Elektrostatische Aufladung: Toluol Toluol – eine oft unterschätzte Brandgefahr

Von Günter Lüttgens, Sylvia Lüttgens

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Brand- und Explosionsfälle durch Toluol sind ein Sicherheitsrisiko. Die Ursachenforschung bei Bränden mit Toluol führt immer wieder zu einem Fakt: Kommt es zu elektrostatischer Aufladung, sind verheerende Folgen vorprogrammiert. Doch warum entzündet sich die Chemikalie so schnell?

Risiko Toluol: Besonders bei Umfüllvorgängen ist die Gefahr eines Brandes aufgrund elektrostatischer Aufladung groß.
Risiko Toluol: Besonders bei Umfüllvorgängen ist die Gefahr eines Brandes aufgrund elektrostatischer Aufladung groß.
(Bild: © Dmytro Tolokonov - Fotolia)

Als bei einem Großbrand in einer Raffinerie in Köln-Godorf im Jahr 2014 ein Tank mit Toluol nach einer Explosion ausbrannte, stellte sich bei der Suche nach der Ursache heraus, dass elektrostatische Aufladung das Toluol entzündet hatte und so den Tank in Brand setzte. Blickt man auf diesen und weitere elektrostatisch gezündete Brände entflammbarer Flüssigkeiten, so fällt auf, dass Toluol überproportional häufig beteiligt ist. Die Chemikalie wird der Explosionsgruppe IIA zugeordnet und ist in etwa so zündempfindlich wie Benzin, Methanol und Aceton. Doch worin unterscheidet sie sich von diesen Flüssigkeiten?

Da wäre zunächst die elektrische Leitfähigkeit: Je geringer sie ist, umso höher ist die Tendenz zu elektrostatischer Aufladung. Toluol weist mit 0,1 bis 10 pS/m die niedrigste Leitfähigkeit von Flüssigkeiten auf. Daraus folgt, dass Toluol äußerst rasch elektrostatisch aufgeladen werden kann, wenn es durch Leitungen strömt – z.B. negativ beim Fließen durch ein metallenes Rohr. Die entstehenden Aufladungen weisen allerdings nur Zündenergien auf, die unter 0,5 mJ liegen. Das reicht zwar zur Entzündung vieler entflammbarer Flüssigkeiten, doch nicht zum Zünden von brennbaren Stäuben.

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Bekanntlich sind Gase und Dämpfe nur innerhalb ihres Explosionsbereiches entzündbar – also zwischen unterer Explosionsgrenze (Flammpunkt) und oberer Explosionsgrenze. Unterhalb sind die Gemische „mager“, oberhalb „zu fett“. Doch innerhalb des Ex-Bereiches ist der Bedarf an Zündenergie keineswegs konstant, sondern erreicht etwas oberhalb des so genannten stöchiometrischen Gemisches – auch als Verhältniszahl λ = 1 bezeichnet (z.B. Lambdasonde bei Kfz-Motoren) – ihren niedrigsten Wert, die Mindestzündenergie (MZE), (siehe Abbildung 1).

An den Rändern des Explosionsbereiches steigt der Bedarf an Zündenergie um mehr als eine Größenordnung an. Das hat zur Folge, dass übliche elektrostatische Entladungserscheinungen (Büschelentladungen von aufgeladenen Isolierstoffflächen, Funkenentladungen von aufgeladenen Personen) nur stöchiometrische Brenngasgemische zu entzünden vermögen.

Das sich oberhalb einer entflammbaren Flüssigkeit ausbildende Gemischverhältnis wird maßgebend vom Flammpunkt (FP) bestimmt. So sind z.B. die aus Benzin entstehenden Gemische zu fett (FP < -40 °C), bei Xylol (FP = 28 °C) hingegen zu mager. Augenfällig ist dabei das Verhalten von Toluol und Propylacetat. Beide Flammpunkte liegen bei 5 °C, und das führt zu einem Gemischverhältnis von etwa λ = 1 bei Raumtemperatur.

Dabei lassen sich diese beiden Flüssigkeiten optimal durch elektrostatische Aufladungen zünden (siehe Abbildung 2). Allerdings hat Propylacetat eine deutlich bessere Leitfähigkeit als Toluol und lädt sich dementsprechend auch weniger elektrostatisch auf. Davon ausgehend, dass die meisten Umfüllvorgänge bei Raumtemperatur vonstatten gehen, ist nun ersichtlich, weshalb Toluol häufig elektrostatisch entzündet wird.

Dass diese theoretischen Erkenntnisse in Betrieben schnell zur Realität werden können, belegen die folgenden Fallstudien, die deutlich machen, welche Brandgefahr von Toluol-Umfüllungen ausgeht. Die Brände ereigneten sich allesamt bei Raumtemperatur.

Gefahrenquelle Kunststofffass

Aus einer Destillation anfallendes Toluol wurde in einem Zwischenbehälter gesammelt und von dort in Metallfässer entleert. Wegen vorherrschender Explosionsgefahr trafen die Mitarbeiter Maßnahmen gegen Zündgefahren infolge elektrostatischer Aufladungen: Dazu zählten ein leitfähiger und geerdeter Schlauch mit Zapfpistole, ein geerdetes Metallfass, ein ableitfähiger Fußboden und ableitfähige Schuhe für die Mitarbeiter.

Als unvermittelt kein Metallfass mehr zur Verfügung stand, holte ein Mitarbeiter ein in der Nähe abgestelltes, leeres Kunststofffass, damit die Entleerung des Zwischenbehälters nicht ins Stocken geriet. Kurz bevor dieses Fass voll war, kam es zur Zündung der Toluoldämpfe, die dann einen Brand herbeiführten. Weil im weiteren Verlauf das Kunststofffass herunterschmolz, wurde die gesamte Chemikalie freigesetzt. Die Folge war ein Flächenbrand.

Brandursache: Die vom strömenden Toluol mitgeführte Ladung sammelte sich im Kunststofffass an, weil sie von dort nicht zur Erde abfließen konnte (bei den Metallfässern bestand die Erdung). Als sich der auf diese Weise aufgeladene Flüssigkeitsspiegel dem Auslauf der geerdeten Zapfpistole näherte, wurde dort eine Büschelentladung ausgelöst, deren Energie gerade noch ausreichend ist, um ein stöchiometisches Dampf/Luft-Gemisch zu zünden. Da sich der Unfall mit Toluol bei Raumtemperatur ereignete, waren optimale Zündbedingungen gegeben.

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Empfehlung: In Ex-Bereichen sollten keine Packmittel aus Kunststoffen vorhanden sein.

Auf leitfähige Schläuche achten

In einer Druckfarbenfabrik musste verunreinigtes Toluol in einen metallenen und geerdeten Container abgefüllt werden. Die elektrostatischen Schutzmaßnahmen sind mit denen in der ersten Studie vergleichbar. Doch während des Vorgangs bemerkte ein Mitarbeiter, dass die Schlauchkupplung nicht dicht ist. Für einen solchen Fall gab es noch einen leitfähigen Reserveschlauch, doch der konnte nicht gefunden werden.

In einer gleichartigen Anlage – jedoch ohne Wasser – entdeckten die Mitarbeiter einen ähnlichen Schlauch, allerdings aus isolierendem PVC. Sie wechselten die beiden Schläuche aus, doch beim Annähern der Zapfpistole an den Rand des Metallcontainers erkannten sie schwache Funken. Sogleich schoss aus dem Container eine Stichflamme heraus. Zum Glück hielt der Container den Flammen stand. Das Feuer konnte mit Löschschaum erstickt werden.

Brandursache: Die Zapfpistole wurde vom durchströmenden Toluol aufgeladen. Diese Ladung konnte über den leitfähigen Füllschlauch zur Erde abfließen, nicht aber über den isolierenden PVC-Schlauch. Fatalerweise trug der Mitarbeiter isolierende Schutzhandschuhe, die verhinderten, dass die Ladung von der handgehaltenen Zapfpistole über die Person zur Erde hätte abfließen können.

Empfehlung: Nicht immer ist bekannt, ob eine Flüssigkeit isolierend und damit aufladbar ist. Daher sollte man beim Umgang mit entflammbaren Flüssigkeiten stets leitfähige Schläuche auf Lager haben. Zudem ist es ratsam, bei Arbeiten im Ex-Bereich immer ableitfähige Schutzhandschuhe zu tragen. So wird sichergestellt, dass Aufladungen handgehaltener Gegenstände auch über die Person zur Erde abfließen können.

Vorsicht bei kleinen Metallfässern

In der dritten Fallstudie wurde Toluol in einem Kombinations-IBC (1000 Liter Volumen) angeliefert. Es sollte über das Bodenventil in 60-Liter-Metallfässer abgefüllt werden. Dazu befand sich der IBC auf einem Betonsockel, wodurch das Fass unter das Bodenventil passte. Weil die Fässer auf einer Fasskarre transportiert wurden, reichte das Fass seitlich aber nicht bis an das Bodenventil heran. Deshalb beschafften die Mitarbeiter eine metallene Auslaufverlängerung von 500 mm Länge, doch die hatte kein auf das Bodenventil passendes Gewinde.

Daraufhin wurde ein passendes Gewindeübergangsstück angefertigt. Zuvor brachte ein Mitarbeiter noch Erdungszangen an Fass und Gittergestell des IBC an und öffnete dann das Bodenventil. Als das Fass nahezu voll war, brannte plötzlich das darin befindliche Toluol. Der Mitarbeiter konnte das Bodenventil nicht mehr ungefährdet erreichen, um es zu schließen. So konnte der gesamte Inhalt des IBC auslaufen und einen Flächenbrand verursachen.

Brandursache: Bei der Inspektion des Brandortes fanden die Gutachter die metallene Auslaufverlängerung. Es stellte sich heraus, dass sich an dem Ende, das mit dem IBC verbunden war, ein stark verkohlter Rest befand, der dem Bodenventil nicht zugeordnet werden konnte. Nach Rücksprache mit den Mitarbeitern lag es auf der Hand, dass es sich wahrscheinlich um das Rudiment des Gewindeübergangsstückes handelte, das aus PVC gefertigt war. Durch dieses Bauteil konnte die Auslaufverlängerung gegen den geerdeten IBC isoliert werden. Vom durchfließenden Toluol war es aufgeladen worden, und so konnte sich ein Entladungsfunke zum nahegelegenen Rand des kleinen Fasses ereignen, der das dort vorhandene Toluoldampf/Luft-Gemisch entzündete.

Empfehlung: Alle leitfähigen Teile, die sich durch das Verfahren aufladen lassen, müssen zuverlässig geerdet sein. Generell sollte eine Mischbauweise (leitfähig-isolierend) in Ex-Bereichen vermieden werden.

* Die Autoren sind die Gründer der Elstatik-Stiftung. Kontakt: Tel. +49-2202-71174

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