Stimmungs- und Trendbarometer ACHEMA 2009 Statement: Im Chemieanlagenbau mit Ressourcen schonenden Technologien erfolgreich
Zum Jammern besteht kein Grund, in der Krise steckt stets auch eine Chance – so lautet das Fazit der ACHEMA-Pressekonferenz des Fachforums Prozesstechnik des VDMA. Wo steht der deutsche Chemieanlagenbau? Werner Schwarzmeier, Sprecher der Geschäftsführung der Linde AG, Geschäftsbereich Linde Engineering, zeigt in seinem Statement Markttrends auf und beleuchtet die Aussichten der Branche für 2009.
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Hätte ich dieses Statement vor sechs Monaten gehalten, meine Lagebeurteilung und mein Ausblick wären ohne Zweifel optimistischer ausgefallen. Wir alle – und dabei schließe ich den Chemieanlagenbau mit ein – wurden von der Heftigkeit des weltweiten Nachfrageeinbruchs überrascht.
Dennoch gibt es für unsere Branche keinen Grund zur Panik. Vielmehr blicken wir mit gesundem Selbstvertrauen ins ACHEMA-Jahr 2009. Das hat folgende Gründe:
1. Der Auftragseingang in 2008 war nach wie vor hoch.
2. Der Auftragsbestand unserer Mitgliedsfirmen liegt dank der Orderflut der Boomjahre 2005 bis 2008 auf Rekordniveau. Dies sichert die Auslastung insbesondere in den Wertschöpfungsstufen Detail Engineering und Fertigung bis zum Herbst und in Einzelfällen auch darüber hinaus.
3. Wir haben unsere Kapazitäten in der Vergangenheit behutsam ausgebaut und Personal nur maßvoll eingestellt. Der Anstieg im Auftragseingang wurde durch den Einsatz von Zeitarbeitern, durch Mehrarbeit und in erster Linie durch eine deutliche Erhöhung der Produktivität bewältigt.
4. Der deutsche Chemieanlagenbau ist weltweiter Technologieführer. Keine andere Anlagenbau-Nation investiert ähnlich viel in Forschung und Entwicklung. Keine meldet so viele Erfindungen zu Patenten an wie wir.
Ich komme nun zur aktuellen Auftragslage, wobei ich mich auf das Gleitjahr Oktober 2007 bis September 2008 beziehe. In diesem Zeitraum erzielte der in der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau – kurz AGAB genannt – organisierte Chemieanlagenbau Bestellungen von 3,2 Milliarden Euro. Das sind 20 Prozent weniger als im Spitzenjahr 2007, es ist aber noch immer das zweithöchste jemals gemeldete Ergebnis. Seit Herbst ist allerdings eine Nachfrageberuhigung festzustellen. Besonders für Kunden aus Rohstoffländern hat sich die wirtschaftliche Machbarkeit von Projekten infolge gesunkener Öl- und Gaspreise verschlechtert.
Deutschland kein Kernmarkt mehr
Deutschland ist für den AGAB-Chemieanlagenbau kein Kernmarkt mehr. Gleichwohl sind die Bestellungen im Berichtszeitraum um 13 Prozent auf 247 Millionen Euro gestiegen. Das Inlandsgeschäft hat somit dazu beigetragen, dass die Branche sich insgesamt gut behaupten konnte.
Haupttreiber ist aber eindeutig die Auslandsnachfrage. So liegt der Exportanteil im Chemieanlagenbau bei 92 Prozent - das ist deutlich mehr als im Durchschnitt des gesamten Großanlagenbaus. Insgesamt erreichten die Auslandsbestellungen von Oktober 2007 bis September 2008 einen Wert von 3,0 Milliarden Euro.
Typisch für unsere Branche sind Großaufträge über 25 Millionen Euro. Von Oktober 2007 bis September 2008 haben wir insgesamt 19 Großaufträge erhalten. Davon hatten fünf Vorhaben ein Volumen von mehr als 100 Millionen Euro. In welchen Ländern war unsere Branche besonders erfolgreich?
Hervorheben möchte ich Nordafrika. Ägypten ist schon lange ein wichtiger Kunde. 2008 hat mit Algerien ein weiteres nordafrikanisches Land erstmals in großem Stil Anlagen zur Rohstoffveredelung in Deutschland bestellt. Der Ordereingang lag bei 1,1 Milliarden Euro. Im Blickpunkt stand ein Großauftrag zur Errichtung einer Düngemittelfabrik in der algerischen Hafenstadt Arzew.
Die Nachfrage aus Südamerika war 2008 ebenfalls hoch, wobei Venezuela das bedeutendste Kundenland war. Der Auftragseingang für Chemieanlagen erreichte hier einen Wert von 447 Millionen Euro. Die Nachhaltigkeit des aktuellen Auftragsbooms aus Venezuela muss angesichts der rigiden Verstaatlichungspolitik und sinkender Rohstoffpreise allerdings bezweifelt werden.
Die Industrieländer sind nach wie vor der weltweit wichtigste Standort der chemischen Industrie. Im Berichtszeitraum spiegelte sich diese Tatsache auch im Auftragseingang wider, der ein Volumen von 658 Millionen Euro erreichte. Mit den Niederlanden, Portugal und Italien lagen große Absatzmärkte in Westeuropa.
Chemie sendet negative Signale aus
Mittlerweile sendet die chemische Industrie allerdings negative Signale aus. Zahlreiche Unternehmen des Industriezweigs haben Anlagen stillgelegt beziehungsweise die Produktion gedrosselt. Grund für diesen Schritt ist die sinkende Nachfrage aus wichtigen Abnehmerbranchen wie der Bauindustrie und dem Automobilsektor. Insbesondere im Fahrzeugbau ist der Bedarf an Kunststoffen in den vergangenen Monaten geradezu eingebrochen. Da viele der betroffenen Produktionsstätten in Europa und Nordamerika liegen, ist dort 2009 nur mit wenigen Aufträgen für Neuanlagen zu rechen.
Aus den übrigen Regionen kamen kaum positive Impulse. Das gilt für sowohl für den Nahen und Mittleren Osten als auch für den asiatisch-pazifischen Raum. In Osteuropa war die Auftragslage noch bis Mitte 2008 gut. Die Bestellungen stiegen im Berichtszeitraum um 78 Prozent auf 440 Millionen Euro. Seit September ist allerdings auch hier ein deutlicher Stimmungsumschwung eingetreten. Die auf Fremdfinanzierungen angewiesenen Investoren erhalten häufig keine Mittel für ihre Projekte. Insbesondere Russland erfüllt die hohen Erwartungen momentan nicht.
Technologieführerschaft weiter ausbauen
Schon zu Beginn meiner Ausführungen hatte ich auf die technologische Kompetenz des deutschen Chemieanlagenbaus hingewiesen. Lassen Sie mich noch einige Details hinzufügen. Unsere Branche ist Weltspitze bei der Konstruktion schadstoffarmer, energieeffizienter Anlagen und bietet ihren Kunden modernste Verfahrenslösungen. Exemplarisch stehen hierfür Verfahren zur CO2-Abtrennung, zur Chlorelektrolyse und zur Kohlevergasung. Überdies sind unsere Mitgliedsfirmen führend in der Entwicklung und dem Bau von Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff sowie von Biotreibstoffen. Charakteristisch für deutsche Anlagen ist, dass durch sie sowohl Emissionen als auch Betriebskosten in Relation zu konventionellen Lösungen reduziert werden. In Zeiten strenger Umwelt- und Klimaschutzgesetze ist dies ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil.
Blick in die Zukunft
Klar ist: 2009 wird kein einfaches Jahr für den deutschen Chemieanlagenbau werden. Der Auftragseingang wird sinken. Ich rechne gegenüber 2008 mit einem Orderrückgang um rund ein Drittel. Der Wettbewerb um die verbleibenden Projekte wird härter werden. Vermehrt werden sich an den Ausschreibungen auch bisher unbekannte Wettbewerber aus China und Indien beteiligen.
Klar ist aber auch: Es besteht kein Grund zum Wehklagen. Die aktuelle Auftragslage ist nicht schlecht, der Auftragsbestand ist noch recht gut und angesichts unserer vorsichtigen Personalpolitik wird es vorerst nicht zu Entlassungen kommen. Unser Ziel ist es, die Mitarbeiterzahl 2009 konstant zu halten.
Für die meisten Firmen sind die kurzfristigen Aussichten somit gut bis zufriedenstellend. Sollte sich der momentane Investitionsstau bis Ende 2009 auflösen – wofür einiges spricht – wird die Branche den Abschwung relativ glimpflich überstehen.
Langfristig sind die Perspektiven des Industriezweigs ohnehin ausgezeichnet. Angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und steigendem Wohlstand nimmt der Bedarf an Chemikalien und damit auch an Chemieanlagen kontinuierlich zu. Auf absehbare Frist wieder steigende Öl- und Gaspreise werden ferner die Budgets der Kunden aus Rohstoffländern füllen. Viele der derzeit verschobenen Projekte sollten spätestens dann erneut auf die Agenda kommen.
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