und bessere Margen. Ist das die lange erhoffte Trendwende?

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Im asiatisch-pazifischen Raum konnten die deutschen Großanalgenbauer einen Zuwachs um 60% verbuchen. Auch der Deutsche Chemie-Branchenprimus BASF setzt auf Asien: Erst Ende 2017 wurde die neue Großanlage für die Produktion von Chemiekatalysatoren in Caojing/China in Betrieb genommen.
Im asiatisch-pazifischen Raum konnten die deutschen Großanalgenbauer einen Zuwachs um 60% verbuchen. Auch der Deutsche Chemie-Branchenprimus BASF setzt auf Asien: Erst Ende 2017 wurde die neue Großanlage für die Produktion von Chemiekatalysatoren in Caojing/China in Betrieb genommen.
(Bild: BASF)

Frankfurt/M. – Lange Zeit haben sich deutsche Großanlagenbauer fast ausschließlich über ihre Technik-Kompetenz definiert. Die Einsicht, dass man sich mit neuen Geschäftsmodellen den sich verändernden Marktbedürfnissen anpassen muss, reifte nur langsam. Doch inzwischen scheint auch hier die Transformation der Geschäftsmodelle mit neuen Serviceangeboten und Digitalisierung auf den Weg gebracht, auch wenn die von den Mitgliedern der VDMA Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (kurz AGAB) 2017 in Deutschland verbuchten Auftragseingänge mit 17,8 Milliarden Euro um 6 % unter dem Wert des Vorjahres (2016: 18,9 Milliarden Euro) landeten.

Wie man beim VDMA betont, sei dieser Rückgang nahezu ausschließlich auf die stark reduzierte Nachfrage im Markt für thermische Kraftwerke zurückzuführen. In anderen Teilbranchen wie etwa dem Chemieanlagenbau und dem Hütten- und Walzwerksbau seien 2017 hingegen deutlich höhere Bestellungen als im Vorjahr zu verzeichnen gewesen. Für Jürgen Nowicki, Sprecher der AGAB und Sprecher der Geschäftsleitung von Linde Engineering, ist diese Entwicklung ein Zeichen, dass die intensiven Bemühungen des Großanlagenbaus zur Erschließung neuer Geschäftsfelder in der Digitalisierung, dem Service und dem Anlagenbetrieb erste Früchte tragen.

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Die Interessenvertretung der Großanlagen bauender Unternehmen in Deutschland repräsentiert immerhin 56.000 Beschäftigte im Inland und übt mit einem Weltmarktanteil von 15 % und ca. 80 % Exportquote eine erhebliche Lokomotivwirkung auf die inländische Zulieferindustrie aus.

Den VDMA-Statistiken zufolge sind die inländischen Bestellungen im Berichtsjahr um 3 % auf 3,8 Milliarden Euro (2016: 3,7 Milliarden Euro) gestiegen. Die Begründung für die Stabilisierung sieht der Verband in erster Linie in steigenden Aufträgen im metallurgischen Anlagenbau und in der Elektrotechnik sowie dem wichtiger werdenden Geschäft mit Modernisierungen, Services und Ersatzteilen. Rückläufige Orders habe es hingegen zum wiederholten Male im Kraftwerksbau gegeben.

Der erfolgsverwöhnte Exportanteil fiel 2017 hingegen um 8 % auf 14,0 Milliarden Euro (2016: 15,2 Milliarden Euro) zurück. Als beträchtlich sieht man die Nachfrage-Rückgänge in Afrika und im Mittleren Osten an. Ganz anders dagegen im asiatisch-pazifischen Raum. Hier konnten die deutschen Großanalgenbauer einen Zuwachs um satte 60 % verbuchen. Diesen Aufschwung verdankte die Branche laut VDMA vor allem der starken Nachfrage aus China sowie vereinzelten Großaufträgen aus Südostasien – und das, obwohl laut einer Umfrage aus 2017 noch rund zwei Drittel der Manager eine Intensivierung des Wettbewerbs vor allem aus China erwartet haben. Hohe Bestellungen vermeldeten die AGAB-Mitglieder darüber hinaus auch aus den USA, Russland, Großbritannien und Indien.

Entscheidende Rolle ist die EPC-Fähigkeit

Immer wieder betont man auf Verbands- und Mitgliederseite das volatile und komplexe Marktumfeld, das durch hohen Preis- und Wettbewerbsdruck gekennzeichnet ist. Die Großanlagenbauer müssten daher Anpassungsfähigkeit beweisen und innovativ auf veränderte Kundenbedürfnisse reagieren. Dabei spielt die Übernahme der Gesamtverantwortung für Projekte – die sogenannte EPC-Fähigkeit – eine entscheidende Rolle. Eine aktuelle Studie des Bundeswirtschaftsministeriums belegt, dass 79 % der deutschen Unternehmen mit Projektgeschäft weiterhin an EPC-Aufträgen interessiert sind.

In diesen Markt drängen technologieungebundene Generalunternehmer aus Asien. Im Verband befürworte man daher ausdrücklich die jüngsten Schritte des Bundes zur Flexibilisierung der Instrumente der Exportfinanzierung und Exportkreditversicherung, so ein aktueller Pressetext. „Die fortschreitende Digitalisierung der Finanzbranche sollte nun innovativen und praxisnahen Fortentwicklungen des Hermesinstrumentariums den Weg ebnen“, begründet Nowicki die Notwendigkeit zur Anpassung an die sich rasch wandelnden Umfeldbedingungen.

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Der Wettbewerbsdruck hat in Folge dieser Entwicklung seit 2015 signifikant zugenommen. Vor diesem Hintergrund bauen deutsche Großanlagenbauer ihre Kompetenzen im Risiko-, Contract- und Claimsmanagement sowie in der Finanzierung von Projekten kontinuierlich aus. Überdies setzen sie vereinzelt neue, agile Methoden des Projekt- und Prozessmanagements ein. Wie es heißt, eigneten sich diese Methoden vor allem bei Entwicklungs- und Digitalisierungsvorhaben mit nicht exakt festgelegten Projektzielen und teils offenen Produktfunktionen als Alternative zu traditionellen Projektmanagement-Ansätzen.

Doch damit nicht genug: Teile der Branche beschäftigen sich laut VDMA auch mit dem sogenannten Integration Flow Management sowie mit bionischen Ansätzen (Viable Business Management). Mithilfe dieser Methoden sollen Projektabläufe effizient gestaltet werden, etwa indem Arbeitspakete neu modelliert und passend angeordnet werden. Positive Erfahrungen aus Branchen wie der Logistik oder der Medizintechnik hätten das dadurch erreichbare Potenzial dokumentiert. Durchlaufzeiten bei Großprojekten habe man dadurch um bis zu 10 % verkürzen können. Bei entsprechend vertraglich vereinbarten Pönalen könnten sich somit leicht Einsparungen im zweistelligen Millionen-Euro-Bereich ergeben.

Digitale Geschäftsmodelle werden marktfähig

Man sei mittlerweile besser auf die Herausforderungen der Digitalisierung vorbereitet, als noch vor wenigen Jahren und habe erste digitale Produkte am Markt platziert, so der AGAB-Sprecher. Laut einer VDMA-Umfrage rechnet die Branche mit einem positiven Einfluss dieser Aktivitäten auf die Umsatz- und Erlössituation und erwartet, dass sich die Margen im Großanlagenbau in den kommenden drei Jahren um bis zu 10 % verbessern könnten. Aber Nowicki weiß auch, dass es im Großanlagenbau keine Patentrezepte für die Einführung von Industrie 4.0 gibt. „Die Unternehmen müssen individuelle Wege finden, die das jeweilige betriebliche Umfeld und die Kundenwünsche im Blick haben“, betont der Linde-Manager.

Kritisch sieht man auch die Doppelbesteuerung der Unternehmen, die die Projektabwicklung im Ausland belastet. Denn im internationalen steuerpolitischen Umfeld bleiben Risiken der Doppelbesteuerung nicht nur bestehen, sie verstärken sich durch die unabgestimmte Umsetzung der von OECD und G20 unterbreiteten Vorschläge zur Vermeidung von steuerlichen Gewinnverlagerungen sogar. Gewinne sollen danach künftig verstärkt am Ort der Wertschöpfung besteuert werden. Man fordere den Bund deshalb auf, mit praxisnahen Lösungen das Risiko der Doppelbesteuerung für Maschinen und Anlagen bauende Unternehmen zu reduzieren, so Nowicki.

Ausblick 2018: Wachsende Zuversicht im Großanlagenbau

Trotz aller Herausforderungen scheint die Zuversicht, dass es 2018 zu einer Trendwende im Großanlagenbau kommen könnte, gewachsen zu sein. Das spiegelt sich auch in einer aktuellen Umfrage unter den Mitgliedern der AGAB wider. Demnach gehen mehr als 70 % der Unternehmen von konstanten bzw. steigenden Auftragseingängen sowie einer zunehmenden Projekt- und Anfragetätigkeit aus. Gründe für diesen Optimismus leiten sich vor allem aus den günstigen konjunkturellen Perspektiven und dem Aufschwung an den Rohstoffmärkten ab.

Regionen wie Südamerika, Nordafrika und der Mittlere Osten könnten dadurch wieder stärker in den Fokus rücken. Damit es tatsächlich zu dem erhofften Umschwung im Großanlagenbau kommt, muss nach Ansicht der AGAB-Vertreter auch der regulatorische Rahmen stimmen. Die Branche begrüße daher, dass die deutsche Politik die enorme volkswirtschaftliche Bedeutung des Großanlagenbaus als Grundlage internationaler Wirtschaftsbeziehungen erkannt habe. „Sie muss ihre Instrumente aufgrund des hochvolatilen Umfelds in kürzeren Abständen als bisher überprüfen und bei Bedarf umgehend anpassen“, lautet das Fazit von Nowicki.

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* Der Autor ist Chefredakteur der PROCESS

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