Exklusiv-Interview: Herausforderungen der Prozessindustrie Siemens strebt Synthese zwischen Hard- und Softwareunternehmen an
Für Siemens-Division-Chef Dr. Jürgen Brandes ist das Rennen um die Wettbewerbsvorteile durch Industrie 4.0 und Digitalisierung weltweit längst eröffnet. Im PROCESS-Interview gibt er Einblicke, wie Siemens die Herausforderungen in den Prozessindustrien nach mehr Geschwindigkeit, Innovation, Verkürzung des Time to Market, Flexibilität und Effizienz optimal unterstützen will. Das wird nur über mehr Branchenkompetenz, offene Schnittstellen und Coopetition gelingen. Die Siemens-Welt wird offener.
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Herr Dr. Brandes, vor rund zwei Jahren hat Siemens mit einer Umstrukturierung die neue Division Process Industries and Drives aufgestellt. Der anfänglichen Euphorie über die Neuaufstellung folgte eine sehr kurze Periode Ihres Vorgängers auf dem Posten. Nach knapp einem Jahr musste er sein Büro räumen. Zwischenzeitlich haben sich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtert. Wie wollen Sie die Division nach vorne bringen?
Brandes: Erst einmal bin ich froh, dass diese Division in der Form gegründet wurde, weil wir einen kundenorientierten Ansatz mit Branchenfokus gewählt haben. Schon im Divisionsnamen wollen wir zeigen, dass es nicht mehr nur darum geht, Produkte und Lösungen über den Ladentisch zu reichen, sondern die Kundensprache zu sprechen, das Industrie-Know-how abzubilden und uns in Abhängigkeit, was der Kunde benötigt, so aufzustellen, dass wir ein noch besserer Partner unserer Kunden werden. Wir waren immer schon gut in den Industrien, die in Deutschland heimisch sind, etwa in der Chemieindustrie oder Pharmaindustrie. Nachholbedarf haben wir dagegen in den Branchen, die ihre Heimat vorrangig nicht in Deutschland haben, etwa die Öl- und Gasindustrie.
Und just die schwächelt gerade aufgrund des niedrigen Ölpreises. Nach Aussagen eines Managermagazins führt das zu deutlichen Umsatzrückgängen bei Ihnen.
Brandes: Das kann ich so nicht bestätigen. Die Umsätze sind tatsächlich nicht in diesem Maße zurückgegangen, das kann ich schon mal versichern. Dennoch sind auch wir betroffen von den Rückgängen in der Öl/Gasindustrie. Gleichzeitig konnten wir diese Einbrüche durch gezielte Wachstumsfelder einigermaßen ausgleichen und das interessanterweise nicht nur mit den Feldern, die jetzt in aller Munde sind: Digitalisierung und Automatisierung, sondern im Bereich der Antriebstechnik mit Wachstumsfeldern etwa im Bereich der Traktion oder der Regenerativen Energien.
Nicht nur die Anwenderindustrien befinden sich auf dem Weg in Richtung Digitalisierung, sondern auch Siemens selbst ist in einem Transformationsprozess – nach eigenen Angaben zu einem der größten Industrie-Softwareunternehmen. Wann ist dieser Prozess abgeschlossen?
Brandes: Auch das möchte ich etwas anders darstellen. Wir streben eine Synthese zwischen einem Hardware-Konzern und einem IT-Unternehmen an. Da gibt es keinen stabilen Zustand, sondern immer wieder Pendelbewegungen, die auf Basis der jeweiligen Kundenanforderungen entstehen. Es gibt Kunden, die uns in unserem traditionellen Geschäft sehen möchten, genauso wie Kunden, die sich in einem Transformationsprozess bewegen und sich fragen, mit welchen Software-Plattformen sie diesen Prozess beschreiten wollen. Darüber hinaus müssen wir zusätzlich Beratungsdienstleistungen erbringen, die nicht nur unsere eigenen Konzepte, Produkte und Lösungen in den Vordergrund stellen, sondern kundenspezifische Lösungen und Konzepte entwickeln. Und natürlich können da auch Produkte und Lösungen enthalten sein, die nicht Teil der Siemens-Welt sind.
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